Finanzen

Japan beendet historisches Zinsexperiment

Es ist das Ende einer zweifelhaften Ära an den Finanzmärkten: Die japanische Notenbank hat als letzte der Welt endlich beschlossen, die ultralockere Geldpolitik aufzugeben und eine Zinswende einzuleiten. Der negative Leitzins wurde abgeschafft. Die Märkte reagieren skeptisch.
19.03.2024 13:00
Aktualisiert: 19.03.2024 15:04
Lesezeit: 4 min
Japan beendet historisches Zinsexperiment
Die Märkte reagierten zunächst negativ auf die Entscheidung der japanischen Zentralbank, die Negativzinsen abzuschaffen und eine vorsichtige Zinswende einzuleiten. (Foto: dpa) Foto: Koji Sasahara

Die alte Nullzins-Ära geht endgültig zuende: Japans Zentralbank erhöht erstmals seit 17 Jahren den Leitzins und vollzieht damit eine historische Kehrtwende. Nach acht Jahren endet zugleich die Negativzinspolitik. Die Bank of Japan (BoJ) gab am Dienstag ihre seit 2016 gefahrene Linie auf, eine Gebühr von 0,1 Prozent auf Überschussreserven zu erheben, die Banken bei ihr parken. Sie legte den Tagesgeldsatz als neuen Leitzins fest. Statt der bisherigen minus 0,1 Prozent soll der Leitzins nun in einer Spanne von 0 bis 0,1 Prozent gehalten werden, indem die Notenbank unter anderem 0,1 Prozent Zinsen auf Einlagen der Geschäftsbanken zahlt.

Die letzte Bastion der Negativzinsen fällt

Die BOJ vollzieht damit als letzte große Zentralbank weltweit die Zinswende nach oben, während die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) nach teils aggressiven Erhöhungen der letzten zwei Jahren im laufenden Jahr schon wieder erste Senkungen anpeilen. Notenbankchef Kazuo Ueda sprach von einer Rückkehr zu einer "normalen Geldpolitik", die wie bei anderen Zentralbanken auf die Kontrolle der kurzfristigen Zinssätze fokussiere.

Die Entscheidung ist ein Paukenschlag. Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank zeigt sich beeindruckt: "Wow, sie hat es getan", sagte er über den geldpolitischen Schritt. Dass die Bank of Japan nun aber den Weg der Fed und der EZB einschlagen und die Leitzinsen in Rekordgeschwindigkeit anheben würde, sei eher unwahrscheinlich.

Kontrolle der Renditekurve wird aufgegeben

Die japanischen Währungshüter werden auch die umstrittene Kontrolle der Renditekurve aufgeben. Das Programm war seit 2016 in Kraft und deckelte die langfristigen Zinssätze bei null. Dafür musste die japanische Zentralbank in großem Stil langfristige Staatsanleihen aufkaufen - entscheidend sind hier die Papiere mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren. Die BoJ wird zwar weiterhin Staatspapiere erwerben, doch wird sie die Höchstgrenze für ihre Käufe japanischer Staatsanleihen reduzieren. Zugleich wollen Japans Währungshüter nicht mehr am Aktienmarkt aktiv sein, also keine ETFs oder Immobilien-Investmentfonds mehr kaufen.

Bis zu einem gewissen Grad konnte sich Japan die ultralockere Geldpolitik erlauben. Vor allem dank niedriger Energiepreise war die Inflation in Japan im Vergleich zu anderen Industrienationen nie besonders hoch (in der Spitze 4,3 Prozent) und beträgt aktuell 2,2 Prozent. Damit liegt die Teuerungsrate allerdings seit über einem Jahr über der Zielmarke von zwei Prozent. Hinzu kommt das schwache Wirtschaftswachstum - Japan erlitt auch nach dem Coronaeinbruch regelmäßig Dreimonatszeiträume mit negativer Konjunkturentwicklung, zuletzt im dritten Quartal 2023. Auch die enorme Staatsverschuldung von knapp 250 Prozent des BIP war beziehungsweise ist ein verständlicher Grund, die Zinsen so niedrig wie möglich zu halten.

