Politik

Fleischersatz: Der Kulturkampf ums Fleisch - droht eine Veggie-Diktatur?

Lesezeit: 7 min
20.07.2024 11:03  Aktualisiert: 19.06.2030 11:00
Deutschland ist Grillmeisterland: Wenn die Temperaturen steigen und die Schweinepreise auch, dann heißt es „Grillsaison“. Und es steigt mächtig Rauch auf! Denn allerorten treffen nun Grillmeister auf Veganer, Metzger auf Tierschützer, tierische Proteine auf Soja, Hafer und Nüsse. Im Supermarkt müssen Fleischliebhaber aufpassen, sonst ist die Enttäuschung am Grill nachher groß!
Fleischersatz: Der Kulturkampf ums Fleisch - droht eine Veggie-Diktatur?
Made in Germany: Für deutsche Fleischereien gelten verpflichtende Herkunftsangaben. (Foto: dpa)

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Ist das Würstchen nun aus Fleisch oder aus Erbsen? Das vegane Steak sieht der prächtigen Scheibe Rinderhüfte inzwischen verblüffend ähnlich. Die pflanzliche Lebensmittelindustrie boomt, tierische Lebensmittel geraten in den Hintergrund. Der Vorwurf: Ihre Tierhaltung sei schuld an der Klimakrise. Die Folge: Deutschen Landwirten geht es schlecht.

Innovative New Food-Startups profitieren hingegen von dem fleischlosen Ernährungstrend und werden immer erfinderischer, um das klassische „Steak“ für den Käufer neu zu erfinden. Neuster Schrei: Wie wäre es mit einem „cultivatet meat“ für Ihren Grillabend?

Im vergangenen Jahr wurde hierzulande 16,6 Prozent mehr Fleischersatz produziert als im Jahr 2022, verglichen mit dem Jahr 2019 hat sich die Produktion sogar mehr als verdoppelt (+113,8 Prozent). Die Zahl der Menschen, die vegan und vegetarisch essen, scheint weiter zuzunehmen – besonders unter den Jüngeren. Wird diese Entwicklung so weitergehen? Und wie unterschiedlich isst Deutschland wirklich? Immerhin hat jeder Mensch in Deutschland 51,6 Kilogramm Fleisch vergangenes Jahr gegessen – statistisch betrachtet.

Zukunftstrend: Fleisch ohne Tier?

„Fleisch ohne Tier“ – ist der neuste Trend aus der Fleischfabrik der Zukunft – Made in Germany. Das ist das Ziel von Myria Meat, einem Startup, das aus tierischen Stammzellen echtes Schweinefleisch herstellen möchte. „Wir machen Fleisch ohne Tier“, erklärt Myria-Meat-CEO Florian Hüttner in einem Interview mit businessinsider. Genauer: Sein Startup produziert Schweinefleisch, ohne dass dafür Schweine sterben müssen. Was er macht, nennt sich cultivated meat – kultiviertes Fleisch. Das ist identisch zu dem Fleisch, das Menschen heute essen. Allerdings wird es direkt aus tierischen Zellen gezüchtet.

Das 2022 gegründete Biotech-Startup hat eine Technologie entwickelt, mit der man die von Tieren entnommenen Stammzellen in Bioreaktoren packt und so echtes Fleisch herstellen kann. „Eine Stammzelle von einem Schwein reicht aus, um unendlich viel Schweinefleisch herzustellen. Die Zellen teilen sich dauerhaft, ohne genetische Veränderung“, erklärt Hüttner.

All das klingt vielversprechend, doch wie kam es zu dieser Entwicklung und wie genau funktioniert es? Die Anfänge des Startups gehen zurück auf Forschungsergebnisse der Universität Göttingen. Professor Dr. Wolfram Zimmermann, Mitgründer von Myria Meat, leitet an der Uniklinik Göttingen das Institut der Pharmakologie. Mit seinem Team hat er Herzmuskelzellen für Menschen entwickelt, die in der Humanmedizin eingesetzt werden. Hüttner und Zimmermann sind dann auf die Idee gekommen, diese Technologie auf Tiere zu übertragen, um kultiviertes Fleisch herzustellen.

