Dr. Ming ist eine junge Chinesin, die während ihres Studiums in Niedersachsen gut Deutsch gelernt hat und nun, just in ihre Heimat zurückgekehrt, vor einer womöglich großen Wissenschafts-Karriere steht. „Im Vergleich zu Großbritannien und anderen europäischen Ländern ist Deutschland für chinesische Studierenden deutlich attraktiver, weil Deutschland international einen Ruf haben, dass die Abschlüsse schwer schwierig zu erwerben sind“, bestätigt sie. „In diesem Sinne ist die Bildungserfahrung hier für meine Karriere schon sehr gut.“ Als Wissenschaftlerin sieht sich die Absolventin ihrer deutschen Alma Mater in einer stolzen Reihe mit deutschen Nobelpreisträgern. Das zählt auch in ihrer Heimat und zahlt sich aus. Für sie kommt es gar nicht auf einen „zumeist besser bezahlten Job in der Wirtschaft“ an, sondern um Sicherheit und Perspektive, sagt sie. Deutschland hat Ming - ganz klar - geprägt.
Solange chinesische Facharbeiter und Ingenieure immer noch über deutsche Wertarbeit staunen
Mings Erfahrungen sind ein gutes Beispiel dafür, dass die Beziehungen zwischen dem Reich der Mitte und der Mitte Europas durchaus fruchtbar sein können und nicht nur problematisch in diesen Zeiten der internationalen Aggressivität. Deutschland hat immer noch einen hohen Stellenwert für das kommunistische Land und dessen zunehmend dogmatische Staatsführung. Eine Einbahnstraße in Richtung der neuen Weltmacht ist es längst nicht, auch wenn die sprachlichen Spitzen diesmal manchmal suggerieren. Deutschland, der neben den USA einstige Weltmarktführer, ist für China immer noch essenziell – in der Bildung, aber auch Technologie.
Es ist noch nicht lange her, als Volkswagen China mit ihrem Auslaufmodell Santana beglückt hat; es war früher mal das in allen Straßen verfügbare Massen-Gefährt und Taxi Pekings. Anno 2005 schien es angesichts der Fahrräder (in der chinesischen Hauptstadt und mitten auf nächtlichen Autobahnen ohne jegliches Rücklicht) sogar noch eine gute Idee, den Chinesen Dynamos zu verkaufen - oder sie wenigstens vom Sinn einer Anschaffung dergleichen zu überzeugen. Heutzutage macht es den Eindruck, als könne China einfach alles reproduzieren - selbst perfekte Kopien von Rubens- oder Van-Gogh-Gemälden.
Erst überschwemmte der Internet-Händler Alibaba den europäischen und amerikanischen Markt als Lager für einfach alles. Inzwischen sind es Marktplätze wie Temu und Shein, die die Welt in Überfluss und mit Überflüssigem fluten. Der freie Markt im Westen hat es dem Land ermöglicht, aus der Armut in den Mittelstand aufzusteigen (Milliardäre gibt es freilich auch!). Dass es allerdings auch Spielregeln gibt, hat China zumeist nur auf Druck hin akzeptiert. Deutsche Mittelständler wie beispielsweise Hans Grohe verzweifelten lange, wie man Warenfälschungen made in China Herr werden sollte. Die Lösung waren zunächst fesselnde Joint Ventures unter Bedingungen des chinesischen Staates und die Verlagerung von Produktionskapazitäten in China neue Mega-Städte.
Das hat gut 20 Jahre prima funktioniert - die Wirtschaft nannte es eine Win-win-Situation. Mit den E-Autos scheint sich das nun zu drehen. Nicht etwa, dass die technologisch so viel besser sind. Im Gegenteil: Ein Elektro-Motor ist im Vergleich zu einem Verbrenner ein vergleichsweise simples Produkt. Das Problem ist die zuerst subventionierte Herstellung und nun die mit Dumpingpreisen einhergehende Exportoffensive, die Europa und Amerika in die gesellschaftlich kritische Defensive gebracht hat. Jüngsten Berichten des Centres for Strategic & International Studies zufolge pumpt China derzeit gerade 230 Milliarden Dollar in die Fertigung von E-Autos - wer soll da mithalten? Das Spielfeld muss neu vermessen werden - und die Regeln neu geordnet. Das politisch zu verhandeln, wird schwierig. Das Selbstbewusstsein der Chinesen ist stetig gewachsen. Es läuft auf die Frage hinaus, ob Zollschranken die Chinesen wieder zu Einsicht und Kooperationsbereitschaft und an den Tisch zurückbringen.
