Die Mehrheit der Familienunternehmen in Deutschland sieht die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union (EU) kritisch. Laut einer repräsentativen Umfrage des Ifo-Instituts, durchgeführt im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen, bewerten über zwei Drittel der befragten Betriebe die Leistung der EU in der Wirtschaftspolitik mit Noten von 4 bis 6. Besonders die zunehmende Regulierung und Bürokratie bereiten ihnen Sorgen: 89 Prozent der Unternehmen geben an, davon betroffen zu sein.
„Die ökonomische Stärke Europas ist in Gefahr: Niedrige Wachstumsraten, hohe Staatsverschuldung und eine überbordende Bürokratie, die vor allem aus Brüssel kommt, lähmen die europäische Wirtschaft. Deshalb ist es wichtig, die Weichen neu zu stellen und die EU-Politik an der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auszurichten“, warnt Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen.
Trotz der Kritik erkennen die Familienunternehmen die Vorteile der EU-Grundfreiheiten an. Zwei Drittel von ihnen sehen im freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr positive Aspekte. Jedoch stellen sie bei der Personenfreizügigkeit und dem Dienstleistungsverkehr weiteres Potenzial für Verbesserungen fest, insbesondere bei der Entsendung von Mitarbeitern.
Mehr Bürokratie, weniger Unterstützung
Die pessimistische Bewertung der Geschäftsaussichten in Europa spiegelt sich auch in der Einschätzung des Geschäftsumfelds wider. Dabei erwartet rund die Hälfte der Familienunternehmen ein negatives Umfeld . Als dringlichste Aufgaben werden die Eindämmung der Bürokratie und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit genannt. Hinzu kommt die Bedrohung durch Cyber-Attacken als weiterer Faktor, der die Unternehmen beschäftigt.
Die Umfrage zeigt deutlich, wie die Zunahme der Bürokratie die Unternehmen belastet. Fast 70 Prozent berichten von gestiegener Arbeitsbelastung, die überwiegend durch EU-Vorgaben verursacht worden sind. Diese Entwicklung führt laut beteiligten Unternehmen nicht nur zu Demotivation unter den Beschäftigten, sondern auch zur Einstellung neuer Mitarbeiter, speziell um europäische Berichtspflichten zu erfüllen. Dies fällt bei den größten Familienunternehmen besonders auf. Die mangelnde Unterstützung bei der Bewältigung administrativer Aufgaben, etwa durch digitale Angebote, verschärft die Situation den Unternehmern zufolge weiter.
Handlungsbedarf in der EU
Die Umfrage des Ifo-Instituts in München unterstreicht die Forderung deutscher Familienunternehmen nach einer signifikanten Reduzierung der Bürokratie und einer besseren Unterstützung durch die EU.
Laut den Familienunternehmen kann der aktuelle Zustand Innovationen und Investitionen gefährden. Deshalb sehen sie ein dringendes Erfordernis für ein Umdenken in der EU-Wirtschaftspolitik.
1038 Unternehmen haben sich von Mitte Januar bis Anfang Februar 2024 an der Umfrage in diesem Zusammenhang teilgenommen. Am 9. Juni soll in Deutschland die Europawahl stattfinden.
Familienunternehmen in der deutschen Wirtschaft
In Deutschland gab es nach Angaben der Plattform Statista im Jahr 2017 rund 2,95 Millionen familienkontrollierte Unternehmen: Diese befinden sich mehrheitlich im Eigentum einer überschaubaren Anzahl von natürlichen Einzelpersonen. Ein Großteil der Familienunternehmen beschäftigt weniger als 10 Mitarbeiter; nur 3 Prozent der Einzelunternehmen hatten mehr als 500 Beschäftigte.
Laut dem Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn sind 93,6 Prozent aller 3,6 Millionen Unternehmen in Deutschland Familienunternehmen. Ein charakteristisches Merkmal dieser Firmen ist die Verbindung von Eigentum und Leitung: Sie befinden sich im Besitz einer Familie und werden auch von deren Mitgliedern geleitet.