Russland vermeldet überraschend starke Wirtschaftsdaten. Per Dezember nahm das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahresvergleich um 4,6 Prozent zu, nach zuvor 4,4 Prozent. Prognostiziert waren nur 3,8 Prozent. Im Januar konnte die Industrieproduktion um 4,6 Prozent nach zuvor 2,7 Prozent zulegen. Im selben Zeitraum stiegen die Einzelhandelsumsätze um 9,1 Prozent nach zuvor 10,2 Prozent – bereinigt um die Inflationsrate von 7,4 Prozent ergibt sich ein reales Umsatzwachstum in Höhe von 1,7 Prozent.
Die Reallöhne verzeichneten im Vorjahresvergleich ein sattes Plus in Höhe von 8,5 Prozent nach zuvor 7,2 Prozent. Die Arbeitslosenrate sank im Januar leicht auf 2,9 Prozent und befindet sich damit in der Nähe des Allzeittiefs. Der jüngste Bericht der russischen Zentralbank zeigt die ungewöhnliche Widerstandsfähigkeit der mit umfangreichen westlichen Sanktionen belegten Wirtschaft.
Militärausgaben als Wirtschaftstreiber
Ein Großteil des Wirtschaftswachstums basiert auf Kriegs- und sonstigen Staatsausgaben. Im laufenden Jahr wird der Kreml voraussichtlich sechs Prozent des BIP in die Rüstungsindustrie stecken. „Es ist eine Kriegswirtschaft“, wird IWF-Sprecherin Julie Kozack zitiert. Der hohe Anteil der Militärausgaben stimuliere die Produktion. „Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Sozialtransfers, die den Konsum ankurbeln.“Der internationale Währungsfonds sieht sogar Anzeichen für eine Überhitzung der Wirtschaft, etwa die wieder ansteigende Inflation. Die russische Wirtschaft operiere an der Kapazitätsgrenze und zeige zunehmende „Überhitzungserscheinungen“, so die Einschätzung des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Diese Gefahr sieht auch Zentralbank-Chefin Elvira Nabiullina, die unter anderem deshalb die Leitzinsen im Dezember auf 16 Prozent hochsetzte.
Die Staatsschuldenquote ist durch die massiven Militärausgaben auf 21 Prozent gestiegen. Die EU-Länder oder die USA können von solchen Quoten nur träumen. Russland hat noch jede Menge Spielraum, um die Kriegsindustrie und die Verbaucher zu subventionieren. Zuletzt griff man vermehrt auf Rücklagen aus dem Nationalen Wohlfahrtsfonds zurück, in den Russland seit vielen Jahren einen Teil der Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten für Krisenzeiten anlegt. Hier stecken derzeit laut FAZ, die sich auf den russischen Ökonom Sergej Gurijew berufen, umgerechnet rund 55 Milliarden Dollar.
Indes könnte sich das kriegsbedingte Wachstum auf mittelfristige Sicht als wenig nachhaltig erweisen. Wenn zu viele Betriege auf militärische Produktion umgestellt werden, leidet die restliche Wirtschaft. Zudem sind mittlerweile infolge des Krieges laut Zahlen des Forschungsinstitutes „Ifri“ mehr als eine Million russischer Fachkräfte ins Ausland geflohen. Dieser Verlust an Wissen und Produktions-Potential ist nicht einfach zu ersetzen. Es ist also nicht so, dass es in Russlands Wirtschaft keine Probleme gäbe.
Wirtschafts-Sanktionen wirken nicht
Seit Kriegsbeginn Ende Februar 2022 setzt der Westen auf Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Russland. Das beiden letzten EU-Sanktionspakete umfassen unter anderem das Verbot, Diamanten und Diamantschmuck aus Russland in die Europäische Union einzuführen. Schon länger gibt es unter anderem ein weitreichendes Einfuhrverbot für Rohöl, Kohle, Stahl, Gold und Luxusgüter sowie Strafmaßnahmen gegen Banken und Finanzinstitute. Jüngst wurde die Liste mit Personen und Einrichtungen, deren in der EU vorhandene Vermögenswerte eingefroren werden müssen, noch einmal erweitert. Zudem sollen nun auch Unternehmen außerhalb der EU sanktioniert werden, sofern sie zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung seines Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen. An sie dürfen aus der EU dann keine militärisch nutzbaren Güter und Technologien mehr verkauft werden.
Aber teilweise verfehlen die Maßnahmen ihre Ziele. Es gibt seit vielen Monaten eine Debatte über die Wirksamkeit der schrittweise verschärften Sanktionen. Mit den Wirtschaftssanktionen sollen die Staatseinnahmen für Russland beschnitten werden. Es gibt aber in großem Maß Ausweichgeschäfte, bei denen Russland etwa Öl und Gas nun verstärkt nach Indien und China verkauft. Bestimmte russische Produkte wie Uran sind von europäischen und amerikanischen Sanktionen ausgenommen, weil Länder wie Frankreich oder die USA auf die Importe angewiesen sind.
