Oranienburg ist nicht Berlin, sondern mit 42.000 Einwohnern nur eine Kleinstadt im Norden der Hauptstadt - immerhin mit S-Bahn-Anschluss, auch wenn derzeit auf dem Regionalbahngleis eine von den Schienen gesprungene Lokomotive im Wege steht. Die Ereignisse überschlagen sich dort gerade, wobei die jüngsten Schlagzeilen nun sogar bundesweit Interesse erzeugen.
Denn: Die Stadtwerke Oranienburg mussten die Bundesnetzagentur dieser Tage beschämt darüber informieren, dass im vorgelagerten Hochspannungsnetz nicht genug Saft für die voll umfängliche Versorgung der Stadt bereitsteht. Es könnten leider weder neue Wärmepumpen noch Wallboxes installiert werden von den Bürgern. Schon gar nicht sei an die Versorgung von zusätzlichen Industrie- und Gewerbekunden zu denken.
„Der ersten Stadt geht der Strom aus“, war prompt auf Social Media zu lesen. Ein weiterer Vorbote der Herausforderungen, die uns die Energiewende Robert Habecks beschert? Nun ja, der grüne Wirtschaftsminister ist sicherlich für viele Fehlentscheidungen verantwortlich, aber nicht auch noch für das Missmanagement der Strombarone im nördlichen Brandenburg.
Zugegeben auch, dass sich die Mangellage schon im September 2023 abgezeichnet hatte. Damals dachte im Management der Stadtwerke Oranienburg GmbH wohl erstmals jemand laut über den Bau eines eigenen Umspannwerkes nach. Danach diskutierten erst dann die Gremien, bis diese Woche endlich die Bundesnetzagentur alarmiert wurde. So ist das: Manche Geschichten brauchen länger, um in ihrer tieferen Bedeutung klar zu werden.
Einzelfall, der einen langen Schatten voraus wirft
Seitdem glühen die Leitungen heiß, zunächst mal die von den Telefonen des kommunalen Stromanbieters. Die Anfragen besorgter Bürger häufen sich - im Tenor ist es eine Mischung aus Sorge und Ungläubigkeit, die sich da derzeit Bahn bricht. Wie viel Aufrufe womöglich gar Check24 bekommen hat, wissen wir nicht. Die zentrale Frage und Ratio dahinter ist nur allzu verständlich: „Muss ich zu einem anderen Versorger wechseln, der noch Strom hat?“
Nun ja, die schlichte Antwort fällt zwiespältig aus: Es ist in Brandenburg und den neuen Bundesländern mit gut 120 Terrawattstunden sogar so viel Strom da, dass er durchgeleitet und verkauft wird, sagt der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Nur nicht jeder in Oranienburg bekommt ihn aktuell.
Die Versorgung steht zwar, beteuern die Verantwortlichen, nur mit der Vorsorge ist es nicht so weit her. Denn ein neuer Stromanschluss, also ein Standardprodukt bei eigentlich allen Stromversorgern, ist derzeit Mangelware. „Wir können Ihnen bis auf weiteres keinen neuen Strom-Hausanschluss anbieten.“ Schon gar nicht, wenn eine weitere Wärmepumpe in Betrieb gehen soll, so wie sich dass die Bundesregierung händeringend wünscht.
Wer ist also schuld? Oder kommt es da gar nicht drauf an, weil die Geschichte einen grundsätzlichen Konflikt in sich birgt und ein Krisen-Szenario aufzeigt?
Die Stadtwerke Oranienburg schieben die Verantwortung tatsächlich dem Regionalnetzbetreiber E.dis zu, der zu zwei Dritteln E.on und zu einem Drittel kommunalen Teilhabern gehört. Der Bitte um höhere Kapazitäten für die wachsende Gemeinde sei dort leider nicht entsprochen worden, nun musste man den Stecker ziehen, um im Bild zu bleiben. „Damit sind die Versorgungsmöglichkeiten in der Stadt Oranienburg ausgeschöpft“, ließ sich Peter Grabowsky, Geschäftsführer der Stadtwerke, zitieren.
Mit den nun bekannt gewordenen Folgen: „Um das Stromnetz in Oranienburg weiter stabil zu halten, können die Stadtwerke ab sofort keine Neuanmeldungen oder Leistungserhöhungen von Hausanschlüssen mehr genehmigen.“ Auch Bürgermeister Alexander Laesicke wirbt dringend um Verständnis: „Der Strombedarf unserer wachsenden Stadt hat sich enorm entwickelt, schneller, als es in der Vergangenheit vorausgesehen wurde.“ Das mit dem neuen Umspannwerk wird wohl bis 2026 dauern. Bis dahin müssten Neubürger und expansionsbereite Unternehmer geduldig sein. Oder sich besser eine andere Stadt aussuchen! Denn Oranienburg hat erst mal fertig. Der Bürgermeister ahnt, „dass wir in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht mehr bauen können.“
Die Bundesnetzagentur macht keinen großen Hehl daraus, wo er Hase im Pfeffer liegt, wenn man auf Anfragen mitteilt: „Netzbetreiber haben ihr Netz vorausschauend zu ertüchtigen, um grundsätzlich Problemen mit mangelnder Kapazität vorzubeugen.“ Und im konkreten Fall heißt das: „Teil der Sachverhaltsaufklärung wird daher auch sein, warum dies in vorliegendem Fall anscheinend nicht geschehen ist.“
Freilich kann dies auch andernorts passieren, wenn man bedenkt, wie Deutschlands Terrassen und Dächer mit PV-Balkonkraftwerken gepflastert werden. Dass der Netzbau ganz generell schleunigst an Fahrt aufnehmen muss, wäre eine Lehre, de aus dem Fallbeispiel Oranienburg in jedem Fall zu ziehen ist.
Es gibt ein Recht auf Stromanschluss
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) ist freilich um Gelassenheit bemüht: „Der Gesetzgeber hat die Planungsinstrumente für Verteilnetzbetreiber gerade erst nachgeschärft, dadurch dürften sich Prognosefehler in Zukunft leichter vermeiden lassen.“ Wobei eingeräumt wird, dass „disruptive Entwicklungen und explosionsartige Wachstumsprozesse" natürlich Unsicherheiten erzeugen, „die sich trotz aller Anstrengungen nie ganz ausschließen lassen.“
Nicht von ungefähr warnen die großen Stromproduzenten wie RWE, dass es auf die richtige Reihenfolge bei der Energiewende im Lande ankommt. „Damit die Kosten nicht aus dem Ruder laufen, müssen Netzausbau und Erneuerbaren-Ausbau viel stärker synchronisiert werden“, mahnt RWE-Chef Markus Krebber. Die Bundesnetzagentur indessen warnt bereits unmissverständlich vor zivilrechtlichen Konsequenzen für die Anbieter: „Grundsätzlich besteht für Netzbetreiber die allgemeine Pflicht, Anschlussbegehrende an ihr Netz anzuschließen. Dies gilt auch für steuerbare Verbraucher wie Wärmepumpen oder Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge.“ Manchen erinnert das an den berühmten Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz - der entspricht zwar auch der Rechtslage, gilt Eltern aber als unbefriedigte Sehnsucht.