China kann vieles herstellen, aber längst nicht alles reproduzieren oder gar entwickeln
Die Verhandlungsposition ist dabei weit besser, als man gemeinhin annimmt. Die Diskussion wird derzeit vor allem von den Automobilherstellern bestimmt, die ihre Marktchancen geschmälert und gefährdet sehen und im Kanzleramt jede Woche vernehmlich Alarm schlagen (wenn man Hildegard Müllers Freitags-Postillen zum Maßstab nimmt). Doch es gibt noch immer viele Firmen, die entspannt auf ihre Produkte vertrauen dürfen. China kann nicht alles. Wer mit chinesischen Experten spricht, erfährt vertrauensvoll, wo China insbesondere deutschen Erfindungsreichtum noch immer nichts entgegenzusetzen hat.
Solange fleißige chinesische Facharbeiter und Ingenieure immer noch über deutsche Wertarbeit staunen, sollten wir uns nicht verrückt machen. Das sollte auch Robert Habeck, unser grüner Wirtschaftsminister, auf seiner aktuellen China-Reise beherzigen. Für Furcht gibt es keinen Grund, man sollte auch Klartext reden, wo die Grenzen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und des wissenschaftlichen Austauschs erreicht sind. Stichworte: Spionage, Patentrecht-Verstöße, Ideen-Klau. Außerdem Subventionen und Preis-Dumping, die vom Umfang her jeden privatwirtschaftlichen Wettbewerb zerrütten. Das ökonomische Spielfeld muss beidseitig offen bespielbar sein, das sollte auch China endlich anerkennen.
Das 2013 eigens für China-Studien gegründete Mercator Institute warnt freilich, dass die Chinesen unsere Angst geradezu wittern und entsprechend hartleibig verhandeln. Der Chefökonom des Instituts, Max Zenglein, glaubt, Deutschland sei getrieben „von der eigenen Angst, die China wiederum auch wahrnimmt“. Die Folge hätte sich schon beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) offenbart. Er habe es nicht vermocht, die Chinesen zu bewegen, „überhaupt irgendetwas auf den Tisch zu legen und anzubieten“, so die Schelte.
Offenheit und Toleranz sind Werte, die junge Chinesen von deutschen Unis mit nach Hause nehmen
Der Zugang zu den deutschen Hochschulen könnte so eine Trumpfkarte sein, die Habeck jetzt ziehen könnte. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind im Wintersemester 2022/23 (post Corona) insgesamt 42.541 Studenten aus China an deutschen Hochschulen eingeschrieben gewesen. Dazu muss man wissen, das die Amerikaner nach dem Jahr 2000 zigtausende Studenten von ihren Hochschulen verbannt haben, aus Angst, dass sie Forschungsergebnisse und Werksgeheimnisse preisgeben. „Grotske Vorwürfe“ , nannte dies die chinesische Seite und meldete als Retour-Kutsche, dass die USA „nicht mehr erste Wahl für Wissenschaftler“ seien. Die Nerven liegen beidseitig blank, und die Rhetorik verschärft sich noch.
Was auf China 2025 zukommt, sollte Donald Trump wieder das Ruder im weißen Haus übernommen, könnte Habeck argumentativ helfen, die Konsequenzen für China auszumalen. Denn auch in Deutschland werden Chinas Studenten an der kurzen Leine geführt - in Hochschulkreisen wird von einer „engmaschigen Kontrolle durch den Staat“ gesprochen. Das gilt insbesondere für Nachwuchswissenschaftler, die mit einem Stipendium des China Scholarship Council (CSC) nach Deutschland kommen. Sie sind verpflichtet, sich nicht an Aktivitäten zu beteiligen, die „Chinas Sicherheit schaden“, was auch immer das erfasst. Sie müssen sogar bei der chinesischen Botschaft Bericht zu erstatten. Wer dagegen verstößt, dem drohen Strafen.
