Finanzen

Wege aus der Stagnation: „Investitionen statt Konsum“ sollen die Wirtschaft ankurbeln

Die deutsche Wirtschaft stagniert. ifo-Präsident Clemens Fuest fordert eine Neuausrichtung der Investitionen, um Wachstum zu fördern. Experten diskutieren über Unternehmenssteuern, Klimaneutralität und notwendige Reformen. Welche Lösungen gibt es?
05.07.2024 09:20
Lesezeit: 3 min

Um in Deutschland mehr Wachstum zu erreichen, sollte die Bundesregierung Mittel, die für konsumtive Ausgaben wie Zuschüsse zur Rentenversicherung vorgesehen sind, schrittweise in öffentliche Investitionen umleiten. Dies empfiehlt ifo-Präsident Clemens Fuest in einem aktuellen Artikel für den ifo-Schnelldienst. „Um die derzeit sichtbaren Probleme des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu überwinden, ist eine Veränderung der Prioritäten erforderlich“, schreibt Fuest.

Mit dem jüngsten Rentenreformpaket habe Politik die jedoch gezeigt, dass ihr Fokus auf der Ausweitung der Sozialausgaben liegt. „Der höhere Finanzierungsbedarf der Rentenversicherung erfordert voraussichtlich höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Dies führt dazu, dass weniger Mittel für öffentliche Investitionen oder die Förderung privater Investitionen zur Verfügung stehen“, so Fuest.

Zudem würden höhere Beiträge zur Rentenversicherung das Arbeitsangebot reduzieren und die Arbeitskräfteknappheit verschärfen.

Keine Lösung durch Lockerung der Schuldenbremse

In der Lockerung der Schuldenbremse sieht Fuest keine Lösung, um den Investitionsstau zu beheben. Zwar dürfe man die Ausweitung der Verschuldungsspielräume für mehr Investitionen nicht tabuisieren, dies könne Umschichtungen jedoch nicht ersetzen.

„Bei Forderungen nach mehr Staatsverschuldung wird vernachlässigt, dass es in einer Volkswirtschaft mit stark ausgelasteten Produktionskapazitäten und Arbeitskräfteknappheit nicht ohne Weiteres möglich ist, die Wirtschaftsaktivität durch schuldenfinanzierte Staatsausgaben auszudehnen. Es kommt eher zu einer Verdrängung vorhandener Aktivität“, schreibt Fuest.

Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftspolitik

Für den Präsidenten vom Münchener Wirtschaftsforschungsinstitut ist die Debatte über die Probleme des Standorts Deutschland durchaus berechtigt. Die Wirtschaftspolitik müsse handeln, um dem Rückgang der Wirtschaftskraft und damit auch des Wohlstands in Deutschland entgegenzuwirken.

Zu den relevanten Themen gehören eine Senkung der Steuerbelastung, Bürokratieabbau, höhere und stetigere Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, eine angemessene Energieversorgung und bessere Anreize für Erwerbsfähige, tatsächlich zu arbeiten.

Analyse der Wettbewerbsfähigkeit

Fritzi Köhler-Geib von der KfW Bankengruppe sowie Klaus Borger und Philipp Scheuermeyer, beide von KfW Research, analysieren in ihrer Untersuchung die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Sie betrachten eine klassische Produktionsfunktion, erweitert um Aspekte wie Energieversorgung, staatliche Rahmenbedingungen und internationale Abhängigkeiten. Ihr Ergebnis: Deutschland ist weder „kranker Mann Europas“ noch „Superstar“, sondern liegt im Mittelfeld.

Der Handlungsdruck sei hoch, weil andere Wirtschaftsräume ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern. „Deutschland muss auf seinen Stärken aufbauen und seine Schwächen in den Griff bekommen“, so Köhler-Geib.

Debatte über Unternehmenssteuern und Klimaneutralität

Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise werden seit geraumer Zeit Forderungen nach einer angebotsorientierten Wende und Steuersenkungen laut. Achim Truger von der Universität Duisburg-Essen und Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft argumentiert jedoch, dass allgemeine Unternehmensteuersenkungen nicht das Mittel der Wahl seien. Sie stünden in Konkurrenz zu anderen potenziell wirksameren Maßnahmen und es bedürfe gezielter Investitionen in die Klimaneutralität.

„Für den Standort Deutschland kommt es zentral darauf an, finanzpolitische Spielräume zu mobilisieren, die nachfrageseitig eine restriktive Finanzpolitik verhindern und gleichzeitig angebotsseitig gezielte Investitionen ermöglichen“, so Truger.

Erosion des freien Unternehmertums

Karl Haeusgen vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau warnt vor einer schleichenden Erosion der Basis des freien marktwirtschaftlichen Unternehmertums in Deutschland.

Die zunehmende Verschärfung des wettbewerblichen Umfelds führe dazu, dass Neuinvestitionen überwiegend nicht mehr im Heimatmarkt, sondern auf ausländischen Märkten getätigt würden.

