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Berlin wächst: Neue Hochhäuser am Gleisdreieck erweitern City am Potsdamer Platz

Lesezeit: 5 min
23.06.2024 12:01
Über Jahrzehnte lag das Gleisdreieck im städtischen Niemandsland von West-Berlin. Mit dem Fall der Mauer und der Bebauung des benachbarten Potsdamer Platzes ist es überraschend zu eine urbanen Zentrum Neu-Berlins geworden. Der Park am Gleisdreieck ist der trendige wahre Central-Park der Hauptstadt, der alte Postbahnhof „The Station“ ein kleines Messezentrum geworden. Nun wird das Areal verdichtet und mit Hochhäusern ergänzt.
Berlin wächst: Neue Hochhäuser am Gleisdreieck erweitern City am Potsdamer Platz
„Urbane Mitte“: Der neue Büropark am Gleisdreieck, dem zentralen Scharnier zwischen Berlin-Mitte, Kreuzberg und Schöneberg. (Fotos: Finest Images / O&O Baukunst)

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Es gibt einen alten Dokumentarfilm anno 1927, der die Geschwindigkeit, Modernität und Zukunftsbejahung des Berlins der Weimarer Republik (vor Krieg und NS-Herrschaft) eingefangen hat wie kein zweiter. „Sinfonie der Großstadt“ heißt der kineastisch atemlose Streifen Walther Ruttmanns, der immer mal wieder als Matinee-Happening in der Hauptstadt aufgeführt wird, aber auch im Internet zu finden ist. Ein Stück Kulturgut, das vor allem Neuberliner regelmäßig zu verblüffen weiß. Im Mittelpunkt der schnell geschnittenen Bilder und des mit Musik untermalten Stummfilms taucht immer wieder der Bahnknoten Gleisdreieck auf. Verkehrstechnisch bildet der zentral gelegene Bahn-Abzweig so etwas wie das Scharnier der Metropole.

Dies muss erwähnt werden, weil die Ecke über Jahrzehnte ein Niemandsland im alten Herzen der Stadt war. Der legendäre Potsdamer Bahnhof (als das Tor nach Berlin) war zerbombt und abgetragen. Der Potsdamer Platz, vis-à-vis des Landwehrkanals, noch eine staubige Brache und zuletzt ein Polenmarkt direkt an der Berliner Mauer. Geheimnisvoll, die alte Eisenbahndirektion Berlin, ein Backsteinbau, der den Ostberliner Reichsbahnern als Krankenhaus und Poliklinik diente - freilich im West-Teil der Stadt gelegen. Es herrschte dort und in den angrenzenden Schuppen der Firma Metschurat eine Atmosphäre wie aus einem Agentenfilm. Dahinter zog sich eine breite Schneise nutzlosen Bahngeländes in das wild wuchernde Biotop.

Neues Büro- und Gewerbeprojekt: Gleisdreieck rückt in „Urbane Mitte“

Mit Neubebauung von Potsdamer und Leipziger Platz, mit dem raumgreifenden Deutschen Technikmuseum, an dessen Giebel ein alter US-Rosinenbomber die Besucher in die heiligen Hallen zu locken versucht, hat die Stadt hier mehr als drei Jahrzehnte gebraucht, sichtlich und spürbar zusammenzuwachsen. Ausgerechnet ein lebendiger großer Park ist als überraschendes Erfolgsprojekt zum wahren Central-Park der Stadt herangewachsen, in dem Sonnenanbeter, Skater, Spaziergänger, Basketballer und Kicker, ihren Freiraum finden können. Oben drüben kann man aus der U-Bahn-Linie 2 dem bunten Treiben zusehen.

Nun soll der Park am Gleisdreieck um eine in die Höhe geplante kleine Bürostadt namens „Urbane Mitte“ erweitert und verdichtet werden. Das ursprünglich aus Österreich stammende, aber schon seit Jahren in Berlin tätige Architektenbüro Ortner & Ortner hat einen Masterplan vorgelegt und darin visualisiert, wie der trendige Park noch hipper werden könnte, entlang der vielen alten Bahn-Bögen. Im typischen Berlin-Style, so könnte man sagen. Nur alles andere als ein Selbstläufer. Denn das Vorhaben ist schon eine gefühlte Ewigkeit in der Pipeline.