Die Warnungen von chinesischer Spionage werden lauter, die Maschen der Kontrollen enger
So ganz unbegründet ist diese Sorge also wohl nicht, dass China unbeirrt nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. „SPD, Grüne und Union halten deutsche Forschungseinrichtungen für nur unzureichend vor chinesischer Spionage geschützt. Auch die Geheimdienste warnen“, hieß es im August 2023 etwa im „Handelsblatt“ unter Bezugnahme auf den Verfassungsschutzbericht, in dem China als „die größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage“ bezeichnet wird. Intensives Interesse bestehe an Zukunftstechnologien wie Biomedizin, Luft- und Raumfahrttechnik, neuen Werkstoffen und Materialien, Robotik und Künstlicher Intelligenz, maritimer Technologie, E-Mobilität, Informationstechnologie und Halbleitern, heißt es.
Doch noch einmal zurück zu Dr. Ming. Sie hat in Deutschland studiert, promoviert und sich hier als junge Studentin wohlgefühlt. Auch sie hat ein Stipendium von 1350 Euro monatlich erhalten und konnte dadurch problemlos promovieren, erzählt sie stolz. Schließlich sind deutsche Hochschulen (anders als die teuren Unis in den USA) nicht nur deutschen Studenten, sondern dem Nachwuchs der Welt frei zugänglich - gegen eine vergleichsweise geringe Immatrikulationsgebühr. Ming lobt: „Die deutschen Universitäten sind sehr offen und tolerant. Das sieht man von den verfügbaren Programmen auf Englisch an den Hochschulen für ausländische Studierende. Und die meisten Deutschen können gut Englisch sprechen. Das hat mir erstmal ermöglicht, überhaupt hier forschen zu können. Ich sprach kein Deutsch, als ich ankam. Trotzdem konnte ich auf Englisch mein Promotionsprogramm durchführen und abschließen. Es ist eine sehr gute Atmosphäre hier.“
Wie „gewissenhaft und verantwortungsvoll hier mit der Arbeit umgegangen und auf die praktische Anwendbarkeit geachtet wird“, sei aus ihrer Sicht in China der Gold-Standard, der nur mit den amerikanischen Elite-Universitäten wie Harvard, Stanford oder dem MIT in Boston vergleichbar sei. Inzwischen ist Ming deshalb auch an einer Universität in Südchina angenommen worden. Werkstofftechnik ist eines ihrer Spezialgebiete. Dass sie in ihr Land zurückgekehrt ist in diesem Jahr, ist ihren dortigen Möglichkeiten geschuldet – „und auch dem Heimweh“, wie sie zugibt.
Mit ihrer Urkunde einer altehrwürdigen Hochschule in Deutschland stehen ihr in China jetzt viele Türen offen. China braucht Experten und junge Forscher wie Ming, deren Name wir übrigens bewusst verändert haben. Das ist bedauerlich, jedoch den politischen Umständen geschuldet. Junge Studenten aus China sind gleichfalls Diplomaten, die „nichts falsch machen oder missverständlich sagen“ sollen. Dass sie in gewisser Weise immer unter Kontrolle stehen, dürfte uns in Deutschland nicht sonderlich überraschen.
Spannend ist, was sie studieren, woran sie forschen. Eine Recherche in den Threads des chinesischen Internet-Portals Baidu brachte eine breite Palette zutage, auf der China offenkundig noch blinde Flecken und reichlich Aufholbedarf hat. Und das, auch jenseits der in der deutschen Presse publik gewordenen Beispiele wie das der Robotik-Firma Kuka AG. Es handelt sich um ein Unternehmen der Maschinenbaubranche mit Sitz in Augsburg. Seit 2016 hält der chinesische Midea-Konzern daran den Mehrheitsbesitz. Die Firma zählt zu den Top-10-Herstellern von Industrierobotern weltweit. Die Bundesregierung stimmte leichtfertig der Veräußerung des Unternehmens zu, was in der Wirtschaft durchaus kritisch beäugt wurde, angesichts seiner technologischen Expertise.
