In Augsburg hat man schon vom alten Fugger gelernt, sparsam zu wirtschaften und mit Geld umzugehen. Nun ist Bayerisch-Schwaben mal wieder seinem Ruf weit voraus - ganz unbeabsichtigt allerdings. Als erste Großstadt hat die Stadtverwaltung unlängst ihren Bürgern angekündigt, den Gashahn abdrehen zu wollen. Die Änderungen für die ersten Augsburger Bürger greifen damit allerdings deutlich schneller als von den meisten auch nur im Ansatz erwartet.
Der kommunale Gasversorger kündigte seinen Kunden an, bereits in zehn Jahren aus dem Gas auszusteigen - zumindest in den ersten Augsburger Stadtteilen. Angeblich zwar nur wegen eines neuen Fernwärme-Anschlusses, beteuern die Augsburger Stadtwerke, nachdem die Sache in der Zeitung stand. Doch die Nachricht hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet und offenbart nun die schon weiter fortgeschrittenen Planungen bundesweit. Auch andernorts dürfte die Diskussion für heftige Reaktionen sorgen.
270 Milliarden Euro an Infrastruktur in Gefahr
Ziel ist offenkundig die Demontage aller Gasnetze bundesweit bis 2045. Das geht aus Planspielen des Bundeswirtschaftsministeriums hervor. Eine Infrastruktur, um die uns andere Länder beneiden, soll abgeschafft und entsorgt werden - Anlagen im geschätzten Wert von 270 Milliarden Euro, warnen Versorger. Die Politik indessen hat nur die Klimaziele im Sinn und ordnet offenkundig erneut alles der angestrebten Vollendung der Wärmewende unter.
Wie bitte? Nicht wenige dürften sich verwundert die Augen reiben. Warum schon wieder - Hals über Kopf - Fakten geschaffen werden, bevor nicht politisch und ergebnisoffen ausdiskutiert wurde, wo beim Heizen die Reise hingeht?
Sollte nicht das Gasnetz in Zukunft zur Durchleitung des klimaneutralen grünen Wasserstoffs genutzt und ertüchtigt werden? Während große Teile der Industrie versucht, auf synthetisches Methan umzustellen? Während an den Küsten Terminals für alternative Rohstoffe hochgezogen werden?
Chef des Ifo-Instituts sieht wiederholten Fehler
Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, äußerte sich überrascht: „Hier wird der Fehler wiederholt, funktionierende Anlagen abschalten zu wollen, bevor klar ist, ob und wie neue Anlagen funktionieren“, sagt er.
Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sieht die Sache kritisch: „Man sollte erst aussteigen, wenn man die Voraussetzungen für Alternativen geschaffen hat“, sagt sie. Das Argument des negativen Kosten-Nutzen-Vergleichs, mit dem die Bundesnetzagentur stellvertretend das erwünschte Vorgehen rechtfertigt, hält sie für nicht stichhaltig. Expertin Grimm betont, man müsse „die Dynamiken und mögliche Hemmnisse beim Aufbau von Alternativen berücksichtigen".
Die Sache könnte sonst womöglich laufen wie beim Thema Atomkraft. Auch da wurde mit fadenscheinigen Zahlenspielchen der schnelle Ausstieg durchgepeitscht - während in den anderen EU-Ländern längst wieder die Vorzüge dieser Technologie genutzt werden und gute Geschäfte versprechen. „Hohe Kosten für aktives Abreißen der Infrastruktur in Kauf zu nehmen, wäre für mich sehr überraschend. Wir haben viele andere Bedarfe, wo öffentliches Geld besser angelegt wäre“, warnt Grimm deshalb.
Gut möglich, dass Wirtschaftsminister auf Robert Habeck von den Grünen die nächste unangenehme Grundsatz-Debatte um die Ohren fliegt. Grundlage des Aktionismus ist nämlich ein sogenanntes Green Paper aus seinem Ministerium, das haarklein die Strategie fortsetzt und in die Praxis überführen möchte, wegen der im vergangenen Jahr Habecks Staatssekretär Patrick Graichen in Ungnade gefallen und letztlich geschasst worden war. Damals ging es um jene missglückte Hauruck-Aktion mit den Wärmepumpen, die die Bürger mit der rekordverdächtigen Erneuerung mittels 700.000 neuer Gasthermen im Lande beantwortet haben. Aber auch zum Thema Gasnetz hatte Graichen bereits eine sehr dezidierte Meinung vorgegeben. Anno 2022 hatte Habecks Staatssekretär auf einer Tagung der städtischen Gaswerke gesagt, 2045 sei „natürlich kein Gas mehr in den Netzen“.
Stadtwerke sollen bis 12. April Position beziehen
Mitte März hat nun sein Nachfolger Philipp Zimmermann das Diskussionspapier vorgelegt, um Firmen und Bürgern klare Antworten zu geben für die Zeit, in der kein Erdgas mehr verfeuert werden darf. Es ist im Internet frei zugänglich und kann dort von jedem gelesen werden. Die Vision ist klar umrissen: Die Verteilernetze werden von derzeit 500.000 Kilometern Länge „stark zurückgehen“, heißt es, weil sonst untragbare Kosten auf die Versorger und Bürger zukämen. Geschaffen werden müsse deshalb ein „Ordnungsrahmen“ - auch um ganz praxisnah die juristische Fragen zu beantworten, wann Kunden Anschlüsse verweigert oder auch gekündigt werden dürfen. Adressat des Papiers sind vorerst die Stadtwerke, sie sollen sich bis 12. April positionieren. Die Diskussion wird vermutlich breiter geführt - auch in der Wählerschaft.
Denn nicht nur für Gerald Linke, Chef des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches, scheint sich bereits ein ausgereifter Plan hinter dem Green Paper zu verbergen. „Wer Deutschland deindustrialisieren will“, sagt Linke, „kann das machen, was in dem Papier steht.“
Auch die Union wettert bereits gegen eine drohende Planwirtschaft, die im Hause Habeck vorbereitet wird. „Die geplante Stilllegung und der sukzessive Rückbau der Gasnetze können zu einer Kostenfalle für Verbraucher und energieintensive Industrie gleichermaßen werden“, befürchtet Wolfgang Steiger vom Wirtschaftsrat der CDU. „Hier versucht das Ministerium erneut, das Kind mit dem Bade auszuschütten und den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen.“
Alternativen nur jenseits von Deutschland?
Die Bundesregierung scheint immerhin gelernt zu haben, ihre Ziele diesmal nicht allzu forsch zu formulieren. So heißt es im Green Paper immerhin vorsichtig: „In welchem Umfang die Gasverteilernetze nach dem Jahr 2045 noch benötigt werden, wird unter anderem davon abhängen, inwieweit sie zur Verteilung von Wasserstoff verwendet werden können und sollen.“ Graichen hätte dies vermutlich deutlicher formuliert.
Als entscheidende Frage bleibt derweil offen, was Habecks Ministerium eigentlich unternimmt, Unternehmen zu unterstützen, die derzeit an neuen Optionen arbeiten. Die müssen befürchten, dass das Geschäft mit alternativen Rohstoffen wieder mal ganz woanders gemacht wird: in Frankreich oder Fernost.