Mögliche EU-Zölle gegen chinesische E-Autos werden aktuell heiß diskutiert: Denn vor drei Tagen beschlossen die USA, die Strafzölle gegen Elektroautos aus China auf 100 Prozent anzuheben. Zudem verhängte die US-Administration neue oder stark erhöhte Zölle unter anderem für Solarzellen, Batteriekomponenten, spezielle Mineralien, Halbleiter, Stahl, Aluminium und medizinische Güter. Der Tenor aus den USA, der in ähnlicher Form auch in der EU zu vernehmen ist: China flute den Weltmarkt mit künstlich verbilligten - da staatlich subventionierten - Industrieerzeugnissen. Das würde den Wettbewerb zugunsten Chinas verzerren.
Für chinesische E-Autos galten in den Vereinigten Staaten bereits Zölle von 25 Prozent, die sie anders als in Europa (zehn Prozent) stärker vom Markt fern hielten. Nachdem die Elektroauto-Exporte aus China in die USA 2023 trotzdem um 70 Prozent gestiegen waren, sah sich die Biden-Regierung zu diesem drastischen Schritt gezwungen. Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai hat jetzt die Partnerländer der USA dazu aufgerufen, sich dem kritischen Kurs gegenüber China anzuschließen.
Da die USA nun als Absatzmarkt quasi komplett ausfallen, dürften sich der chinesische Elekroauto-Export verstärkt nach Europa richten, zumal der europäische Automarkt schon vor den neuesten Entwicklungen für China von größerer Bedeutung war. Es sei denn, die Europäische Union reagiert mit ähnlichen Handelsrestriktionen.
Ob die EU dem Beispiel der USA folgen wird, ist noch unklar. Die EU-Kommission reagierte zurückhaltend auf die neuen US-Zölle. Die Behörde nehme die Entscheidung der Amerikaner zur Kenntnis und prüfe, welche Auswirkungen diese auf die EU haben könnte, sagte ein Sprecher der Kommission in Brüssel. Bundeskanzler Olaf Scholz stimmte zunächst ebenfalls nicht in die protektionistischen Töne ein und betonte den „wechselseitigen Austausch“ zwischen der Europäischen Union und China sowie den Erfolg der europäischen Autohersteller im Reich der Mitte.
Autobauer warnen EU vor Schutzzöllen
Die deutschen Autobauer sprechen sich seit Monaten gegen höhere EU-Schutzzölle aus. Die Konzernchefs von BMW und VW warnten die EU in den letzten Wochen eindrücklich vor solchen Maßnahmen. Höhere Strafzölle auf den Import von Elektroautos aus China würde die Herausforderungen der europäischen Automobilindustrie „nicht lösen - im Gegenteil“, mahnte auch Hildegard Müller, Präsidentin des VDA-Automobilverbands, in einem Interview. Ein solcher Handelskonflikt würde zugleich die wirtschaftliche Transformation hin zu Elektromobilität und Digitalisierung gefährden, weil hier so viele Vorprodukte aus China stammen.
Volkswagen, BMW und Mercedes machen im Reich der Mitte glänzende Geschäfte und konnten sich vorerst im vollelektrischen Segment solide positionieren. Die Marktführerschaft mussten sie hier aber an BYD und Tesla abgeben. Die schwächelnde China-Nachfrage bei Premiumautos macht vor allem BMW und Mercedes zu schaffen, während VW in erster Linie im Massenmarkt punkten will und zuletzt nach schwachen Zahlen im Vorjahresquartal wieder ein Wachstum bei den E-Modellen vermeldete.
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All das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Europäische Union bereits seit längerem deutlich höhere Strafzölle auf chinesische E-Autos erwägt, um die heimische Branche zu unterstützen. Momentan gilt ein pauschaler Zoll von zehn Prozent auf sämliche Auto-Importe aus dem Reich der Mitte. Eine Marke von 30 Prozent für E-Autos geistert durch den Raum. Bei einer laufenden Antisubventions-Untersuchung der EU steht Chinas Elektroauto-Industrie im Vordergrund. Am Ende der Prüfung könnte ein spezieller Strafzoll auf chinesische E-Autos erhoben werden.