„Andere Unternehmen haben tote Zellen und wir haben lebendige, echte Zellen, die sich bewegen und zusammenziehen“, führt Hüttner aus. Genau wie Tiere müssen die Zellen auch ernährt werden. Deshalb füge Myria Meat den Zellen im Reaktor Brausetabletten zu, die Proteine, Aminosäuren und Salze enthalten. Die Brausetabletten lösen sich auf und die Zellen schwimmen dann in der Flüssigkeit. Durch das weitere Wachstum im Bioreaktor entwickelt Myria Meat Muskelgewebe vom Tier, das trainiert werden kann. Daraus lässt sich dann Fleisch produzieren, denn Fleisch sei gleich Muskel.

Laborfleisch für den Klimaschutz

Durch die Produktion von kultiviertem Fleisch möchte das Unternehmen 80 bis 90 Prozent des Fußabdrucks der konventionellen Fleischproduktion vom Tier einsparen. Dazu zählen Wasser, CO₂ und landwirtschaftliche Fläche und damit einhergehend Waldrodung.

Für CEO Florian Hüttner gelten Kühe als größte Klimasünder im Tierreich: „Eine Kuh braucht zwei Jahre, ein Schwein acht Monate, und bei uns dauert es sechs Wochen“, sagt Hüttner. Damit meint er die Zeit bis zum Schlachten der Tiere. Die herkömmlichen Landwirte ersetzen wollen sie aber nicht. „Wir wollen keinen verdrängen. Wir sind pro Landwirte“, sagt er, denn die Landwirtschaft sei ja auch ein Kulturgut. Das Unternehmen möchte ein Gegengewicht zur Massentierhaltung schaffen.

Was ist dran an dem Vorwurf der Massentierhaltung und dass Kühe die größten Klimasünder im Tierreich sind? Und wie gesund sind eigentlich Fleischersatzprodukte?

Für Ingo Bodtke, FDP-Politiker aus Sachsen-Anhalt, gelernter Fleischer und Ingenieur für Fleischwirtschaft und Insemination, ist dieser Hype um eine fleischlose Ernährung ein „Wohlstandsthema“, bei dem es große Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt. Der Bundestagsabgeordnete sitzt im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, wo er sich täglich mit der „Ernährungswende“ und den Sorgen der Bauern auseinandersetzt. Der bekennende Fleischesser spricht regelrecht von einer Kampagne gegen Fleischkonsum und einer grünen Verbotspolitik.

„Wir Liberale wollen den Menschen nicht vorschreiben, was sie in ihren Kühlschrank legen und lehnen daher staatliche Kampagnen gegen tierische Lebensmittel ab. Wir wollen keine neuen staatlichen Verbote und Regulierungen oder eine Politik des erhobenen, grünen Zeigefingers!“

In einem exklusiven Interview erklärt er, woher die Vorurteile und Bedenken gegen die traditionelle Fleischproduktion kommen. Welche Rolle die aktuelle Agrarpolitik spielt und warum für ihn die Wertschätzung der Landwirte elementar ist:

„Lassen wir zuerst die Zahlen sprechen: Rund 47 Millionen Deutsche leben auf dem Land. 90 Prozent der Flächen sind landwirtschaftlich geprägt. 46 Prozent der Bruttowertschöpfung werden im ländlichen Raum erwirtschaftet. Fakt ist: Landwirte gehören zum Mittelstand. Sie sind eine unentbehrliche Säule für unser Wirtschaftswachstum.“

DWN: Warum gibt es aktuell diese Debatte ums Fleisch? Werden wir in Zukunft nur noch pflanzlich oder Fleisch aus dem Labor essen?

