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Traditionsbruch nach 90 Jahren: Kritik am Umzug von Spielzeughersteller Schleich nach München

Lesezeit: 3 min
03.06.2024 13:05  Aktualisiert: 03.06.2024 13:10
Der Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold (CDU), hat stocksauer auf den Umzug des Spielwarenherstellers Schleich nach München reagiert: „Mit dem Wegzug wird mit einer alten Tradition gebrochen. Wir können nicht das Schickimicki-Umfeld wie München bieten.“ Doch muss ein Traditionsunternehmen auch zu seiner Tradition stehen?
Traditionsbruch nach 90 Jahren: Kritik am Umzug von Spielzeughersteller Schleich nach München
Berühmte Schleich-Figuren: Friedrich Schleich gründete die Firma 1935 im Osten Württembergs. (Foto:dpa)
Foto: Daniel Karmann

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Das mittelständische Unternehmen Schleich strukturiert um und verlegt nach fast 90 Jahren seinen Hauptsitz in die bayerische Landeshauptstadt. Der Schritt sei zum 1. Januar 2025 geplant, hieß es.

Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte, sie bedauere, dass das Traditionswerk geschlossen werden solle. „Dass der Betriebsrat erst so spät miteinbezogen wurde, halte ich für falsch“, sagte Lang, die in Schwäbisch Gmünd ihren Wahlkreis hat. „Sowohl für jene, die sich entscheiden, dem Unternehmen nach München oder Prag zu folgen, als auch für die überwiegende Mehrheit, die in Schwäbisch Gmünd bleiben wird.“

241 Menschen von Verlegung betroffen

Arnold, seit 2009 Oberbürgermeister von Schwäbisch-Gmünd, sagte weiter, es habe ein Gespräch mit dem Schleich-Geschäftsführer gegeben, und dieser habe erklärt, dass bis Jahresende der Standort komplett geschlossen sei. „Es sind 241 Menschen mit ihren Familien direkt betroffen.“ Schwäbisch-Gmünd habe alles, was die Substanz des Unternehmens ausmache. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums sagte, man habe erst aus der Presse von der Ankündigung des Unternehmens erfahren, nicht nur seinen Hauptsitz nach München verlagern zu wollen, sondern auch ganze Geschäftsbereiche ins Ausland. „Dieser Schritt ist nach den bisher vorliegenden Informationen nicht nachzuvollziehen.“ Schleich habe als 90-jähriges Traditionsunternehmen schon viele wirtschaftliche Herausforderungen bestanden. Hierzu hätten seit jeher die in Schwäbisch-Gmünd beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beigetragen. „Das Wirtschaftsministerium wird jetzt sehr schnell versuchen, Kontakt zum Unternehmen herzustellen, um die genauen Gründe für diese Ankündigung zu erfahren.“ Möglicherweise sei bei diesem Thema das letzte Wort noch nicht gesprochen. Gründe gäbe es sicherlich genug, zumal Schwäbisch Gmünd ein hervorragender Wirtschaftsstandort sei.

Neuer Chef krempelt Schleich um

Das Unternehmen, gegründet im Jahr 1935 von Friedrich Schleich, hat mit dem Belgier Stefan De Loecker seit Jahresbeginn einen neuen Chef, der Schleich jetzt umkrempelt. Mit dem Umbau will das neue Management nach eigenen Angaben Kernkompetenzen stärken, Funktionen bündeln und die Zusammenarbeit verbessern. „Schleich hat das Potenzial und das Ziel, Kinder wie Erwachsene auf der ganzen Welt zu begeistern. Dafür stärken wir unsere Kernkompetenzen, bündeln Support-Funktionen und setzen auf ein neues Betriebsmodell inklusive einer neuen, agileren Art der Zusammenarbeit. So stellen wir Schleich für die nächste Phase des profitablen Wachstums auf," sagt Stefan De Loecker, CEO der Schleich GmbH in der Pressemitteilung.