Um diese Entwicklung zu stoppen und wieder mehr Investitionen in Deutschland anzukurbeln, seien fundamentale Änderungen der politischen Weichenstellung notwendig. „An erster Stelle müssen die bürokratischen Belastungen abgebaut werden“, fordert Haeusgen.

Notwendigkeit umfassender Reformen

Friedrich Heinemann vom ZEW (Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) und der Universität Heidelberg kritisiert, dass aktuelle Reformen wie das Wachstumschancengesetz oder Überlegungen zu einem subventionierten Industriestrompreis zu kurz greifen. Deutschland benötige ein breites Reformpaket, das vier Elemente umfasse: die umfassende Mobilisierung des Faktors Arbeit, die Neuausrichtung des Abgabensystems in Richtung Investitions- und Beschäftigungsimpulse, die Priorisierung von Zukunftsausgaben in den öffentlichen Haushalten und eine durchgreifende Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung staatlichen Handelns. „Deutschland braucht umfassende Reformen, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, so Heinemann.

Vergleich mit den 1990er-Jahren

Ulrich Kater von der DekaBank zieht einen Vergleich mit dem letzten Reformstau in den 1990er-Jahren. Damals bestand ein eindeutiges Problemprofil mit zweistelligen Arbeitslosenquoten, während die gegenwärtige Standortdebatte an vielen Problemkanten zersplittert, aus denen die gegenwärtige Wirtschaftsschwäche besteht. „Der Schwarm der Probleme schützt das einzelne vor der Lösung.

Es ist an der Zeit, mit einer abgestimmten, auf mehr Leistungsfähigkeit zielenden Agenda an die zahlreichen Reformaufgaben heranzugehen“, erklärt Kater. Aus politökonomischer Sicht seien Wirtschaftsreformen ein undankbares Geschäft, „denn häufig kämen die Reformer nicht mehr in den Genuss ihrer Erfolge, weil sie wegen der anfänglichen Mühen vorher abgewählt würden“, fügt er hinzu.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
avtor1
Farhad Salmanian

Zum Autor:

Farhad Salmanian arbeitet bei den DWN als Online-Redakteur. Er widmet sich den Ressorts Politik und Wirtschaft Deutschlands sowie der EU. Er war bereits unter anderem für die Sender BBC und Radio Free Europe tätig und bringt mehrsprachige Rundfunkexpertise sowie vertiefte Kenntnisse in Analyse, Medienbeobachtung und Recherche mit.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft IfW Kiel zur Trump-Präsidentschaft: "Zeiten der immer schnelleren Globalisierung vorbei"
21.01.2025

Für die deutsche Wirtschaft ist die Präsidentschaft von Donald Trump laut dem Wirtschaftsinstitut IfW Kiel mit erheblichen Unsicherheiten...

DWN
Politik
Politik Gericht bestätigt: Sächsische AfD darf als rechtsextrem bezeichnet werden
21.01.2025

Der sächsische Landesverband der AfD hatte 2023 gegen die Einschätzung des Verfassungsschutzes Beschwerde eingelegt, die Partei als...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis und Ölpreis: Trumps zweite Amtszeit könnte turbulent für den Rohstoffmarkt werden
21.01.2025

Donald Trump ist zum zweiten Mal US-Präsident – turbulente Zeiten scheinen sicher. Unmittelbare Auswirkungen kommen auf den...

DWN
Panorama
Panorama Macht Elon Musk hier den Hitlergruß? Wirbel um Video im Netz
21.01.2025

Bei einer Parade zu Trumps Amtseinführung reckt Elon Musk den ausgestreckten Arm zum Publikum. Viele wollen darin einen Hitlergruß...

DWN
Politik
Politik Trump erlässt Austritt aus Weltgesundheitsorganisation: "Die WHO hat uns abgezockt"
21.01.2025

Donald Trump verfügt in einem Präsidentenerlass, die Weltgesundheitsorganisation zu verlassen. Die WHO habe schlecht auf die...

DWN
Politik
Politik Trump-Regierung: TV-Moderator, Milliardär, Radikale - wer sind die mächtigsten Köpfe in Trumps Team?
21.01.2025

Die Auswahl der Kandidaten für zentrale Regierungspositionen folgte bei der Trump-Amtseinführung besonderen Kriterien: Medienwirksamkeit,...

DWN
Finanzen
Finanzen Upstart-Aktie: Prognose 2025 - wie die KI des Fintechs den Stellenabbau in Banken beschleunigt
21.01.2025

Bei der Vielzahl neuer AI-Startups und Hi-Tech-Schmieden, die ihre IT-Kompetenz um Künstliche Intelligenz ergänzen und sich dadurch neu...

DWN
Politik
Politik Panamakanal, Migration und Trans-Personen: Trump kündigt Knallhart-Maßnahmen bei Antrittsrede an
20.01.2025

Donald Trump führt als 47. US-Präsident nun offiziell die Geschicke der Vereinigten Staaten. Bei seiner Antrittsrede wiederholte er seine...