Ingo Bodtke: Ich höre oft, dass vor allem junge Menschen sich gesünder ernähren und weniger Fleisch essen wollen – das Negativimage von Fleisch hat sich eindeutig verfestigt. Das wird auch durch Fake News verstärkt. Die militante Veganerin, Frau Dr. Raab, mit der ich bereits ausgiebig diskutiert habe, ist ein klassisches Beispiel dafür, in der Öffentlichkeit verbal auf „Fleischesser“ loszugehen. Auch Fleischersatzprodukte aus Pflanzenprotein sind nicht unbedingt gesünder oder umweltfreundlicher. Vegan ist eben NICHT immer gesund! Viele Verbraucher wissen nicht, dass diese Produkte oft auch chemische Zusatzstoffe enthalten, darunter Methylzellulose, ein Bindemittel, das auch in Tapetenkleister verwendet wird. Untersuchungen von Ökotest fanden in jedem zweiten Fleischersatzprodukt Mineralölrückstände. Das beunruhigt niemanden?

Beim Thema Laborfleisch stelle ich mir grundsätzlich die Frage, wie man die für den Geschmack wichtigen Fettzellen züchten will. Mag sein, dass manche denken, dass wir uns alle irgendwann vollkommen fleischlos ernähren. Ich teile die Ansicht nicht.

DWN: Was halten Sie von der „Ernährungsstrategie“ von Landwirtschaftsministers Cem Özdemir? Wieso mischt sich die Politik da ein?

Ingo Bodtke: Die Ernährungsstrategie hat sich nach meiner Einschätzung unglaublich schwierige Ziele gesetzt. Konkret soll der Verbrauch tierischer Lebensmittel auf ein nachhaltiges und gesundheitsförderliches Maß gesenkt werden. Durch eine veränderte Ernährung der Bevölkerung verspricht man sich nicht nur den Gesundheitszustand der Menschen zu verbessern, sondern auch noch das Klima und die Umwelt retten zu können. Wenn Sie mich fragen: Das ist Augenwischerei mit völlig überzogenen Erwartungen und Ansprüchen. Die Vision, dass sich bis zum Jahr 2050 alle Menschen in Deutschland gesund, nachhaltig und pflanzenbetont ernähren werden, geht an der Lebenswirklichkeit der Bürger in Deutschland vorbei. Meiner Ansicht nach sollte jeder selbst entscheiden, wie er sich heute und in Zukunft ernähren möchte. Als Bürger der ehemaligen DDR lasse ich mir ungern Meinungen aufzwingen.

DWN: Was sagen Sie zu dem Argument der Klimaschützer das Kühe „Klima-Killer“ Nummer Eins sind?

Ingo Bodtke: Den Vorwurf, dass Kühe Klimakiller sind, kann ich so nicht bestätigen. Studien, die das Behaupten, berücksichtigen weder den besonderen Hintergrund der tierischen Methan-Emissionen noch die positiven Effekte nachhaltiger Tierhaltung, wie die Erhaltung von Grünlandflächen und die verbesserte CO2-Bindung. Es gibt bereits Maßnahmen und Technologien, um die Auswirkungen der Nutztierhaltung weiter zu mindern. Das wird oftmals in der Debatte vergessen. Mit optimierten Futtermitteln und speziellen Zuchtprogrammen können die Emissionen reduziert werden. Auch Praktiken wie regenerative Landwirtschaft, die den Boden und die Umwelt schonen, helfen die Gesamtemissionen zu reduzieren.

DWN: Woher kommt dann die Annahme das Fleischkonsum klimaschädlich ist?

Ingo Bodtke: Noch immer kursiert das Gerücht, die Nutztierhaltung sei für 18 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dieses Fazit (Studie der UNO-Landwirtschaftsorganisation FAO) ist aber falsch. Fakt ist aber, die Belastung durch die Nutztierhaltung beläuft sich auf 3,9 Prozent. Auch können die Behauptungen über die Klimaschädlichkeit des Fleischkonsums gar nicht wissenschaftlich belegt werden.