Die nackten Zahlen sind in gewisser Weise beunruhigend. Der Marktanteil chinesischer Stromer in Deutschland ist gemäß Daten der Beratungsfirma EY im ersten Quartal 2024 auf zehn Prozent gestiegen. Jedes fünfte neue E-Auto auf Europas Straßen kam letztes Jahr aus China. Laut Expertenanalysen dürfte es im laufenden Jahr jedes vierte sein.
Der Import-Anteil der chinesischen Hersteller ist derzeit allerdings relativ gering, auch wenn insbesondere Marktführer BYD große Pläne für Europa hat. Ein Großteil der China-Importe sind Elektroautos aus den chinesischen Fabriken der westlichen Hersteller. EU-Strafzölle würden also in erster Linie die heimischen Autokonzerne treffen und gleichzeitig die chinesischen Autohersteller dazu animieren, nur noch stärker in eigene Fabriken in Europa zu investieren. Das kann eigentlich nicht Sinn der der Sache sein.
Zölle auf chinesische E-Autos wären schlecht für Deutschland
Die deutschen Autobauer produzieren inzwischen zu einem erheblichen Teil in China. Dort locken billiger Strom, niedrigere Lohnkosten, gemäßigte Umweltauflagen und eine direkte Anbindung an den größten Auto- und den mit Abstand größten Elektroauto-Markt der Welt.
Die Elektro-Modelle der Mercedes-Marke „Smart“ werden inzwischen komplett in China hergestellt. BMW produziert den elektrischen Mini und den iX3 in China und verkauft diese E-Autos dann überwiegend nach Europa. EU-Zölle wären also äußerst unschön für BMW und Mercedes-Geely, erklärt der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer auf Anfrage der Deutschen Wirtschaftsnachrichten.
Außerdem würden Zölle und Sanktionen meist eine viel schlechtere Wirkung enfalten als geplant, betont der Experte. Dudenhöffer verweist auf die Bemühungen der Vereinigten Staaten aus den 1960er-Jahren, Japan mit Importbeschränkungen zu limitieren. Dies endete damit, dass „die Fabriken der Japaner in den USA den US-Autobauern zur größten Konkurrenz“ wurden. „GM wird wohl bald auch noch von Toyota in den USA überholt und dann wird Toyota der Marktführer in den USA sein.“, sagt der Direktor des CAR Center Automotive Research in Bochum.
Darüber hinaus würden EU-Zölle auf chinesische E-Autos als Gegenreaktion aller Wahrscheinlichkeit nach chinesische Strafzölle nicht nur auf europäische E-Autos, sondern Fahrzeuge sämtlicher Antriebsarten hervorrufen. Dann würde vermutlich der für deutsche Autobauer wichtige China-Export massiv einbrechen. Auch neue beziehungsweise höhere chinesische Zölle auf andere Güter aus Europa wären dann möglich – etwa für Agrarerzeugnisse, wo ohnehin schon beiderseitig eine sehr protektionistische Handelspolitik betrieben wird. Besonders fatal wären (verschärfte) Exporteinschränkungen auf Solarmodule, Batterien oder Rohstoffe wie Graphit, wo China nahezu ein Monopol hat.
Unterm Strich ist keiner Seite damit geholfen und Deutschland ganz besonders nicht, weil wir so stark von Import und Export mit unserem größten Handelspartner China abhängen. 2023 betrug der bilaterale Warenhandel 254 Milliarden Euro.
China bestreitet Subventions-Vorwürfe
Es ist eine komplizierte Gemengelage. Chinesische Subventionen in den Schlüsselindustrien sind unbestritten, aber sie werden laut Dudenhöffer völlig übertrieben dargestellt. „Die Argumente der unfairen Staatshilfen sind oft an den Haaren herbei gezogen.“
Nach den Worten von Chinas Handelsminister Wang Wentao sind chinesische Autobauer nicht auf Subventionen angewiesen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Zudem seien die Anschuldigungen der USA und der EU bezüglich künstlichen Überkapazitäten unbegründet, sagte Wang bei einer Gesprächsrunde mit chinesischen Unternehmen in Paris. „Chinas Elektrofahrzeugunternehmen setzen auf kontinuierliche technologische Innovation, ein perfektes Produktions- und Lieferkettensystem und den vollen Wettbewerb auf dem Markt, um sich schnell zu entwickeln, und verlassen sich nicht auf Subventionen, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen“, erklärte Wang.