Amerikaner verlangen von Litho-Spezialisten ASML Service-Leistungen für China einzustellen
Ob das heute so nochmal passieren würde, erscheint fraglich, wenn man zum Vergleich die transkontinentalen Reibereien um den ASML-Konzern betrachtet. Die Amerikaner haben Druck auf das in Amsterdam börsennotierte Unternehmen ausgeübt, in Zukunft keine Belichtungsmaschinen mehr für die Chipproduktion zu liefern. ASML und dessen Zulieferer wie etwa Zeiss gelten im Lithografie-Druck als Weltmarktführer und Sinnbild für die technische Überlegenheit des Westens. Das enorme Wachstum von ASML, aktuell das wertvollste Unternehmen Europas, beruhte maßgeblich auf China-Exporten, für die freilich regelmäßig Ausnahme-Lieferlizenzen erforderlich sind. Es dreht sich neben teuren Belichtern mit extrem-ultravioletter (EUV-)Belichtungstechnik auch einige Systeme mit tief-ultraviolettem Licht (Deep Ultraviolet, DUV), die mit einer Wellenlänge von 193 statt 13,5 Nanometern arbeiten. Kunden dafür sind Chipauftragsfertigungen wie TSMC, Samsung, Intel, aber auch chinesische Hersteller wie SMIC. Aktuell drängt die US-Regierung die Niederlande dazu, dass ASML nun auch sämtliche Service-Leistungen für chinesische Firmen einstellt.
Das europäische Konsortium Digital Power China (DPC) hat zusammen mit dem German Council on Foreign Relations unlängst eine Studie vorgelegt, die weitere Bereiche und Beispiele benennt, die von chinesisischen Wissenschaftlern selbst identifiziert worden sind. Vor dem Hintergrund des von Politikern diskutierten „Decoupling“ , also dem Löslosen der engen Beziehungen mit dem Systemrivalen China, gilt es, die Hürden möglichst weiterhin hochzuhalten. „Ziel sollte es sein, dass die europäische Technologie eine unverzichtbare Rolle im chinesischen Technologie-Ökosystem spielt“, heißt es in der Zusammenfassung des DPC. Optische Systeme werden explizit benannt, China hat etwa der Firma Zeiss bislang nicht viel entgegenzusetzen. Laser-Technik ist ein weiteres Schlagwort, das die Chinesen umtreibt. Und die Quanten-Sensorik, insbesondere im Bereich der Krebsdiagnostik. Worauf es entschieden ankommt, ist, dass Europa seine „First-Mover-Vorteile“ auch in punkto Kommerzialisierung auf die Platte bringt. Dem Ausbau von 5G- und 6G-Netzen in Europa wird eine Schlüsselrolle zugebilligt - drahtlose Netze werden die Zukunft des wirtschaftlichen Wettbewerbs bestimmen.
Unsere DWN-Recherchen bei Baidu untermauern dies eindrucksvoll. Weitere Bereiche sind Flugzeug-Motoren (Aero engines), Großgeräte der Petrochemie. etwas verwunderlich, sogar hochauflösende Bildschirme und selbst Kerosin sowie Rohstoffe für die High-end-Gerätemedizin. Es wird relativ offen darüber diskutiert, welche Bereiche ganz generell kritisch seien, weil China darin „nicht autonom agieren“ könne. So im Bereich Luft- und Raumfahrt, der Bio-Pharmazeutik, Big-Data-Technologie und dem Smart Manufacturing, wo deutsche Firmen immer wieder als besonders erfinderisch hervorstechen. Auch bei Quanten-Computern werden Defizite ausgemacht, in den erneuerbaren Energien und bei der KI- und Kerntechnologie, wo Deutschland leider gerade zuletzt freiwillig seine Spitzenstellung geräumt hat.
Man kann nur hoffen, dass Robert Habeck gut beraten ist und nicht nur auf unsere Autohersteller mit ihren Partikular-Interessen hört. Respekt muss man sich erwerben, der lässt sich nicht vererben, besagt ein treffliches Sprichwort, das in beiden Kulturräumen gut verstanden wird.