Schreckgespenst von der Gentrifizierung schwappt über den Landwehrkanal

Jetzt wird es wohl tatsächlich realisiert, mit kräftiger Unterstützung der Senatsbauverwaltung von SPD-Senator Christian Gaebler. Er hat, gelinde gesagt, die Faxen dicke von den Verzögerungen des umstrittenen Kreuzberger Baustadtrats Florian Schmidt von Bündnis 90/Grüne. Der agiert schon seit Jahren im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg als allmächtiger Verhinderer und Bestandswahrer und hat als „Magister No!“ schon dutzendweise Grundstückseigentümer und Bauunternehmer in die Verzweiflung getrieben. Schmidt wünscht sich einen möglichst autofreien Bezirk und träumt davon, dass dereinst alle Altbauten Kreuzbergs in städtisches Eigentum überführt werden. Selbst in einem heruntergekommenen Elendsquartier wie dem Hafenplatz (im selben Karree) ist ihm der Status Quo wichtiger, als Wohnumfeldverbesserungen und Modernisierung. Als sogenannter Raum-Soziologe glaubt er im öffentlichen Raum alles besser zu wissen und hält sich vom Kreuzberger Revoluzzer-Biotop hinreichend ermächtigt, dies auch kompromisslos durchzusetzen zu können.

Am Gleisdreieck ist ihm nun der Senator mal ordentlich in die Parade gefahren. Und so geht bereits wieder das so oft zitierte „Schreckgespenst der Gentrifizierung“ um, das vermeintlich von Berlin-Mitte aus über das Schöneberger Ufer hinweg bis in das Herz Kreuzbergs zu schwappen droht. Sieben bis zu 90 Meter hohe Gebäude sollen im Park am Gleisdreieck emporschießen, mit einer rein gewerblichen Nutzung. Tatsächlich ist das naheliegend, denn wer möchte schon in den Höhen direkt über einem Bahnknoten wohnen. Dennoch sammeln sich bereits Bürgerinitiativen hinter dem lustlosen Bezirksamt an der Yorckstraße zur breitgefächteren Kiez-Opposition.

Vielleicht liegt es auch daran, dass auf dem begehrten Areal ein (in der Zwischenzeit entstandener Biergarten und Veranstaltungsort) der Neuberliner Craft-Beer-Brauerei „Brlo“ weichen muss, wenn die Bagger anrollen und die Baugruben ausheben? Der ist zu einer Art Pilgerstätte geworden und zum Aushängeschild der rapide gewachsenen Biermarke avanciert. „Brlo“ gilt als neues Berliner Szene-Gebräu gewissermaßen das Schultheiss der neuen Epoche.

Niemandsland: Eine der letzten großen Brachen im Zentrum Berlins

Die geplante Entwicklung des Bauerwartungslandes, dem schon 2015 ein Beteiligungsverfahren vorausgegangen war, sieht die Errichtung von sieben Hochhäusern vor - schon das löst Reflexe aus, die Traufhöhe ist in Kreuzberg heilig. Sie sollen sich zwar im Norden um den Bahnhof Gleisdreieck gruppieren und sich südlich entlang der Bahn-Linie erstrecken. Aber Geschäfte zu machen, ist hier verdächtig. Geplant ist nach Angaben der Projektinitiatoren eine Mischnutzung, die sogar ein breites Sport- und Freizeitangebot aufweist, um den angrenzenden Park logistisch zu ertüchtigen. Doch mit Fertigstellung des neuen Büroquartiers „Urbane Mitte“, wie der vorläufige Projektname lautet, verschwindet einer der letzten großen Brachen in der Berliner Innenstadt - Verdichtung gilt hier jedoch vielen als Einschränkung. 34.000 Quadratmeter groß ist das Areal und soll mit 119.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche überbaut werden. Wobei fast 8.000 Quadratmeter Fläche allein auf die dort ungenutzten historischen U-Bahn-Viadukte entfallen, die mit einem Marktplatz-Konzept ins Gefüge eingebunden werden sollen. Der Senat rechnet mit der Ansiedlung von 3.000 Arbeitsplätzen.

