Finanzen

Reich werden an der Börse: Ist das realistisch?

Lesezeit: 4 min
16.09.2024 09:06
Viele Anleger wollen an der Börse reich werden. Doch ist das wirklich der Königsweg? Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben mehrere Experten und Reichtumsforscher dazu befragt.
Reich werden an der Börse: Ist das realistisch?
Diversifizierung ist, unter anderem, entscheidend für Anleger. (Foto: iStock.com/Antonio_Diaz)
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Influencer werben auf sozialen Medien mit großen Versprechungen. Mit der richtigen Handelsstrategie oder dem richtigen Vermögenswert lasse sich bereits in wenigen Jahren ein Millionenvermögen aufbauen. Etwa erklärt ein Anbieter von Tradingkursen in einem Youtube-Video, mit seiner Kryptostrategie sei ein siebenstelliges Vermögen innerhalb von vier Jahren drin.

Der Honorar-Finanzanlagenberater Stefan Kemmler von Rheinplan hält solche Aussagen für Bauernfängerei. Fakt sei, auf lange Sicht schlage fast niemand den Markt und auf kurze Sicht ließen sich hohe Renditen bloß mit hohem Risiko erzielen, erklärt der Kölner schriftlich gegenüber DWN.

„Wenn’s doch so leicht ist, warum bieten diese selbsternannten Finanzgurus mit geliehenen Sportwagen und angemieteten Premium-Immobilien solche Seminare überhaupt an“, fragt Kemmler rhetorisch. „Könnte es sein, dass es für die Anbieter ein besseres Geschäft ist, Tschaka-Tschaka-Seminare zu verkaufen, als dauerhaft selbst an der Börse im großen Stil zu zocken?”

Reichtum an der Börse für Durchschnittsverdiener kaum erreichbar

Laut Kemmler ist es durchaus möglich, an der Börse reich zu werden - allerdings bloß auf lange Frist. Etwa habe ein reines Aktienportfolio in den vergangenen 120 Jahren eine Nominalrendite von sieben Prozent pro Jahr erzielt. Würde sich die Entwicklung auch künftig so fortsetzen, was nicht gewiss sei, dann würde sich das eingesetzte Kapital alle zehn Jahre verdoppeln.

Gleichwohl sei entscheidend, wie man Reichtum für sich definiere, gibt Kemmler zu. Außerdem sei ein ausreichender Anlagehorizont, Disziplin und Priorität nötig.

Eine Berechnung von DWN zeigt, dass ein Millionenvermögen für die meisten Verdiener nicht erreichbar sein dürfte. Geht man von einem Sparer aus, der mit 25 Jahren in günstige Aktien-ETFs zu investieren beginnt und mit 67 Jahren in Rente geht (43 Jahre Anlagezeitraum), dann erreicht dieser ein Nettovermögen von 1,7 Millionen Euro. Die Annahmen hierbei: Er gehört zu den obersten 10 Prozent der Einkommensbezieher (Nettoeinkommen von über 4000 Euro) und spart 20 Prozent pro Monat des Nettoeinkommens (Sparrate von 810 Euro pro Monat).

Gehört er zu den obersten 20 Prozent, legt er 645 Euro pro Monat zur Seite und kommt nach 43 Jahren auf 1,3 Millionen Euro. Bei einem Durchschnittseinkommen von 2200 Euro verfehlt er hingegen die Million (904.000 Euro Endvermögen; Sparrate von 440 Euro).

Dabei ging DWN von typischen Steuern aus (1000 Euro Sparerpauschbetrag; Teilfreistellung von 30 Prozent; keine Kirchensteuer) und geringen Anlagekosten (Depotkosten von 0,1 Prozent pro Jahr; ETF-Kosten von 0,2 Prozent pro Jahr). Außerdem erhöht sich die Sparrate jährlich um 2 Prozent aufgrund von Lohnsteigerungen und die Aktienquote beträgt sehr hohe 100 Prozent.

Rentner haben ein relativ geringes Nettovermögen

Der Sparer erzielt daher die historische, inflationsbereinigte Aktienrendite von fünf Prozent pro Jahr, die laut “Global Investment Returns Yearbook 2023” in den 123 Jahren von 1900 bis 2022 zu beobachten war. Die Einkommensdaten stammen vom IW Köln und beziehen sich auf das Jahr 2019.

Geht man hingegen von einem Portfolio aus 70 Prozent Aktien und 30 Prozent Anleihen aus, so lag die historische Rendite nur bei vier Prozent pro Jahr nach Inflation. Hier liegen die Endvermögen geringer: Der Top-10-Verdiener kommt auf 1,4 Millionen Euro, der Top-20-Verdiener auf 1,1 Millionen Euro und ein Durchschnittsverdiener auf 773.000 Euro.

