Über 70 Prozent der mittelständischen Unternehmen haben seit Einführung des Bürgergeldes Probleme, Geringverdiener zu finden. Das geht aus einer aktuellen Umfrage von Der Mittelstand. BVMW hervor. Jedes Dritte der befragten Unternehmen gab demnach an, dass Mitarbeiter aufgrund des Bürgergeldes gekündigt oder Tätigkeiten gar nicht erst angetreten hätten, so der Mittelstandsverband.
BVMW-Chef Ahlhaus: „Fehlanreize belohnen Nichtstun“
„Die Umfrage macht deutlich, dass das Bürgergeld in der jetzigen Ausgestaltung eine Fehlkonstruktion ist und daher dringend reformiert werden muss“, sagt Christoph Ahlhaus, Bundesgeschäftsführer Der Mittelstand. BVMW. „Das Bürgergeld soll Bedürftige auffangen. Stattdessen setzt es Fehlanreize und belohnt Nichtstun, was in Zeiten eines akuten Arbeitskräftemangels und rund 1,7 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeldbeziehern grotesk und weltfremd ist“, so der Mittelstandschef weiter.
Wie dramatisch die Situation für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ist, zeigt der Hilferuf einer Unternehmerin aus Nordhreinwestfalen. Im Oktober 2023 veröffentlichte Katja Voigt, Geschäftsführerin eines Feinkostladens in Unna, einen Facebook-Post, in dem sie von ihrer verzweifelten Suche nach Arbeitskräften berichtete. Es gebe zwar Interessenten, so Voigt, „aber es bewerben sich nur Leute, die schwarz arbeiten wollen, um ihre staatliche Unterstützung nicht zu verlieren“.
Die Bewerberinnen und Bewerber, so Voigt weiter, rechneten ihr vor, „wie viel sie - ohne etwas zu tun - vom Staat (also von uns allen) bekommen. Ein kleiner Nebenjob, bei dem das Geld locker sitzt und man schnell 400, 500 Euro und mehr verdient als jemand, der von Montag bis Freitag arbeiten geht“. Katja Voigts Fazit: „Die Erhöhung des Bürgergeldes ab Januar ist ein Schlag ins Gesicht für jeden Arbeitnehmer.“ Der Beitrag wurde bisher mehr als 4 Millionen Mal aufgerufen und mehr als 2.500 Mal kommentiert.
Wenn das Grundsicherungssystem verlockender ist als Arbeit
Tatsächlich lohnt es sich im aktuellen Grundsicherungssystem für viele Leistungsbezieher finanziell kaum, eine Arbeit aufzunehmen oder ihre Erwerbstätigkeit auszuweiten, wie die Studie „Ungelöste Probleme der Grundsicherung” des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) aus dem März 2023 zeigt. Derzeit werden beim Bürgergeld nur die ersten 100 Euro Arbeitseinkommen nicht auf staatliche Leistungen angerechnet. Von jedem zusätzlich verdienten Euro dürfen die Bezieher 30 Cent behalten.
Darüber hinaus gelten gestaffelte Freibeträge: Für Einkommen zwischen 100 und 520 Euro bleiben 20 Prozent anrechnungsfrei, bei Einkommen zwischen 520 und 1.000 Euro sind es 30 Prozent. Weitere 10 Prozent bleiben bei einem Einkommen zwischen 1.000 und 1.200 Euro (bzw. bis zu 1.500 Euro bei minderjährigen Kindern) anrechnungsfrei.
Unternehmer fordern Änderung des Bürgergeld-Systems
Angesichts dieser finanziellen Vorteile fordern viele Unternehmer eine Änderung des Systems, wie die BVMW-Umfrage zeigt. So stimmen mehr als 86 Prozent der vom BVMW Befragten der Aussage zu, dass Menschen, die arbeiten, mehr Geld bekommen sollten als Bezieher staatlicher Leistungen und sprachen sich für eine Beibehaltung des Lohnabstandsgebotes aus. „Wer jeden Morgen aufsteht und die Ärmel hochkrempelt, muss am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche haben als jemand, der das nicht tut“, sagt BVMW-Chef Ahlhaus. „Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Arbeit muss wieder attraktiver werden – zum Beispiel durch eine Senkung von Steuern und Abgaben.“ Nur so ließe sich das Lohnabstandsgebot einhalten, so Ahlhaus.
Forderungen von Teilen der Politik und Gewerkschaften nach kräftigen Lohnerhöhungen, um Kaufkraftverluste durch die Inflation auszugleichen, erteilte Ahlhaus eine Absage: „Unternehmen sind weder für die Behebung der Fehler beim Bürgergeld noch für hohe Steuern, Sozialbeiträge und Energiekosten verantwortlich. Steigen Löhne stärker als die Produktivität, drohen bei Dienstleistungen und in der Landwirtschaft weitere Verluste und im Verarbeitenden Gewerbe noch mehr Verlagerung von Arbeitsplätzen.“
Boris Rhein: „Bürgergeld ist Brandbeschleuniger für Fachkräftemangel“
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sieht das Bürgergeld ebenfalls kritisch. Mit Blick auf gestiegene Zahlen bei Bürgergeld-Empfängern warnte er gegenüber der Deutschen Presse Agentur vor negativen Folgen für den Arbeitsmarkt. „Der Bürgergeld-Rekord zeigt: Das Bürgergeld ist ein Brandbeschleuniger für den Fachkräftemangel und die Arbeitsmarktkrise unserer Wirtschaft.“ Die richtige Antwort auf den Fachkräftemangel seien Anreize für Arbeit, nicht für Arbeitslosigkeit, so Chriastdemokrat Rhein.
Mit Blick auf die Beratungen für den Bundeshaushalt 2025 hat auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erneut Anpassungen beim Bürgergeld gefordert. „Die Erwartungen an das Bürgergeld haben sich angesichts der praktischen Erfahrungen nicht alle erfüllt. Deshalb muss nach meiner Überzeugung nachgearbeitet werden“, so Lindner gegenüber der Rheinischen Post. „Manche scheinen das Bürgergeld als eine Form des bedingungslosen Grundeinkommens missverstanden zu haben.“ So sei es aber nicht gemeint. Bei den Koalitionspartnern SPD und Grüne sehe Lindner eine Gesprächsbereitschaft zum Thema.
SPD plant Strafverschärfung bei Schwarzarbeit
Einem Medienbericht zufolge plant die SPD eine Verschärfung der Strafen bei Betrug durch Schwarzarbeit bei Bürgergeldempfängern. Demnach soll die staatliche Leistung gestrichen werden, wenn Bürgergeldempfängern Schwarzarbeit nachgewiesen wird. Ähnlich wie bei Sanktionen gegen sogenannte Totalverweigerer soll der Regelsatz für zwei Monate nicht gezahlt werden. Damit soll der Druck auf Bürgergeldempfänger erhöht werden, eine reguläre Arbeit aufzunehmen.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) lag die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Anspruch auf Bürgergeld im Mai 2024 bei 4,021 Millionen Personen, das sind 82.000 Personen mehr als im Mai des Vorjahres. Das Bürgergeld hat im Januar 2023 das System der Grundsicherung (Hartz IV) abgelöst. Ziel der Reform war es, die Vermittlung in dauerhafte Arbeit statt in reine Helfertätigkeiten zu verbessern.