Senat setzt sich über Bedenken des Kreuzberger Stadtrats hinweg

Auf welche Widerstände die Bauherren als nächstes stoßen werden, bleibt die offene Frage, die die Nachbarschaft auf der Schöneberger Parkseite bewegt. Dort wohnt man zwar idyllisch am westlichen Rande eines insgesamt 16 Hektar großen Parks. Doch von einer Ruhe-Oase kann am Gleisdreieck eher nicht die Rede sein, dafür müsste man schon weit in den Süden Richtung Berliner-Südkreuz vorstoßen. Angeblich 14 immer noch aktive Initiativen haben sich jedenfalls zusammengeschlossen, um das geplante Bauvorhaben zu verhindern. Das Bezirksamt ist politisch ihre Besitzstand wahrende Speerspitze. Immer wieder wurde das Bauvorhaben in den vergangenen Jahren im Ausschuss für Stadtentwicklung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg verschleppt und hinausgezögert. Mit den Protest-Veranstaltungen und Kundgebungen wurde zwar Zeit gewonnen, doch die läuft nun ab. Ob der Widerstand freilich abflaut, ist indessen mehr als fraglich. Die Kreuzberger Mischung ist bekanntlich ein geflügeltes Wort in Aktivisten-Kreisen.

Die Gegner des Projekts bezeichnen das geplante Bauvorhaben als „eine Fehlentwicklung“ und unverantwortliche „Ausnutzung des längst überstrapazierten Parkgeländes“. Dass der von der CDU unter dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner geführte Senat jetzt den Weg bahnt, dürfte die Kreuzberger Szene noch mehr radikalisieren und mobilisieren.

Besitzstand: Anwohnern in Schöneberg wird es langsam zu bunt

Selbst im Rathaus des Innenstadtbezirks bestimmt der Widerstand die Agenda. Die Kommunalverwaltung hatte unter anderem eine Anweisung der Senatsverwaltung vom März 2024, das Verfahren voranzutreiben, nicht befolgt und hintertrieben. Das eröffnete dem Bausenator, sein Eingriffsrecht zu nutzen und „Öko-Asterix“ Schmidt und seinem gallischen Dorf die Grenzen aufzuzeigen. „Die Entwicklungsziele für den Park am Gleisdreieck und die Baufelder am Rande des Parks wurden 2005 von Senat und Bezirk gemeinsam in einem Rahmenvertrag festgelegt und in einem Werkstattverfahren des Bezirksamtes aus dem Jahr 2014 bestätigt“, ließ Gaebler in einem offiziellen Statement verbreiten.

Dass die knapp 4,3 Hektar große Neubaufläche ursprünglich mal Teil eines städtebaulichen Gesamtpaketes war, dessen angenehme Seiten die längst fertiggestellten Erholungs- und Grünflächen sind, ist in der Nachbarschaft offenbar verdrängt worden und über die letzte Dekade in Vergessenheit geraten. Sollte das einst in Verträgen zugesagte Bauvolumen von 119.000 Quadratmetern nicht zustande kommen, würde es teuer für Berlin. Die Investoren könnten auf finanzielle Entschädigung pochen, sagen sie und werden darauf juristisch pochen.

Dem Berliner Senat sollte es indessen wichtig sein, als verlässlicher Partner der Bauwirtschaft dazustehen. Nicht zuletzt angesichts der fehlenden neuen Wohnquartiere wird es künftig um Beschleunigung gehen, und da könnte die „Urbane Mitte“ als Maßstab angesehen werden bei Projektentwicklern und Immobilien-Investoren. Stand der Dinge ist: Abgesehen von den Renderings des Büros Ortner & Ortner ist der Zeitrahmen bislang vage. Es wird sich erst zeigen müssen, ob Senator Gaebler wirklich für neue Dynamik am Gleisdreieck sorgt und dort - im Sinne des Genius Loci - Walther Ruttmanns altehrwürdige „Sinfonie der großen schönen Stadt“ in bunten Bildern fortschreibt.

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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