Für die meisten Deutschen dürfte also am Kapitalmarkt eher eine gesicherte Altersvorsorge denn Reichtum drin sein. In der akademischen Reichtumsforschung gilt häufig ein Wert von 300 Prozent des Durchschnittseinkommens als Einkommensreichtum, was bei einer Bruttoverzinsung von vier Prozent einem Vermögen von 2,4 Millionen Euro entspreche, wie der Reichtumsforscher Rainer Zitelmann in seinem Buch “Reich werden und bleiben” erklärt.

Tatsächlich sind die Vermögen von Rentnern in Deutschland aber deutlich geringer, wenn man Ansprüche aus der gesetzlichen Rente außen vor lässt. Laut dem Deutschen Institut für Altersvorsorge kommen Rentner auf ein durchschnittliches Nettovermögen von gerade einmal 230.000 Euro. Grund dürfte die Beliebtheit von Immobilien und Bankeinlagen sein, die geringer rentieren als Aktien.

Die meisten werden als Unternehmer reich

Laut der Reichtumsforschung gelangen die meisten Reichen denn auch durch Unternehmertum zu Vermögen und nicht durch Börseninvestments. Es sei nicht leicht, als Angestellter reich zu werden, erklärt Reichtumsforscher Zitelmann. „Die Wahrscheinlichkeit, sehr hohe Erwerbseinkommen zu erzielen, liegt insgesamt für Selbstständige um ein Vielfaches höher.”

Laut einer DIW-Studie aus dem Jahr 2014 erzielen Freiberufler und Unternehmer in der Spitze deutlich höhere Einkommen. Die Top-1-Prozent der Solo-Selbstständigen kommt auf ein Nettomonatseinkommen von 8750 Euro, Selbstständige mit Angestellten (Unternehmer) sogar auf 20.000 Euro. Die obersten ein Prozent der Angestellten erzielten bloß 5250 Euro. 73 Prozent aller deutschen Millionäre waren denn auch im Jahr 2021 selbstständig, wie Zahlen des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW weiter zeigen.

Zitelmann rechnet es vor: Selbst ein Manager mit 250.000 Euro Jahresgehalt komme nach Steuern und Abgaben “nur” auf 11.000 Euro netto pro Monat. Wenn er davon die Hälfte monatlich zur Seite lege (5500 Euro), brauche er zwölf Jahre für die erste Million. Annahme hierbei: Eine relativ hohe Rendite von 4 Prozent nach Steuern. „Vier Prozent nach Steuern Jahr für Jahr zu erwirtschaften ist jedoch anspruchsvoller, als die meisten Menschen denken”, erklärt Zitelmann.

Zitelmann verweist zudem auf Umfragen, in denen bloß eine kleine Minderheit der Reichen angab, durch Börseninvestments reich geworden zu sein. Laut der Forbes-400-Liste waren etwa 67 Prozent der 400 reichsten US-Amerikaner im Jahr 2021 self-made-Milliardäre. Nur 30 Prozent waren teilweise oder gänzlich über ein Erbe reich geworden und drei Prozent als Angestellte, wie Statista-Zahlen zeigen. Von den self-made-Milliardären stammten wiederum nur 12 Prozent aus der Oberschicht.

Gleichwohl hat auch Unternehmertum seine Nachteile: Firmeneigentümer haben weniger Freizeit und unterliegen einem deutlich höheren Privatinsolvenzrisiko als Angestellte. Laut dem Institut für Mittelstandsforschung scheitern 78 Prozent der Existenzgründungen in den ersten fünf Jahren. So viele waren 2020 noch aktiv, die im Jahr 2015 gegründet wurden. Außerdem liegt die Wochenarbeitszeit von Millionären bei 47 Stunden, während Normalverdiener laut dem DIW bloß 36 bis 38 Stunden arbeiten.

Wie hoch sollte mein Vermögen sein?

Laut Stefan Kemmler sollten sich daher Anleger vor allem bewusst machen, wie viel zusätzliche Einnahmen sie aus dem an der Börse investierten Kapital beziehen wollen. „Zieht man die veraltete vier-Prozent-Regel heran, so wäre das 25-fache des Jahresbedarfs als Kapital nötig”, erklärt der Kölner. Bei einem Bedarf von monatlich 1000 Euro bräuchte es etwa 300.000 Euro Vermögen zum Rentenbeginn.

Eine niedrigere Entnahmerate sei allerdings sicherer. Gehe man von drei Prozent aus, seien bereits 400.000 Euro Vermögen zum Rentenbeginn nötig. „In Abhängigkeit des Anlagehorizonts und des eigenen Risikoprofils lässt sich dann sowohl das einmalig als auch das monatlich zu investierende Kapital grob berechnen.”

Der Reichtumsforscher Rainer Zitelmann rät zu einem diversifizierten Portfolio aus Anleihen, Aktien und Immobilien. Anleger sollten auf geringe Kosten achten, etwa über ETFs mit Aktien und Anleihen. Seine Anlagestrategie verändere er kaum im Zeitablauf. „Mein wichtigster Rat: Meistens nichts tun”, erklärte Zitelmann gegenüber DWN.

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Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 


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