Umstrukturierung für nachhaltiges Wachstum

Erst jüngst hat Schleich seine Lieferketten überarbeitet und ein neues Netzwerk strategischer Produktionspartner in Europa, Asien und Nordamerika etabliert, um die höchsten Qualitätsstandards und eine größere Agilität zu gewährleisten. Unterstützt wird das von der zunehmenden Digitalisierung von Geschäftsprozessen der Marke. Zudem arbeitet das Unternehmen an seiner Nachhaltigkeitstransformation und wird im Juli die ersten recycelbaren und Cradle to Cradle® zertifizierten Spielfiguren weltweit auf den Markt bringen. Das neue Management rund um CEO Stefan De Loecker will jetzt den nächsten Schritt Richtung nachhaltigem Wachstum gehen und mit einer neu gestalteten Organisation in Marke, Innovationen und Internationalisierung investieren.

Schleich gehört mehrheitlich einem schweizerischen Finanzinvestor und ist einer der größten deutschen Spielzeughersteller. Bislang werden in Schwäbisch Gmünd noch immer Prototypen gefertigt, auch ein Teil des Marketings und des Vertriebs sitzen in der Kommune. Das Schleich-Büro in München gibt es seit 2021. In Zukunft soll ein neuer Standort in der tschechischen Hauptstadt Prag darüber hinaus unter anderem Finanzaufgaben und Kundenservice übernehmen. Die Logistik soll künftig ausgelagert werden, hatte das Unternehmen am Dienstag erklärt. Den Beschäftigten in Schwäbisch Gmünd wird demzufolge angeboten, an die zwei neuen Standorte zu wechseln.

Umsatzeinbruch erst 2023

Oberbürgermeister Arnold sagte weiter: "Seit 2013 ist man von Umsatzrekord zu Umsatzrekord geeilt. Der Einbruch kam erst im letzten Jahr." Der Erlös sank vergangenes Jahr um rund 15 Prozent auf 234 Millionen Euro. Als Grund für den Einbruch hatte Schleich unter anderem die gedämpfte Kauflaune genannt. Die Zahl der verkauften Figuren ging um mehr als ein Zehntel auf rund 35 Millionen Stück zurück. Zum Gewinn macht das Unternehmen generell keine Angaben. Schleich vertreibt seine Figuren und Spielsets nach eigenen Angaben in 60 Ländern und macht inzwischen mehr als 60 Prozent seines Geschäfts außerhalb Deutschlands.

Ein Traditionsunternehmen muss auch zu seiner Tradition stehen

Betroffen hat auch die Gmünder Bundestagsabgeordnete Dr. Inge Gräßle (CDU) auf die Ankündigung der „Schleich GmbH“ vom Dienstag reagiert, den Hauptsitz nach München zu verlegen und das Herlikofer Werk zum Januar 2025 zu schließen. „Der Fortgang dieses weltbekannten und großen Unternehmens wäre für unsere Stadt ein schwerer Schlag und echter Aderlass“, so Gräßle. „Es ist schwer verständlich, warum sich so ein Traditionsunternehmen nicht mehr auf seine Tradition besinnen will.“

In Schreiben an den neuen Vorstandsvorsitzenden sowie den Betriebsrat und die betroffenen Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie bietet Gräßle ihre Unterstützung an, um die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass Schleich am Standort Gmünd gehalten werden kann. „Es geht nicht nur um die betroffenen 240 Familien, um die mich sorge. Es geht auch um die Identität eines weltweit beliebten und erfolgreichen Unternehmens, das genau wegen seines Standorts in Schwäbisch Gmünd so erfolgreich wurde.“

Schleich zählt zu den fünf besten Gewerbesteuerzahlern vor Ort. Allein das ist ein gewichtiger Grund, einen Fortgang zu verhindern. Der Oberbürgermeister denkt aktuell über einen Aktionstag nach, um noch mehr Politiker auf Landes- und Bundesebene auf die Thematik aufmerksam zu machen.

 

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Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.


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