Um in Deutschland mehr Wachstum zu erreichen, sollte die Bundesregierung Mittel, die für konsumtive Ausgaben wie Zuschüsse zur Rentenversicherung vorgesehen sind, schrittweise in öffentliche Investitionen umleiten. Dies empfiehlt ifo-Präsident Clemens Fuest in einem aktuellen Artikel für den ifo-Schnelldienst. „Um die derzeit sichtbaren Probleme des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu überwinden, ist eine Veränderung der Prioritäten erforderlich“, schreibt Fuest.
Mit dem jüngsten Rentenreformpaket habe Politik die jedoch gezeigt, dass ihr Fokus auf der Ausweitung der Sozialausgaben liegt. „Der höhere Finanzierungsbedarf der Rentenversicherung erfordert voraussichtlich höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Dies führt dazu, dass weniger Mittel für öffentliche Investitionen oder die Förderung privater Investitionen zur Verfügung stehen“, so Fuest.
Zudem würden höhere Beiträge zur Rentenversicherung das Arbeitsangebot reduzieren und die Arbeitskräfteknappheit verschärfen.
Keine Lösung durch Lockerung der Schuldenbremse
In der Lockerung der Schuldenbremse sieht Fuest keine Lösung, um den Investitionsstau zu beheben. Zwar dürfe man die Ausweitung der Verschuldungsspielräume für mehr Investitionen nicht tabuisieren, dies könne Umschichtungen jedoch nicht ersetzen.
„Bei Forderungen nach mehr Staatsverschuldung wird vernachlässigt, dass es in einer Volkswirtschaft mit stark ausgelasteten Produktionskapazitäten und Arbeitskräfteknappheit nicht ohne Weiteres möglich ist, die Wirtschaftsaktivität durch schuldenfinanzierte Staatsausgaben auszudehnen. Es kommt eher zu einer Verdrängung vorhandener Aktivität“, schreibt Fuest.
Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftspolitik
Für den Präsidenten vom Münchener Wirtschaftsforschungsinstitut ist die Debatte über die Probleme des Standorts Deutschland durchaus berechtigt. Die Wirtschaftspolitik müsse handeln, um dem Rückgang der Wirtschaftskraft und damit auch des Wohlstands in Deutschland entgegenzuwirken.
Zu den relevanten Themen gehören eine Senkung der Steuerbelastung, Bürokratieabbau, höhere und stetigere Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, eine angemessene Energieversorgung und bessere Anreize für Erwerbsfähige, tatsächlich zu arbeiten.
Analyse der Wettbewerbsfähigkeit
Fritzi Köhler-Geib von der KfW Bankengruppe sowie Klaus Borger und Philipp Scheuermeyer, beide von KfW Research, analysieren in ihrer Untersuchung die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Sie betrachten eine klassische Produktionsfunktion, erweitert um Aspekte wie Energieversorgung, staatliche Rahmenbedingungen und internationale Abhängigkeiten. Ihr Ergebnis: Deutschland ist weder „kranker Mann Europas“ noch „Superstar“, sondern liegt im Mittelfeld.
Der Handlungsdruck sei hoch, weil andere Wirtschaftsräume ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern. „Deutschland muss auf seinen Stärken aufbauen und seine Schwächen in den Griff bekommen“, so Köhler-Geib.
Debatte über Unternehmenssteuern und Klimaneutralität
Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise werden seit geraumer Zeit Forderungen nach einer angebotsorientierten Wende und Steuersenkungen laut. Achim Truger von der Universität Duisburg-Essen und Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft argumentiert jedoch, dass allgemeine Unternehmensteuersenkungen nicht das Mittel der Wahl seien. Sie stünden in Konkurrenz zu anderen potenziell wirksameren Maßnahmen und es bedürfe gezielter Investitionen in die Klimaneutralität.
„Für den Standort Deutschland kommt es zentral darauf an, finanzpolitische Spielräume zu mobilisieren, die nachfrageseitig eine restriktive Finanzpolitik verhindern und gleichzeitig angebotsseitig gezielte Investitionen ermöglichen“, so Truger.
Erosion des freien Unternehmertums
Karl Haeusgen vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau warnt vor einer schleichenden Erosion der Basis des freien marktwirtschaftlichen Unternehmertums in Deutschland.
Die zunehmende Verschärfung des wettbewerblichen Umfelds führe dazu, dass Neuinvestitionen überwiegend nicht mehr im Heimatmarkt, sondern auf ausländischen Märkten getätigt würden.
Um diese Entwicklung zu stoppen und wieder mehr Investitionen in Deutschland anzukurbeln, seien fundamentale Änderungen der politischen Weichenstellung notwendig. „An erster Stelle müssen die bürokratischen Belastungen abgebaut werden“, fordert Haeusgen.
Notwendigkeit umfassender Reformen
Friedrich Heinemann vom ZEW (Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) und der Universität Heidelberg kritisiert, dass aktuelle Reformen wie das Wachstumschancengesetz oder Überlegungen zu einem subventionierten Industriestrompreis zu kurz greifen. Deutschland benötige ein breites Reformpaket, das vier Elemente umfasse: die umfassende Mobilisierung des Faktors Arbeit, die Neuausrichtung des Abgabensystems in Richtung Investitions- und Beschäftigungsimpulse, die Priorisierung von Zukunftsausgaben in den öffentlichen Haushalten und eine durchgreifende Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung staatlichen Handelns. „Deutschland braucht umfassende Reformen, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, so Heinemann.
Vergleich mit den 1990er-Jahren
Ulrich Kater von der DekaBank zieht einen Vergleich mit dem letzten Reformstau in den 1990er-Jahren. Damals bestand ein eindeutiges Problemprofil mit zweistelligen Arbeitslosenquoten, während die gegenwärtige Standortdebatte an vielen Problemkanten zersplittert, aus denen die gegenwärtige Wirtschaftsschwäche besteht. „Der Schwarm der Probleme schützt das einzelne vor der Lösung.
Es ist an der Zeit, mit einer abgestimmten, auf mehr Leistungsfähigkeit zielenden Agenda an die zahlreichen Reformaufgaben heranzugehen“, erklärt Kater. Aus politökonomischer Sicht seien Wirtschaftsreformen ein undankbares Geschäft, „denn häufig kämen die Reformer nicht mehr in den Genuss ihrer Erfolge, weil sie wegen der anfänglichen Mühen vorher abgewählt würden“, fügt er hinzu.