Finanzen

Draghis gefährliche Vision: 500-Milliarden-Euro zur Neugestaltung Europas

Lesezeit: 3 min
22.04.2024 07:43
Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi hat eine klare Vision: Das Investitionsvolumen innerhalb Europas soll radikal erhöht werden. Ein Vorschlag mit deutlichen Risiken – auch für Steuerzahler – der die Souveränität der Mitgliedstaaten weiter beschneiden könnte. Was steht auf dem Spiel?

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der Ex-Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat eine wegweisende Vision, um die Wirtschaftsstrategie der Europäischen Union neu auszurichten. Er sieht die Notwendigkeit, die Investitionen auf einen jährlichen Wert von circa 500-Milliarden-Euro zu steigern – ein massives Unterfangen, um die grüne und digitale Transformation Europas erfolgreich zu gestalten. Neben diesen zukunftsorientierten Sektoren, erachtet er auch die Aufrüstung der Verteidigung als unerlässlich.

Draghi warnt: „(…) In Europa muss in relativ kurzer Zeit eine riesige Summe investiert werden“, vor allem vor dem Hintergrund, dass traditionelle Stützpfeiler wie die Energieversorgung aus Russland, Exporte aus China und die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA, zunehmend an Stabilität einbüßen.

Draghis Vision: Investitionen als Schlüssel zu einem prosperierenden Europa?

Investitionen betrachtet Draghi als fundamentales Element für ein starkes Europa. Hierbei betont Draghi entschieden die zentrale Rolle strategischer Kapitalinvestitionen, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem globalen Parkett zu stärken und langfristiges Wachstum zu sichern. Signifikante Investitionen, so Draghi, sind nicht nur im Kampf gegen den Klimawandel entscheidend, sondern auch zentral für die Förderung erneuerbarer Energien – beides Schlüsselelemente, um Europas Energieautonomie zu festigen und ökonomische Effizienz zu steigern.

Ferner sieht Draghi die Digitalisierung und Marktintegration als entscheidende Beschleuniger für den technologischen Fortschritt, die neue wirtschaftliche Chancen eröffnen. In einer Ära geopolitischer Unsicherheiten hebt er zudem die Notwendigkeit hervor, das Vertrauen in die europäische Sicherheitspolitik zu stärken.

Ambitionierte Finanzpolitik mit Risiken: Kreditvolumen der EIB soll massiv erhöht werden

Draghi erwägt neue EU-Finanzierungsoptionen, darunter neue gemeinsame Schulden, um das Investitionsklima anzukurbeln. Im Zentrum dieser Überlegungen steht die Europäische Investitionsbank (EIB). Als zentrale Förderbank für tragende Projekte finanziert sie diverse europäische Vorhaben. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Förderung von wichtigen Bereichen wie Umweltschutz oder Infrastruktur, die zur wirtschaftlichen Entwicklung, Arbeitsplätzen, regionaler Integration und ökologischer Nachhaltigkeit beitragen. Seit ihrer Gründung 1958 wurden Kredite von über einer Billionen Euro vergeben.

2022 belief sich das gezeichnete Kapital der EIB auf annähernd 248 Milliarden Euro, wobei nur ein Bruchteil von 22 Milliarden Euro davon eingezahlt wurde. Dieses Kapital fungiert als eine Art Versicherung - das Geld, das da ist, um im Notfall für Kredite zu haften, die nicht zurückgezahlt werden können. Reicht dieses Geld nicht aus, haften die EU-Staaten gemeinsam, teilen sie doch - als Anteilseigner der EIB - die potenziellen Schuldenrisiken!

Ein zentralisiertes Europa: Investieren, um zu florieren?

Diese Risikoübernahme bei von der Europäischen Investitionsbank (EIB) geförderten Projekten ist mehr als eine finanzielle Verpflichtung – sie ist ein Spiegelbild der europäischen Solidarität. Nehmen wir an, mehrere großangelegte, hypothetische Verteidigungsprojekte in Polen kämen ins Straucheln. Dies hätte im schlechtesten Falle indirekt auch Auswirkungen auf Deutschland als einzelne EU-Mitgliedstaat.