Russland umgeht laut einer neuen Studie die westlichen Wirtschaftssanktionen vor allem über frühere Sowjetrepubliken, China und einen Nato-Staat: die Türkei. Zu diesem Schluss kommen die Wirtschaftsforscher von Münchner Ifo-Institut und Econpol. Grundlage der Auswertung ist eine Analyse der russischen Handelsströme. Demnach haben sich die russischen Importe bedeutender Wirtschaftsgüter und militärisch wichtiger Bauteile aus diesen Nachbarregionen in den vergangenen Jahren vervielfacht.
„Armenien, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und die Türkei haben im Jahr 2022 fünfzigmal mehr Güter nach Russland exportiert, die kritisch für die russische Wirtschaft oder wichtig für die Militärindustrie sind, als sie 2019 an allgemeinen Gütern in alle Zielländer exportiert haben“, erklärt Feodora Teti, die stellvertretende Leiterin des Ifo Zentrums für Außenwirtschaft.
Laut Studie importiert Russland mittlerweile viele Halbleiter aus Hongkong. In Zentralasien spielt den Autoren zufolge Kasachstan die Hauptrolle bei der Umgehung der Sanktionen.
Unterdessen sind weiterhin 300 Milliarden Euro von Russlands Devisenreserven, davon 210 Milliarden in der EU, eingefroren. Bislang hat das aber – abgesehen von dem sicherlich bestehenden Einfluss auf den schwachen Rubel und einem temporären Gewinneinbruch der russischen Banken – nichts großes bewirkt. Vielmehr ist es so, dass sich die EU mit ihren Plänen, Zinserträge aus eingefrorenen Vermögenswerten der russischen Zentralbank für die Ukraine abzuschöpfen, in äußerst gefährliches Fahrwasser begibt. Selbst die Europäische Zentralbank warnt vor einem solchen Schritt.
Moskau verfügt noch immer über gewichtige Hebel, mit denen es Druck auf die EU ausüben kann. In erster Linie sind dies die Gaslieferungen nach Europa, die zuletzt über die TurkStream-Pipeline sogar wieder deutlich anstiegen. Zudem sind immer noch viele Unternehmen aus der EU in Russland aktiv und unterhalten dort Produktionsanlagen, die zum Ziel von weiteren Enteignungen werden könnten. Der Kreml bereitet auch schon erste gesetzliche Grundlagen zur Konfiszierung von Privatvermögen vor.
Russische Banken unbeeindruckt von Sanktionen
Russlands Banken befinden sich derweil trotz der harten Finanzsanktionen in einem guten Zustand. Im vergangenen Jahr haben die Geldinstitute 3,3 Billionen Rubel beziehungsweise rund 34 Milliarden Euro verdient – ein neuer Rekordwert. Das Ergebnis kam wohl selbst für die die russische Zentralbank „etwas überraschend“, wie Alexander Danilow, Leiter der Abteilung für Bankenregulierung, verlautbaren ließ.
Das ist ein massiver Anstieg gegenüber dem Vorjahresgewinn des Sektors von 200 Milliarden Rubel (circa zwei Milliarden Euro). 2022 brachen die Banken-Gewinne aufgrund der westlichen Sanktionen um 90 Prozent ein.
Die Kreditvergabe an Unternehmen stieg 2023 um rund 20 Prozent. Der Zentralbank-Bericht vermittelt jedoch keine Details zu deren Verwendung. Man kann mutmaßen, dass es sich zu einem erheblichen Teil um Kredite handelt, die zum Aufkauf von Vermögenswerten ausländischer Firmen eingesetzt wurden. Viele westliche Unternehmen haben dem russischen Markt den Rücken gekehrt und mussten ihre Assets zurücklassen.
Ein weiter treibender Faktor für die guten Zahlen war eine stark gestiegene Nachfrage nach Immobilienkrediten, wie die Zentralbank mitteilte. Die Hypothekarkredite nahmen im Vorjahresvergleich um knapp 35 Prozent zu. Viele Russen stürzten sich auf das staatliche Angebot, Häuser und Wohnungen zu subventionierten Hypothekenzinsen zu kaufen. Statt 15 Prozent wurden dann nur 8 Prozent Zinsen fällig, für Familien sogar nur 6 Prozent.
Das Programm soll aber nun langsam auslaufen, wie die unabhängige russische Nachrichtenseite „The Bell“ auf ihrer englischsprachigen Seite berichtet. Das könnte zu Verwerfungen in der gesamten Wirtschaft führen. Laut „The Bell“ geben derzeit rund 60 Prozent aller Schuldner trotz künstlich niedriger Zinsen mehr als die Hälfte ihres Einkommen für die die Bedienung von Häuserkrediten aus.