Politik

FDP geht von der Fahne: Absage an Wehrpflicht schlägt im Bundestag ein wie „Friendly fire“

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat nicht weniger als eine volle Breitseite aus den eigenen Reihen erhalten - in den USA würde von „Friendly fire“ sprechen. In einem Brief an den sehr geehrten Kollegen Pistorius, erläutern Parteichef Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann die FDP-Position, wonach sowohl Wiedereinsetzung der Wehrpflicht als auch die Musterung abgelehnt wird.
09.07.2024 17:22
Lesezeit: 3 min
FDP geht von der Fahne: Absage an Wehrpflicht schlägt im Bundestag ein wie „Friendly fire“
Heckenschützen gesichtet: Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, und Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe, beobachten die Nato-Übung „Arctic Defender“ 2024 auf der Eielson Air Force Base bei Fairbanks im US-Bundesstaat Alaska (Foto: dpa). Foto: Kay Nietfeld

Die Post aus Berlin hat unseren Verteidigungsminister so ziemlich am ungünstigsten Zeitpunkt erreicht - mitten auf dem Weg über den Nordatlantik zum 75-jährigen Jubiläum der Nato-Gründung.

Pistorius hatte infolge der Haushaltsverhandlungen ja schon einen Dämpfer vom Kanzler erhalten, der die vom Minister geforderten Mehrausgaben für die Bundeswehr mit 1,2 Milliarden Euro nur ansatzweise durchgewinkt hat - eine Art Inflationsausgleich.

Dass ihm freilich ausgerechnet jetzt von der FDP - nur wenige Tage nach dem Spardiktat - die Forderung ins Postfach flattert, sämtliche Vorbereitungen zur Ertüchtigung der Bundeswehr hinten anzustellen, hätte er wohl nicht für möglich gehalten. Lediglich „eine weitflächige Bestandsaufnahme der Menschen in Deutschland“ sei mit der FDP zu machen. Die FDP-Granden bezeichnen dies als „Maßnahme vorausschauender Klugheit“ - geradezu eine Provokation.

Agnes Strack-Zimmermann in Europa entsorgt, jetzt Freiheitsgeschwafel

Was ist los bei den Liberalen? War es nicht immer die resolute und vorlaute Agnes Strack-Zimmermann, die in jeder erdenklichen Lage (und Talkshow) mehr Waffen und Wehrfähigkeit gefordert hat, um Putin die Grenzen aufzuzeigen? Kaum ist die ehemalige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament verschwunden, schon hat in den Reihen der FDP die Stunde der Erbsenzähler (vom freiheitlichen Wirtschaftsflügel) geschlagen.

Unter den Liberalen Soldaten und Veteranen e.V. herrscht seither Fassungslosigkeit. „Ein Riesenfehler“ sei das, „wie sollen wir für Residenz und Aufwuchsfähigkeit sorgen, wenn wir nicht wissen, wen wir im Verteidigungsfalle zur Verfügung haben?“ Und was soll Artikel 12a im Grundgesetz, wo es heißt: „Männer können vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“ Mindestens die Verfassungsänderung, gleichberechtigt die jungen Frauen einzubeziehen, müsse weiter verfolgt werden.

Der Brief der FDP-Spitze klingt einigermaßen kompromisslos. Statt Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, wird jegliche Dienstpflicht wegen mangelnder „gesellschaftlicher Akzeptanz“ kategorisch ausgeschlossen, heißt es im Brief wörtlich. Verwiesen wird auf Zahlen des Ifo-Instituts zu den volkswirtschaftlichen Kosten der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Angeblich könne die Attraktivität des Soldatenberufs billiger organisiert werden - also offenkundig mit einer Berufsarmee, wie bereits das Wort „Beruf“ suggeriert.

Lindner und Buschmann haben es zusammen in einem Satz so formuliert: „Allein die jährliche Verpflichtung eines Viertels einer Alterskohorte im Rahmen der Wehr- und Dienstpflicht, also von circa 195.000 Personen, würde laut Ifo-Institut zu einem Rückgang des Brutto-Inlandseinkommens um 17,1 Milliarden Euro führen.“

Die Tatsache, dass dies selbst Pistorius all nicht durchsetzbar zurückgestellt hat und lediglich eine Fragebogen als Grundlage einer später verpflichtenden Musterung aussenden möchte, um vorerst wenigstens 5.000 junge Leute als Freiwillige für Tätigkeiten in der Bundeswehr zu begeistern, wird von der FDP konterkariert.

