Weltwirtschaft

Können Kasachstan und Aserbaidschan russische Energie ersetzen?

Lesezeit: 4 min
23.02.2024 17:22  Aktualisiert: 23.02.2024 17:22
Aserbaidschan und Kasachstan sollen als Folge des Ukrainekrieges zu wichtigen Energieversorgern Deutschlands und der EU werden. Doch wie zuverlässig sind die beiden Staaten und wie ist es um ihre politische Stabilität bestellt?
Können Kasachstan und Aserbaidschan russische Energie ersetzen?
Können Kasachstan und Aserbaidschan russische Energie ersetzen? (Foto: iStockphoto/sezer ozger)
Foto: sezer ozger

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Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat die Bundesregierung verkündet, möglichst schnell von russischem Erdgas unabhängig werden zu wollen. Dabei gerieten neben westlichen Ländern wie Norwegen und den USA auch Länder mit eher autoritären Systemen wie Katar, Kasachstan und Aserbaidschan ins Visier der Bundesregierung.

Von der Leyen zu Besuch in Aserbaidschan

Im Kaukasusstaat Aserbaidschan übernahm vor allem die EU die Initiative. Im Dezember 2022 besuchte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Aserbaidschan und erklärte dort: „Seit dem Beginn des russischen Krieges haben wir beschlossen, den russischen fossilen Brennstoffen den Rücken zu kehren und uns auf verlässliche Energiepartner zu verlegen.“

Doch ist Aserbaidschan wirklich ein interessanter Rohstofflieferant? Im Jahr 2022 lieferte der postsowjetische Staat ca. 11 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr in die EU. In den Gesprächen zwischen der autoritären Führung in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku und der EU wurde vereinbart, die Menge bis 2027 auf 20 Milliarden zu erhöhen. Bisher spielt Aserbaidschan bei der Versorgung Deutschlands jedoch keine Rolle. Letztendlich ist Aserbaidschan erst durch die Sanktionspolitik der EU gegen Russland als Kooperationspartner interessant geworden.

Eine korrupte Diktatur

Die bilateralen Beziehungen sowohl Deutschlands als auch der EU zu Aserbaidschan waren meist durch die bedenkliche innenpolitische Lage im Land belastet. Präsident Ilham Alijew regiert Aserbaidschan seit 2003 und hat eine Diktatur errichtet, in der die Opposition massiv unterdrückt wird. Es gibt tausende politische Gefangene. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Februar 2024, bei denen Alijew für weitere sieben Jahre im Amt bestätigt wurde, wurden nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten zahlreiche Journalisten inhaftiert. In der Rangliste der Pressefreiheit nahm das Land 2023 den wenig schmeichelhaften Platz 151 in der Welt ein (von 180 Staaten). Die Wahlen waren nach Einschätzung von Wahlbeobachtern weder frei noch fair. Es wurden nur Gegenkandidaten zugelassen, die Alijew unterstützen und wenig Rückhalt in der Bevölkerung besitzen.

Im Korruptionsindex schneidet das Land mit Platz 157 sogar noch schlechter ab. Korruption ist in Aserbaidschan weit verbreitet. Die Korruption im aserbaidschanischen Staat hat auch schon Auswirkungen auf die deutsche Politik gehabt. So wurde im Januar 2024 Anklage gegen die beiden ehemaligen Politiker Eduard Lintner (CSU) und Axel Fischer (CDU) erhoben. Beide hatten über ausländische Briefkastenfirmen hohe Beträge aus Aserbaidschan erhalten. Mit dem Geld wurde die inzwischen verstorbene CDU-Politikerin Karin Strenz geschmiert, die sich dafür, ebenso wie Fischer, im Europarat für Aserbaidschan einsetzte.

Auch der aserbaidschanische Angriffskrieg gegen das Nachbarland Armenien passt nicht in das Bild vom angeblich so vertrauenswürdigen Wirtschaftspartner Aserbaidschan, das EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zu zeichnen versuchte. Aserbaidschan hat die armenische Exklave Berg-Karabach erobert und dabei massive Gewalt gegen Zivilisten angewandt und etwa 100.000 Armenier vertrieben. Trotz dieser groben Verstöße gegen das Völkerrecht hat die EU, die sich ja gerne als Vorkämpferin für Frieden und Menschenrechte stilisiert, keine Sanktionen gegen Aserbaidschan erhoben.

Unsicherheitsfaktoren beim Gas aus Aserbaidschan

Da in Aserbaidschan die wirtschaftliche Lage eher unbefriedigend ist, große Teile der Bevölkerung in Armut leben und unter der weit verbreiteten Korruption leiden, ist es fraglich, ob die politische Lage im Land in Zukunft stabil bleiben wird.

