DWN: Im letzten Sommer haben Sie Strafanzeige gegen Bundeskanzler Olaf Scholz in der Cum-Ex-Affäre gestellt. Können Sie unseren Lesern die Cum-Ex-Affäre in drei Sätzen noch einmal darlegen und erläutern, warum Sie gerade gegen den Kanzler vorgegangen sind?
Fabio De Masi: Bei Cum-Ex wurde von Banken und Fonds die Erstattung von Kapitalertragsteuern beantragt, die nie bezahlt wurden. Man kann sich das vorstellen, wie eine Pfandflasche im Supermarkt abgeben und den Pfandbon auf den Kopierer legen, um dann die Freunde mehrfach an die Supermarktkasse zu schicken, um Pfand zu kassieren.
Im Supermarkt funktioniert das nicht, auf dem Finanzmarkt lief das aber so und verursachte Milliardenschäden. Herr Scholz hat seine Erinnerungslücken an Treffen mit Cum-Ex Bankiers, die über ihn den Einzug der kriminellen Tatbeute verhindern wollten, nur vorgetäuscht und einen Untersuchungsausschuss belogen. Das ist strafbar.
DWN: Wie glauben Sie belegen zu können, dass die Aussage von Kanzler Scholz, er könne sich an diese Treffen nicht erinnern, nicht zutrifft?
Fabio De Masi: Der Hamburger Senat bestritt 2019 zunächst jegliche Treffen zwischen Scholz als ehemaliger Hamburger Bürgermeister und den Warburg Bankiers in einer Anfrage der damaligen Hamburger Linksfraktion. Wie ich später herausfand, war Scholz 2019 als Finanzminister in die Antwort auf diese Anfrage bereits eingebunden. Da fand also schon die erste Lüge statt. Er hat dann eines von drei Treffen mit den Cum-Ex Bankiers im Frühjahr 2020 unter Berufung auf seinen Kalender bestätigt, nachdem ein Tagebucheintrag dazu auftauchte. Er räumte auf meine Nachfrage hin im Bundestag weitere Treffen nicht ein und erfand als Ausrede die Erinnerungslücke, nachdem auch diese weiteren Treffen bekannt wurden. Später stellte sich heraus, dass der zitierte Kalendereintrag nie existiert hat. Scholz muss sich also erinnert haben, um im Frühjahr 2020 eines der drei Treffen zu bestätigen.
DWN: Was ist aus der Strafanzeige geworden? Beziehungsweise: Haben Sie die Hoffnung, dass daraus noch irgendetwas folgt?
Fabio De Masi: Nein. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ist politisch weisungsgebunden und hat in der Warburg-Affäre keinen Finger gekrümmt. Es war immer die Kölner Oberstaatsanwältin Brorhilker, die hier tätig werden musste.
DWN: Und was sagen Sie vor diesem Hintergrund zur Kündigung der Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker?
Fabio De Masi: Ihr wurde vom grünen Justizminister in NRW Knüppel zwischen die Beine geworfen. Sie prüfte auch Ermittlungen gegen Scholz selbst und musste dann mit der gehobenen Stellung des Kanzlers begründen, dass z. B. beschlagnahmte Kommunikation von Scholz nicht ausermittelt wird. Dabei hat man mir noch in der Schule beigebracht, dass ein Bundeskanzler und ein Straßenfeger vor dem Gesetz gleich seien.
DWN: Nun sind Sie Spitzenkandidat für das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ für die Europa-Wahl. Was genau möchten Sie in Brüssel erreichen?
Fabio De Masi: Wir wollen uns um diplomatische Initiativen im Ukraine-Krieg bemühen und dem militärisch-industriellen Komplex in Europa zivile Investitionen entgegensetzen, das Steuerdumping und die Marktmacht der großen US-Tech Konzerne bekämpfen, um den Mittelstand zu schützen, die Pfizer-Deals von Frau Leyen aufdecken sowie die Kommunen vor dem Druck der EU auf Privatisierungen und Liberalisierungen der öffentlichen Infrastruktur bei Wasser- und Energieversorgung schützen. Auch eine systematische Auswertung der Corona Krise gehört zu unserem Auftrag.
DWN: Einige Faktoren lasten schwer auf der europäischen und speziell auf der deutschen Wirtschaft, beispielsweise hohe Energiepreise, insbesondere nach der Sprengung der Nordstream- Pipelines. Haben Sie einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte? Oder anders gefragt: Würden Sie sich zum Zwecke der Täterermittlung intensivere Nachforschungen wünschen?
Fabio De Masi: Ich will nicht spekulieren. Aber Joe Biden hat sich im Beisein des Bundeskanzlers damit gebrüstet, notfalls die Pipeline aus dem Spiel zu nehmen. Der polnische Außenminister hat ihm in den sozialen Medien sogar dafür gedankt. Andere Fährten weisen in die Ukraine. Wer auch immer dahinter steht - das war ein staatsterroristischer Akt und ein Angriff auf unsere Energieversorgung. Es ist ein Skandal, dass hier die Öffentlichkeit nichts erfährt.
DWN: Russland hat mehrfach angeboten, über den noch intakten Strang der Pipeline Erdgas zu liefern. Was halten Sie von dem Vorschlag?
Fabio De Masi: Die Sanktionen schaden uns mehr als Russland. Wenn Putin sich an den Verhandlungstisch begibt, wäre eine Wiederaufnahme von Energielieferungen wünschenswert. Zudem müssen wir die hohen Netzentgelte senken. Die Privatisierung und Liberalisierung der Netze war ein schwerer Fehler. Es braucht zudem den Ausbau der kommunalen Fernwärme.
DWN: Haben Sie Ideen, wie man der Industrie und insbesondere dem Mittelstand angesichts hoher Energiepreise anderweitig helfen könnte? Verfolgt das BSW eine spezielle Mittelstandpolitik?
Fabio De Masi: Ja, wir wollen es etwa Kommunen ermöglichen nicht bei jedem noch so kleinen öffentlichen Auftrag EU-weit ausschreiben zu müssen und den Mittelstand von überzogenen Berichts- und Dokumentationspflichten entlasten. In der Landwirtschaftspolitik fließt das Gros der Agrarsubventionen etwa an die Betriebe mit den größten Flächen, während die Landwirte mit mittleren Flächen bis zu 60 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Bürokratie verbringen. Wenn es etwa mehr regionale Schlachtbetriebe gibt, verringern sich zum Beispiel die Wegstrecken für häufig elendige Tiertransporte.
Info zur Person: Fabio De Masi war von 2014 bis 2017 Mitglied des Europäischen Parlaments und von 2017 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Zwischen 2017 und 2021 war er stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag. De Masi studierte Volkswirtschaftslehre an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik und erwarb einen Master in Internationalen Beziehungen an der Universität Kapstadt sowie einen Master in Internationaler Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Bundesweit bekannt wurde er als Obmann der Linken im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Wirecard-Affäre. Er ist Spitzenkandidat für das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ für die Europa-Wahl 2024.