Die Sache mit der DDR muss betont werden, auch wenn Bendix sich natürlich als deutscher Tüftler und Erfinder sah und bloß nicht als Ewiggestriger wahrgenommen werden wollte. Bendix, der im vergangenen Sommer mit stolzen 93 Jahren in Leipzig verstorben und dort auf dem Ostfriedhof beigesetzt wird, war stets „Young at heart“ geblieben, wenn es um die technische Zukunft und das deutsche Ingenieurwesen ging. Wer weiß, was schon in ein paar Jahren über den Mann in Wikipedia nachzulesen sein wird? Womöglich, wie der Maschinenbauingenieur in Anspielung an das berühmte Songtext von Reinhard Mey „Hoch oben über den Wolken wird die Windkraft wohl grenzenlos sein“ am Firmament seiner Heimat die Energie einzufangen versucht hat.
Als Horst Bendix am Kran des Fernsehturms tüftelte
Auf jedem Fall bleibt es ein Meilenstein seiner Vita, wie Bendix einst als Forschungschef des Schwermaschinenbauers Kirow in Leipzig jenen Kran entworfen hat, mit dem das Wahrzeichen Berlins - der DDR-Fernsehturm mitten auf dem Alexanderplatz - errichtet wurde. Als rastloser Rentner wollte er genauso hoch hinaus, um den Siegeszug der Windkraft in Deutschland zu unterstützen. Sein Ziel war nicht geringer, als am Firmament Europas mitzubauen - mit Windrädern, die höher so hoch sind wie der Telespargel (368 Meter) und der Eiffelturm (330 Meter) in Paris.
Rafael Laguna de la Vera, Direktor der ebenfalls in Leipzig ansässigen Agentur für Sprung-Innovationen (Sprind) will es nun endlich wissen und den großen Traum von Horst Bendix postum Realität werden lassen. Die noch zu Zeiten Angela Merkels (CDU) mit Fördergeldern ausgestattete Sprind sieht es als ihre Aufgabe, „Räume zu schaffen, in denen Innovator:innen Risiken eingehen und radikal anders denken können“, so das Credo des deutschen Technologie-Inkubators. Sie unterstützen bereits neuartige Immuntherapien gegen Krebs, sogenannte Memresistoren zur Bewältigung der für alle Ewigkeit drohenden Datenflut und auch in der invasiven Medizin erforderliche Nano-Roboter. Und jetzt auch das von Horst Bendix erdachte Höhenwindrad, dass das bislang größte der Welt (178 Meter hoher Turm und Gesamthöhe von 246,5 Metern) in Gaildorf bei Stuttgart deutlich in den Schatten stellt.
Immer wieder stand die Errichtung im alten Bergbau-Revier Lausitz bevor und wurde wegen diverser Bedenken und Einwände ausgebremst und gestoppt. Dabei scheint der Höhensprung unausweichlich zu werden, wo doch in Deutschland die Flächen für weitere Windparks rar werden und die Expedition in höhere Sphären beinahe unausweichlich erscheint. Mit 50-Meter-Objekten fing es in den 80er-Jahren noch recht konservativ und kleinlaut an, inzwischen gelten 200-Meter-Windräder als technisch verlässlich, auch in der Masse realisierbar - und ökonomisch erstrebenswert.
Bei Klettwitz soll es hoch oben über dem einstigen Tagebau der Region thronen, die Dresdner Firma Großmann Ingenieur Consult (Icon) sollen es planen und errichten. Seit 2020 hat die Sprind das Projekt unter ihre Fittiche Genimmen, nachdem Bendix sich bei den führenden Unternehmen der Windenergie überall Absagen eingehandelt hatte - um nicht zu sagen, dass der alte Herr mit seinen weißen Haaren und Rollen von Konstruktionsplänen unterm Arm von manchem Manager als Spinner abgetan wurde. Bis Martin Chaumet, der Innovationsmanager von Sprind, sich bei einem Besuch in einem Leipziger Neubauquartier von Bendix überzeugen ließ. Oder besser gesagt: Als Spinner gelten ohnehin alle die, die in die Zukunft aufbrechen will. Das gelte uneingeschränkt auch für die Innovations-Agentur und sein „eigenes Job-Profil“, findet Chaumet.
Sprind - eine Anlaufstelle für Spinner und Visionäre
Die Sprind unterhält zur Beurteilung solcher Projekte über ein „Board der Trüffelschweine“, wie sich die Querdenker liebevoll selbst bezeichnen. Denn die Anwendung und mögliche Skalierung steht im Vordergrund, es geht nicht um Rekorde ihrer selbst Willen. Der Vorteil der Höhenwindräder bestehe darin, so der Befund, in den Lücken der anderen Windräder in den Energieparks ausreichend Platz zur wirtschaftlich vorteilhaften Verdichtung zu finden. Statt auf futuristische windschnittige Baustoffe (mit ihren späteren Entsorgungsproblemen) setzt das Sprind-Team auf die Errichtung klassischer Hochspannungsmasten in stabiler und bewährter Gitter-Struktur sowie herkömmliche Turbinentechnik. Geklärt werden müsse nun allerdings noch, wie sich der Wind oben über den anderen Windrädern verhält. Es gibt Wissenschaftler, die die Wechselwirkungen der Strömungen als kritisch erachten - Experten sprechen vom sogenannten „Nachlauf“, der zu testen sei.
Voller Zuversicht zeigen sich sogar einige Naturschützer. Die Windräder - so weit in der Höhe - könnten womöglich auch weniger bedrohlich für die Fauna sein. Wobei genau diese Fragen, das Projekt wahrscheinlich noch weitere Jahren bis zur Serienreife kosten könnten. Ohne Dokumentation und wissenschaftliche Begleitung geht ja nichts - auch wenn allerorten schneller Bürokratieabbau und auch mehr Pragmatismus eingefordert wird.
Der Optimismus, dass es klappen könnte, beflügelt unterdessen bereits die Phantasie der Wirtschaft. Die Strommenge aus regenerativem Windrädern könnte sich leicht verdoppeln lassen - fantastische Aussichten auch für Robert Habeck, den grünen Wirtschaftsminister. Wer würde dann noch über Atomkraftwerke diskutieren? Und selbst die FDP könnte sich stolz brüsten, dass ihre propagierte Technologie-Offenheit sich mal wieder voll bewahrheiten würde. Eine Win-Win-Situation könnte sich da bald am Horizont der Lausitz abzeichnen. Schade nur, dass der Spiritus Rector des Vorhabens den Triumph der Technik nicht miterlebt.