„Tiefe Eingriffe in Freiheit und persönliche Lebensplanung“

Als FDP-Argument wird die sogenannte Wehrgerechtigkeit eingeführt. Den Betroffenen seien derartige „tiefe Eingriffe in Freiheit und persönlicher Lebensplanung“ nicht zuzumuten - klingt sehr nach dem einstigen Zivildienstleistenden DJ Buschmann, der noch immer vom Ideal der Freiheitsliebe des Einzelnen beseelt ist. „Alle Möglichkeiten der Freiwilligkeit“, Dienst zu tun, seien zunächst „vollumfänglich auszuschöpfen“, so wohl Buschmanns Mantra.

Kein Wort Lindners zur aktuellen Bedrohungslage. Als hätte es die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Tage nach dem Überfall auf die Ukraine gehaltene Zeitenwende-Rede nie gegeben. Oder glaubt die FDP inzwischen ernsthaft daran, dass uns Friedensverhandlungen in den „Status quo ante bellum“ versetzen?

Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben den Nachfolger Strack-Zimmermanns, den Bundestagsabgeordneten Marcus Faber aus Stendal in Sachsen-Anhalt um eine Klarstellung gebeten. Bislang ohne Antwort! Scheinbar sitzt Faber gerade mit den Fraktionsspitzen seiner Partei im Parlament, um nach einer Hintertür zu suchen.

Derweil steht in den USA Boris Pistorius wieder mal ziemlich belämmert da, wenn die Feierlichkeiten im erst jüngst um Schweden und Finnland erweiterten Bündnis die Bedeutung des Verteidigungsbündnisses zugwürdigen. Dass Deutschland 2025 die führende Rolle auf der europäischen Seite des Atlantiks übernehmen könnte, auch als Folge des immer wahrscheinlicher werdenden Wahlsiegs von Donald Trump, dürfte vorerst vom Tisch sein - bis sich Union und SPD in großer Koalition auf die Wehrpflicht besinnen.

Pistorius: „Von Deutschland als größter Volkswirtschaft Europas wird viel erwartet. Da haben wir eine besondere Verantwortung zu übernehmen.“ Es scheint so, als habe - im Gegensatz zu selbst den Grünen - ausgerechnet die FDP das nicht wirklich begriffen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

avtor1
Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Starke Zahlen, schwache Realität: Die USA belügen sich selbst
10.06.2025

In der US-Wirtschaft ereignet sich derzeit etwas, das selbst erfahrene Beobachter ratlos zurücklässt. Zu ihnen zählt auch Jane Fraser,...

DWN
Technologie
Technologie Stellenabbau durch KI: Ein Viertel der deutschen Unternehmen rechnen mit weniger Jobs
10.06.2025

Wie sehr gefährdet KI die Arbeitsplätze in Deutschland? In der Wirtschaft gehen viele von einem Stellenabbau wegen des Einsatzes von...

DWN
Technologie
Technologie Meta macht ernst: Atomkraft für die KI-Revolution
10.06.2025

Um den Stromhunger seiner KI zu stillen, greift der Facebook-Konzern zu Atomenergie. Der Milliarden-Deal mit einem US-Reaktor läutet eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs trotzt dem Wahnsinn: Warum selbst Trump und Musk den Aufstieg nicht stoppen können
10.06.2025

Trump pöbelt, Musk tobt – doch der Bitcoin-Kurs lässt sich nicht stoppen. Trotz politischer Chaosspiele und Marktverwerfungen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Konkurrenz aus China: Deutsche Autozulieferer fürchten um Existenz
10.06.2025

Die Krise in der Autoindustrie setzt auch deren Zulieferer unter Druck. Laut einer Umfrage rechnen zwei Drittel der Firmen in den kommenden...

DWN
Panorama
Panorama Amoklauf an Grazer Schule: Mindestens 10 Tote nach Schüssen
10.06.2025

In der österreichischen Stadt Graz ist es an einer Schule zu einem Amoklauf gekommen sein.

DWN
Unternehmen
Unternehmen KI im Mittelstand: Wie KMU die richtige KI-Lösung finden und teure Fehler vermeiden
10.06.2025

Ob Einkauf, Controlling oder Service Desk: KI kann heute in nahezu jedem Bereich mittelständischer Unternehmen zum Hebel für...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutzbericht: Zahl der Rechtsextremisten deutlich gestiegen
10.06.2025

Gewaltbereite Salafisten, Reichsbürger und Rechtsextremisten – der Inlandsgeheimdienst hat zurzeit alle Hände voll zu tun. Das hat...