Früher war Fleisch wichtig für die Lebenskraft und den Energiehaushalt. Heute wird Fleisch als Hauptverursacher des Klimawandels dargestellt. Solche Aussagen sind jedoch genauso fragwürdig wie die gesundheitlichen Warnungen vor Fleischkonsum. Stattdessen sollte man jedoch ernsthaft darüber nachdenken, welche Auswirkungen Handelsimporte von Billigfleisch aus anderen Ländern in deutschen Supermärkten haben.

DWN: Wie gehen die Landwirte mit der Stimmung gegen tierische Lebensmittel um? Was bedeutet das für die Betriebe im Land?

Ingo Bodtke: Die Kampagne ist ein Schlag ins Gesicht für unsere Landwirtschaft und den deutschen Tierproduzenten gegenüber nicht fair. Seit ich im Bundestag bin, habe ich unzählige Landwirtschaftsbetriebe und Tierproduzenten, nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in Thüringen, Bayern und Brandenburg persönlich besucht. Neben dem Arbeitskräftemangel bereiten den deutschen Bauern vor allem die niedrigen Lebensmittelpreise und das Preisdiktat der Handelskonzerne Sorgen. Das System Landwirtschaft sieht sich vor allem mit unfairen Preisen und der schlechten Marktstellung der Bauern gegenüber dem Handel konfrontiert. Hier müsste meiner Meinung nach der Handel in die Pflicht genommen werden. Zum Vergleich: Die deutschen Landwirtschaftsbetriebe erhalten laut IniFair (Initiative für faire Lieferketten) im Durchschnitt nur 18 Prozent Wertschöpfung in der Lebensmittelkette, während EU-Landwirtschaftsbetriebe im Durchschnitt 27 Prozent der Wertschöpfung bekommen. Hier muss unbedingt nachjustiert werden.

DWN: Was ist dran an den Vorwürfen der Tierschützer zur Massentierhaltung?

Ingo Bodtke: Eine bessere Tierhaltung finden alle gut. Doch die Verbraucher kaufen vor allem günstiges Fleisch. Der Einzelhandel bestimmt die Preise. Dem kann sich ein Landwirt nicht entziehen. Für das Tierwohl macht es aber auch einen Sinn, wenn Verbraucher bereit wären, mehr für Fleisch aus artgerechter Haltung zu zahlen. Besseres Tierwohl muss sich auch für den Landwirt rechnen. Im Agrarsektor schwanken die Preise stark. Kosten für Futter, Energie und Dünger erschweren zusätzlich die Entscheidung der Landwirte, noch mehr zu investieren. In der Summe führen diese Entwicklungen leider zu großer Verunsicherung unter den Tier-Produzenten, zur Aufgabe von Betrieben und schließlich auch zu fehlenden Investitionen in tragfähige Stall -und Haltungskonzepte.

DWN: Herr Bodtke, was spricht für ein gutes Steak auf dem Grill?

Ingo Bodtke: Ich bin und bleibe Fleischliebhaber – ein gutes Steak erkenne ich am Aussehen und am Geschmack. Daher achte ich von Haus aus auch auf gute Fleischqualität. Das Steak vom Grill hat zunächst einmal eine geschmackliche Tiefe, die bei anderen Zubereitungsmethoden oftmals fehlt. Und durch das Grillen tropft überschüssiges Fett ab, was das Fleisch insgesamt magerer und gesünder macht. Von daher stehe ich gern selbst am Grill, besonders in den wärmeren Monaten, wenn Familie und Freunde zu Besuch sind. Und es spricht ja nichts dagegen, neben dem Steak auch etwas Gemüse auf den Grill zu legen.

Übrigens beim Grillen sind die Deutschen sich einig, laut einer Civey-Umfrage vom März: Am liebsten landen Schweinefleisch (60 Prozent), gefolgt von Rind (49 Prozent) und Hähnchen (48 Prozent) auf dem Rost. Gemüse kommt mit knapp 35 Prozent auf den Grill und die Fleischersatzprodukte bilden mit nur 4 Prozent das Schlusslicht beim Grillgut.

Fleisch und Gemüse gehören eben zusammen wie Fußball und Grillen. Na dann, guten Appetit!

                                                                            ***

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.



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