Ein erster Schritt in Richtung normaler Zinsen ist nun getan. Finanzexperten glauben aber, dass die Finanzierungsbedingungen in Japan trotz der geldpolitischen Kehrtwende noch lange sehr locker bleiben, insbesondere weil die Inflation noch bei leicht über zwei Prozent liegt.

Märkte skeptisch - Yen massiv unter Druck

Der asiatische Inselstaat war mit seinem fast schon krampfhaften Festhalten an der Nullzinspolitik viele Jahre lang eine geldpolitische Anomalie. Der Yen hat die unkonventionelle Zinspolitik und die ständigen Interventionen am Anleihemarkt nicht gut verkraftet und steckt in einem massiven Abwärtstrend, der im November 2023 bei einem Wechselkurs von 151 Yen je US-Dollar in einem 32-Jahrestief mündete. In der letzten Woche und auch heute, nachdem die Zinswende angekündigt wurde, hat die japanische Währung wieder massiv abgewertet und für einen Dollar werden aktuell 150 Yen fällig. Der Yen ist damit drauf und dran, einen neuen historischen Tiefpunkt zu erreichen. Auch der Aktienindex Nikkei rutschte am Tag der Entscheidung ins Minus.

Es magelt an Rückenwind: Selbst nach der ersten zaghaften Zinsanhebung ist die Zinsdifferenz zum Rest der Welt immer noch enorm - Anlagen in der japanischen Währung sind wenig attraktiv. Die Märkte hätten hier lieber einen größeren Zinsschritt gesehen. Darüber hinaus ist mit Verwerfungen am langen Ende der Zinskurve zu rechnen, nachdem Japans Notenbank die Marktkräfte hier so lange unterdrückt hat.

Der UBS-Analyst Masamichi Adachi erklärte, dass die neue Leitlinie der Bank of Japan einen gewissen Spielraum für Zinserhöhungen ermögliche, da keine Bedingungen für die Beibehaltung der lockeren Geldpolitik festgelegt wurden. Die Märkte aber "reagierten immer noch pessimistisch, weil sie nicht glauben, dass sich die Inflation in Japan stabilisieren wird und dass die BoJ in der Lage sein wird, die Zinsen zu erhöhen", so der Ökonom gegenüber der Financial Times.

Opposition innerhalb der Notenbank

Auch nach der ersten Zinserhöhung seit 2007 bleibe unklar, wie es nun weitergehe, erläutert Commerzbank-Analyst Michael Pfister. Laut Martin Güth, Investmentanalyst bei der LBBW, vermittelte die BJJ nicht das Bild, dass die Beschlüsse der Anfang einer entschlossenen Zinserhöhungskampagne seien: "Ohnehin gab es auch zwei Gegenstimmen im neunköpfigen Gremium gegen den heutigen Entscheid. Diese Punkte sind wohl der Grund dafür, dass die Finanzmärkte auf den Zinsentscheid mit einer Abwertung des Japanischen Yen und leicht sinkenden langlaufenden Staatsanleiherenditen reagierten."

Mit Toyoaki Nakamura und Asahi Noguchi stimmten zwei Notenbanker gegen die Zinsanhebung. "Nakamura betonte in diesem Kontext, er hätte vor einer Zinsanhebung lieber noch auf klarere Hinweise für steigende Löhne auch bei den kleineren und mittelgroßen Unternehmen warten wollen", erläuterte NordLB-Analyst Tobias Basse. Aktuelle Kommentare von Notenbank-Chef Ueda zeigten jedoch, dass vor allem die jüngsten Lohnforderungen den Ausschlag für die Zinsanhebung gegeben haben dürften.

Die Bank of Japan hatte ein kräftiges Lohnwachstum zur Bedingung für eine geordnete Abkehr von der jahrelangen ultra-lockeren Geldpolitik gemacht. Die Tarifverhandlungen in den Großbetrieben endeten mit einer Lohnerhöhung von 5,28 Prozent. Das ist das größte Lohnwachstum seit 1991. Notenbankchef Ueda machte deutlich, dass die BoJ den weiteren Zinspfad an den Inflationsaussichten ausrichten wird.

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