Auch Staats- und Parteichef Xi Jinping bestritt die Vorwürfe jüngst bei seinem Europa-Besuch in Frankreich. „Das sogenannte Problem chinesischer Überkapazität gibt es nicht, weder aus Sicht eines komparativen Vorteils noch im Lichte der weltweiten Nachfrage.“
Peking will natürlich die chinesische Wirtschaft so positiv wie möglich darstellen, weshalb man die Worte der führenden Politiker kritisch hinterfragen muss. Man sollte dabei dennoch nicht vergessen, dass es auch in der EU und Deutschland mitunter exzessive Subventionen gibt – weniger in der Automobil-Branche, dafür umso mehr in Energiesektor und Landwirtschaft.
Deutschlands Autoindustrie braucht Freihandel
Davon abgesehen: Speziell die deutsche Wirtschaft ist in der Historie die meiste Zeit unter relativ freien Handelsbedingungen erfolgreich gewesen. „Made in Germany“ wurde zu einem weltweit anerkannten Qualitätssiegel. Mit hoher Qualität, rigoroser Effizienz und feingliedrigen Wertschöpfungsketten konnten deutsche Unternehmen jahrzehntelang Kostennachteile kompensieren und wurden vor allem im Maschinenbau und dem Automobilsektor zu einer Exportmacht – ganz ohne Schutzzölle.
Billige chinesische E-Autos sind eine Herausforderung, die Deutschlands Autoindustrie durch mehr Innovation, Produktivitätssteigerungen und gewohnt hohe Qualitätsstandards lösen sollte – nicht mithilfe von vermutlich kontraproduktiven staatlichen Zöllen. Zumal es Ihnen niemand verbietet, aus Kostengründen noch mehr im Ausland zu produzieren.
„Ich denke, die deutschen Autobauer können den Druck aushalten. Im Wettkampf wird man eher stärker als schwächer“, meint Autoexperte Dudenhöffer.
Von Schutzzöllen gegen chinesische Produkte hält Dudenhöffer generell nichts. Es sei nur ein vermeintlicher Schutz. „Wir gewinnen in einer offenen Wirtschaft. Es macht viel Sinn, wenn wir chinesiche Direktinvestitionen in Deutschland haben. Auch dafür sollten wir unsere Grenzen offen halten.“
Die fundamentalen Probleme des Protektionismus
Die Vor- und Nachteile von Schutzzöllen werden schon seit mehreren hundert Jahren akademisch kontrovers diskutiert. Wirtschaftswissenschaftler sind typischerweise eher gegen Protektionismus und für Freihandel, weil Zölle die Allokation von Ressourcen und Gütern auf dem freien Markt verzerren.
Der berühmte amerikanische Ökonom Henry Hazlitt beschrieb die Effekte von Schutzzöllen besonders plastisch in seinem Buch „Economics in One Lesson“. Zölle, so Hazlitt, verursachen einen Nettoverlust für das Land, weil im Heimatland „als Folge der künstlich errichteten Schranken zum Schutz gegen ausländische Waren Arbeit, Kapital und Land von einem rentablen zu einem weniger rentablen Einsatz umgelenkt“ werden. Deshalb sinke infolge der Zollmauer die Durchschnittsproduktivität der heimischen Arbeiter (folglich auch die Löhne) und des gesamten Kapitalstocks.
Schutzzölle würden letztlich alle Verbraucher belasten und dafür höchstens einzelnen Unternehmen helfen, und selbst das meist nur kurzfristig. „Der Zoll […] begünstigt er aber nicht die Produzenten, wie oft behauptet wird, sondern hilft nur bestimmten Branchen zulasten anderer. Am meisten werden jedoch jene Branchen geschädigt, die einen vergleichsweise großen potenziellen Exportmarkt haben.“
Zölle verändern letztlich die Produktions-Struktur ganzer Länder zum Negativen hin. „Der Zoll vergrößert die Wirtschaftszweige, in denen ein Land relativ unproduktiv arbeitet, und lässt diejenigen schrumpfen, in denen das Land vergleichsweise leistungsfähig ist. Er schmälert also die Leistungsfähigkeit eines Landes, aber auch die der Länder, mit denen es andernfalls verstärkt Handel getrieben hätte“, erklärt Hazlitt.