Zwar wird die EIB durch die EU-Mitgliedsstaaten kapitalisiert, so dass ein Ausfall des Kredits in erster Linie die Bank selbst betreffen würde - zumal die EIB sehr risikobewusst ist und über strenge Kreditvergabe- und Risikomanagement-Verfahren verfügt, um solche Szenarien zu vermeiden. Allerdings verbleibt in extremen Situationen, bei denen es zu umfassenden Zahlungsausfällen kommt, das letzte Risiko bei den Mitgliedstaaten. Dies könnte dazu führen, dass Mitgliedsländer für Projekte haften oder Garantien geben, die außerhalb ihres nationalen Wirkungskreises liegen.

Dies impliziert ein zunehmend verflochtenes Europa und eine Zentralisierung der europäischen Staatsstruktur, in der nationale Verantwortlichkeiten in einem größeren Pool geteilt werden – eine brisanter Drahtseilakt, bei dem ein möglicher wirtschaftlicher Aufschwung gegen das Risiko einer gemeinsamen Haftung und dem Verlust nationaler Souveränitäten abgewogen werden muss. Zumal eine Erhöhung der Geldmenge im Euroraum einen weiteren Nachteil mit sich bringen könnte - nämlich Inflationsrisiken und gesteigerte Lebenskosten.

Investitionsentscheidungen: Ein Kurs mit ungewissem Ausgang

Trotz des Risikos, das solch gewaltige finanzielle Beschlüsse mit sich bringen, bleibt Draghis Einfluss auf die europäische Politikszene unvermindert stark. Unterstützt durch hochrangige politische Befürworter wie Finanzminister Christian Lindner, der die sicherheitspolitischen Vorteile für Deutschland betont, gewinnt der Vorstoß an Tragkraft. Auch der belgische Finanzminister Vincent Van Peteghem zeigt Bereitschaft, in kritischen Zeiten in die Zukunft der EU zu investieren und betont, dass ein „enormes Investment in den nächsten Jahren benötigt wird“.

In den kommenden Monaten wird Draghi seine Vision weiter ausarbeiten, mit dem Ziel, sie auf dem nächsten ECOFIN-Gipfel im Juni zur Diskussion zu stellen. Der ECOFIN-Gipfel spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der wirtschaftlichen Zukunft der EU. Die europäischen Wirtschafts- und Finanzminister koordinieren dort Maßnahmen, um die finanzielle Stabilität zu sichern und die Weichen für nachhaltiges Wachstum und Integration stellen. Die Entscheidungen dieses Forums sind von substanzieller Tragweite und formen maßgeblich die finanzielle wie auch die wirtschaftspolitische Zukunftsausrichtung des Kontinents.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Rezession droht im Winter, Euro ist im Sinkflug: Was sind die Gründe?
22.11.2024

Stagnation der deutschen Wirtschaft, ein schwächelnder Euro, miese Stimmung in den Unternehmen: Ökonomen befürchten eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoins-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch nahe 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
22.11.2024

Ein Bitcoin-Rekordhoch nach dem anderen - am Freitagmorgen kletterte der Bitcoin-Kurs erstmals über 99.000 US-Dollar. Seit dem Sieg von...

DWN
Politik
Politik Krankenhausreform: Entscheidung über Lauterbachs hoch umstrittenes Projekt heute im Bundesrat
22.11.2024

Krankenhausreform: Kommt sie jetzt doch noch? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht mit seinem hochumstrittenen Projekt vor...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
22.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Aktien sind heiß gelaufen: Warum immer mehr Analysten den europäischen Aktienmarkt in den Blick nehmen
22.11.2024

Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht zunehmend Risiken für US-Aktien. Nach der jüngsten Rekordjagd an den US-Börsen verlieren...

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...