Doch noch ein weiterer Faktor macht das geplante Wachstum der aserbaidschanischen Erdgaslieferungen für die EU fraglich. Nach Einschätzung verschiedener Experten produziert Aserbaidschan zu wenig Gas, um die Nachfrage der EU zu decken. Außerdem wächst zugleich der eigene Gasbedarf sowie der Bedarf der Türkei, die sowohl Transitland als auch Abnehmer für aserbaidschanisches Gas ist. Bereits im Juni 2021 haben beide Staaten einen Vertrag unterschrieben, der eine umfangreiche Kooperation im Energiesektor beinhaltet. Im Zweifelsfall dürfte der türkische Präsident Erdogan, der sein Nachbarland in den vergangenen Jahren mit umfangreichen Waffenlieferungen hochgerüstet hat und als engster Verbündeter Aserbaidschans gilt, von Baku den Vorrang vor Brüssel und Berlin erhalten.

Alternative Kasachstan

Kasachstan ist für die Bundesregierung und die EU ein besonders interessanter Rohstofflieferant. Anders als bei Aserbaidschan ist das Verhältnis Kasachstans zu seinen Nachbarländern friedlich. Mit den anderen zentralasiatischen Staaten hat es in den vergangenen Jahren die Kooperation ausgebaut. Mit seinen großen Nachbarn Russland und China pflegt Kasachstan gute Beziehungen. Die kasachische Regierung hat keine eigenen Sanktionen gegen Russland verhängt, jedoch deutlich gemacht, dass sie den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht unterstützt.

Zugleich bemüht sich die kasachische Regierung aber die Kooperation mit der EU und Deutschland auszubauen. Die Regierung in der kasachischen Hauptstadt Astana will sich damit auch etwas mehr Unabhängigkeit vom Einfluss Chinas und Russlands erkaufen.

Kasachstan setzt auf Öl und Gas

Das Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem kasachischen Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew im September 2023 unterstrich die wachsende Bedeutung des Landes. Bereits 2023 war Kasachstan für Deutschland der viertwichtigste Öllieferant. Schon vor mehr als zehn Jahren vereinbarte die damalige Regierung Merkel mit Kasachstan eine Partnerschaft im Rohstoff- und Technologiebereich. Seit 2022 versucht die Bundesregierung, russische Öllieferungen durch kasachische zu ersetzen.

Zugleich will Kasachstan, ebenso wie das Nachbarland Usbekistan, den Anteil der Kohle an der Energieversorgung senken. Ersetzt werden soll die Kohle vor allem durch Erdgas. Viele ländliche Regionen sollen an das Erdgasnetz angeschlossen werden. Der steigende Gasbedarf Kasachstans könnte Lieferungen in die EU mindern. Zudem treten China und andere asiatische Länder als zahlungskräftige Konkurrenten der EU auf den zentralasiatischen Energiemärkten auf.

Russland mischt auch in Kasachstan mit

Kasachstan beabsichtigt zur Deckung seines Erdgasbedarfs auch russisches Gas zu importieren. Zwar hängen zwei geplante Pipelineprojekte seit Beginn des Ukrainekrieges in der Schwebe, doch es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass sie in den nächsten Jahren doch realisiert werden. Auch der Weiterbetrieb der ostdeutschen Raffinerie Schwedt hängt teilweise von Russland ab. Denn für seine Öllieferungen an Schwedt muss Kasachstan die russische Druschba-Pipeline nutzen und ist damit auf das Wohlwollen Moskaus angewiesen.

Eine verstärkte Kooperation Deutschlands und der EU mit Kasachstan wird die Position Russlands auf den internationalen Energiemärkten daher kaum schwächen. Und auch im Sicherheitssektor ist Kasachstan auf die Unterstützung des nördlichen Nachbarn angewiesen. So sandte Russland im Januar 2022 Truppen, um die kasachische Regierung beim Einsatz gegen gewalttätige Massenproteste in der Hauptstadt Astana zu unterstützen. Ob Kasachstan in Zukunft ohne die militärische Unterstützung Moskau auskommen kann, ist eine spannende Frage.

Kasachstan erscheint als Energielieferant verlässlicher und unproblematischer als Aserbaidschan. Doch die Unruhen Anfang 2022 haben gezeigt, dass die innenpolitische Lage im Land schwer berechenbar ist. Das macht zukünftige Öl- und Gaslieferungen aus Kasachstan noch unsicherer.

Es ist insgesamt sehr fraglich, ob Aserbaidschan und Kasachstan das Potenzial haben, den Ausfall der russischen Energielieferungen zu kompensieren. Die Suche Deutschlands und der EU nach alternativen Energielieferanten gestaltet sich sehr schwierig.



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