Weltwirtschaft

Gazprom in den roten Zahlen: China kann Europäische Nachfrage nicht ersetzen

Lesezeit: 3 min
13.05.2024 18:49  Aktualisiert: 13.05.2024 19:00
Europas Embargo gegen russisches Gas stellt Gazprom vor massive Herausforderungen. Die Bemühungen, den Absatzmarkt nach China zu verlagern, schlagen fehl, wie aktuelle Daten zeigen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Russlands staatlicher Gaskonzern Gazprom, einst das wertvollste Unternehmen des Landes, kämpft enorm mit den Folgen des europäischen Embargos für Direktimporte von russischem Erdgas.

China kann Europäische Nachfrage nicht ersetzen

Gazproms Versuche, die Lücken durch mehr Verkäufe im Heimatmarkt und mit Lieferungen nach China zu schließen, haben nur begrenzten Erfolg, wie von der Nachrichtenagentur Reuters zusammengetragene Daten zeigen. Michal Meidan, Expertin für China beim Oxford Institute for Energy Studies, glaubt nicht, dass die Volksrepublik Europa als hochprofitablen Gasmarkt ablösen kann. „China ist für Russland ein Absatzmarkt, aber mit viel niedrigeren Preisen und Umsätzen als Europa.“ Gazprom könnte daher vor einer langanhaltenden Geschäftsflaute stehen.

Europa, vor allem aber Deutschland war über Jahrzehnte der größte Absatzmarkt für Erdgas aus Sibirien und weiteren Regionen Russlands. Dies hat sich mit dem seit 2022 tobenden Krieg in der Ukraine verändert. Deutschland mitsamt Gazproms größtem Einzelkunden, dem Düsseldorfer Uniper-Konzern, verzichtet ganz auf das Pipelinegas aus Russland, andere Länder fuhren ihre Importe zurück. Das eingebrochene Gasgeschäft mit Europa trug dazu bei, dass Gazprom erstmals seit 1999 ein Geschäftsjahr mit einem Verlust beendete: In der Bilanz von 2023 steht ein Fehlbetrag von umgerechnet sieben Milliarden Dollar.

Neue Gas-Pipelines nach China

Russland hat nach Daten von Gazprom und Reuters-Berechnungen im ersten Kriegsjahr 2022 auf verschiedenen Routen noch rund 63,8 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa exportiert. 2023 gingen die Lieferungen um mehr als die Hälfte auf 28,3 Milliarden Kubikmeter zurück. Diese Zahlen sind weit entfernt von Zeiten wie 2018, als Russland in die Europäische Union und weitere Länder, beispielsweise die Türkei, insgesamt 200,8 Milliarden Kubikmeter Erdgas pumpte. Die Exportkapazitäten wurden auch durch die Schäden an den Nord-Stream-Röhren in der Ostsee verringert, wo es im September 2022 zu bis heute ungeklärten Explosionen kam.

Russland hat sich daher China zugewandt. Bis 2030 sollen jährlich 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach China strömen. Hierzu sollen auch neue Pipelines beitragen. Allerdings kommen die Planungen zum Teil nur schleppend voran, weil man sich über den Preis und andere Dinge nicht einig wird. Seit Ende 2019 pumpt Russland Gas durch die Pipeline „Power of Siberia“ in die Volksrepublik. Russland werde seine Einnahmen durch neue Röhren etwas ausbauen, sagt Kateryna Filippenko, Gas-Expertin der auf Energiemärkte spezialisierten Analysefirma Wood Mackenzie. „Das alles wird aber niemals ausreichen, um die Einbußen in Europa auszugleichen.“

Gazprom: Verluste auf absehbare Zeit

Selbst wenn Gazprom alle Pipeline-Projekte realisiert, wären die Umsätze mit China deutlich niedriger als mit Europa: Nach Angaben des in Moskau ansässigen Handelsbüros BCS beliefen sich die Einnahmen von Gazprom aus Gasverkäufen nach Europa im Zeitraum 2015 bis 2019 dank monatlicher Lieferungen von 15,5 Milliarden Kubikmetern auf durchschnittlich 3,3 Milliarden Dollar pro Monat. Die Einnahmen aus den Gaslieferungen nach China liegen nach Reuters-Berechnungen für das gesamte Jahr 2023 eher bei 6,5 Milliarden Dollar - wenn man den vom russischen Wirtschaftsministerium angegebenen Preis von 286,9 Dollar je 1.000 Kubikmeter für die 22,7 Milliarden Kubikmeter Gas anlegt, die Gazprom im vergangenen Jahr an die Volksrepublik geliefert hat. Der Konzern hat seine Einnahmen aus Verkäufen nach Europa oder China für 2023 nicht gesondert ausgewiesen.

Einem Dokument zufolge, das Reuters vergangenen Monat einsehen konnte, erwartet das russische Wirtschaftsministerium, dass der Gaspreis für Exporte nach China in den nächsten vier Jahren kontinuierlich sinkt. In einem Worst-Case-Szenario ist sogar von einem Einbruch im Jahr 2027 um 45 Prozent auf 156,7 Dollar pro 1,000 Kubikmeter die Rede. Ein Grund für diese Erwartungen waren in dem Dokument nicht angegeben, aber Konkurrenz gibt es von Turkmenistan, das ebenfalls Gas über eine Pipeline nach China liefert, oder von Flüssiggas-Lieferungen.

Alexej Belogorijew vom Institute für Energy und Finanzen in Moskau geht davon aus, dass Gazprom im Gasgeschäft auf absehbare Zeit rote Zahlen schreiben wird. „China wird in den 2030ern wahrscheinlich kaum höhere Importe benötigen, weil die Nachfrage langsamer wächst und China selbst immer mehr Gas produziert.“


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit neuem Rekordhoch - geht es jetzt Richtung 100.000 US-Dollar?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag legt die wichtigste Kryptowährung direkt nach. Seit dem Sieg von Donald Trump bei...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...

DWN
Politik
Politik US-Staatsapparat: Tech-Milliardär Elon Musk setzt auf Technologie statt Personal - Unterstützung bekommt er von Trump
21.11.2024

Elon Musk soll dem künftigen US-Präsidenten Trump dabei helfen, Behördenausgaben zu kürzen und Bürokratie abzubauen. Er gibt einen...

DWN
Politik
Politik Neue EU-Kommission: Nach heftigen Streit auf „umstrittenes“ Personal geeinigt
21.11.2024

Nach erbittertem Streit haben sich die Fraktionen im EU-Parlament auf die künftige Besetzung der Europäischen Kommission geeinigt. Warum...