Politik

Nachverfolgung der Wiederaufbaugelder der Ukraine

Lesezeit: 4 min
20.07.2024 09:47
Der Wiederaufbau der Ukraine wird mit Sicherheit das bedeutendste und teuerste Unterfangen in Europa seit dem Marshallplan aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Laut Schätzungen der Weltbank wird er in den nächsten zehn Jahren fast 500 Milliarden Dollar erfordern. Dies stellt die Kosten der zerstörerischsten Naturkatastrophen der letzten Jahre, darunter des Tsunamis in der indonesischen Provinz Aceh 2004 und des Erdbebens in der Türkei und Syrien 2023, weit in den Schatten.

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Zudem hat der laufende Krieg in der Ukraine den Finanzen des Landes einen höheren Tribut abgefordert, was massive Militär- und Wirtschaftshilfen nötig macht. Die Ukraine war 2022/23 auf 74 Milliarden Dollar an Haushaltszuschüssen ihrer internationalen Partners angewiesen, um den Staatsapparat am Laufen zu halten. Dies legt nahe, dass fast das gesamte Geld für den Wiederaufbau von ausländischen Gebern kommen wird.

Die Steuerung eines derart kostspieligen und komplexen Unterfangens wie des Wiederaufbaus der Ukraine nach Kriegsende erfordert einen umfassenden, systemorientierten Ansatz. Insbesondere sollten zur Rationalisierung des Prozesses, zur Steigerung der Transparenz und zur Gewährleistung von Rechenschaftspflicht digitale Tools zum Einsatz kommen.

Die ukrainische Regierung hat zu diesem Zweck bereits das Digital Restoration Ecosystem for Accountable Management (DREAM) eingerichtet, und eine Koalition aus NGOs hat das Big Recovery Portal entwickelt, um offene Daten zu Wiederaufbauprojekten in allen Phasen zu erheben, zu ordnen und zu veröffentlichen. Dies trägt zur Schaffung eines Umfelds bei, in dem sich Bürger und Organisationen aktiv am Aufsichtsprozess beteiligen können.

Diese Systeme sind ein Schritt in die richtige Richtung. Doch was ihre Umsetzung angeht, ist es lehrreich, großumfängliche Wiederaufbauprogramme der jüngsten Zeit in Betracht zu ziehen. Insbesondere der Wiederaufbau von Aceh nach dem Tsunami des Jahres 2004 im Indischen Ozean – ein von der indonesischen Regierung geleitetes und von der Weltbank unterstütztes Unterfangen – hält wichtige Lehren zum wirksamen und wirtschaftlichen Einsatz digitaler Tools bereit.

Zunächst einmal ist es wichtig, sich zu erinnern, dass es selbst bei Nutzung neuester Technologie Menschen sind, die die Geldflüsse nachverfolgen müssen. Datenerhebung und -analyse bleiben arbeitsintensiv, da automatisierte Informationssysteme unweigerlich für Fehler anfällig sind, die nur Menschen ermitteln können. In Aceh wurden die Daten von Wiederaufbauprojekten in der Frühphase nicht immer konsolidiert oder analysiert, was zu Doppelzählungen führte. Zudem waren die Menschen, die die Daten eingaben, vom Grad an Details, der zur Nachverfolgung der Ergebnisse erforderlich war, überfordert, was zur Folge hatte, dass selbst einfach erhältliche Finanzinformationen anfangs nicht verfügbar waren.

Zweitens verzögerte eine übertriebene Planung viele Baumaßnahmen. Statt ein Gesamtkonzept zu erstellen, wie es Indonesien für Aceh tat, sollte die Ukraine einen Rahmenplan mit zentralen Prinzipien wie etwa Mindestanforderungen an das Design und den Bau von Gebäuden aufstellen, um das Tempo zu forcieren. Einige Projekte – z. B. Notunterkünfte – werden zwangsläufig vorübergehender Art sein. Plattformen wie DREAM und das Big Recovery Portal sollten die Wiederaufbaudaten daher in Echtzeit erfassen, um eine fortlaufende Analyse und letztliche Kurskorrektur sicherzustellen.

Drittens sollte die Ukraine Finanzzusagen und Auszahlungen getrennt nachverfolgen. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft erfasst und quantifiziert bereits die der Ukraine von Regierungen zugesagten Hilfen. Doch ist eine Überwachung der Auszahlungen nicht minder wichtig, weil diese die Aktivitäten vor Ort besser widerspiegeln. Dies kann schwierig sein, weil die Gelder häufig durch viele Kanäle fließen und in unterschiedlichen Stadien erfasst werden, bevor sie die Begünstigten erreichen. Es bedarf einer sorgfältigen Erfassung, um Doppel- und Dreifachzählungen zu verhindern. In Aceh wurden die einzelnen Projekte mit der sogenannten RETAM-Methode auf Ebene der ausführenden Behörden erfasst, um dieses Problem zu vermeiden. DREAM sollte in der Ukraine dasselbe tun.

Zudem sollten die Hilfsgelder sachgerecht verteilt werden. Nach dem Tsunami ergaben staatliche Untersuchungen in Aceh, dass Wiederaufbaugelder aufgrund der Prioritäten der Geber zunächst mehrheitlich Gesundheits- und Bildungsprojekten zugeordnet wurden statt unverzichtbarer Infrastruktur. Um ein derartiges Ergebnis zu vermeiden, sollte DREAM die Finanzierungsarten voneinander trennen; dies würde es ermöglichen, Nothilfen auszuklammern und sich stattdessen auf Investitionen für den Ersatz beschädigter oder zerstörter Anlagen wie Schulen, Brücken und Straßen zu konzentrieren. Im Verbund mit einer Strategie, die die Bedürfnisse aller Branchen und Regionen berücksichtigt, würde ein derartiger Ansatz die praktischen Aspekte der Nutzung der Gelder – insbesondere den Ort der Zuweisung der Gelder – betonen und den Wiederaufbau kritischer Infrastruktur fördern.

Doch ist wirksame Hilfe genauso sehr von lokalen Kapazitäten abhängig wie von Finanzflüssen. Ein wichtiger Aspekt der Wiederaufbaumaßnahmen ist daher eine gründliche und realistische Einschätzung der Bedürfnisse, da sie die Abstimmung mit vorhandenen Ressourcen verbessern kann. In Aceh wurde die Kosten des Wiederaufbaus (unter Einschluss der Inflation) zunächst auf 6,2 Milliarden Dollar geschätzt. Doch während für den Wiederaufbau über sieben Milliarden Dollar zur Verfügung standen, beschränkte eine Unterausstattung in den Bereichen Umwelt, Energie, Nahrungsmittelproduktion und Bewässerung die Erholung auf das Niveau von vor dem Tsunami.

Und ein letzter Punkt: Während ein breites Spektrum von Gebern und umsetzenden Behörden einen Betrag zum Wiederaufbau der Ukraine leistet, ist eine strategische Steuerung der wichtigsten Akteure – auf die rund 85 % des Gesamtportfolios entfallen – unverzichtbar. Dies wird sicherstellen, dass der Großteil der Investitionen möglichst wirtschaftlich eingesetzt wird und höchste Standards der Transparenz und Rechenschaftsplicht erfüllt. Die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle mit zentralem Datenverwaltungssystem könnte hierzu beitragen. Sie würde zudem einen in sich schlüssigen Ansatz zum Wiederaufbau des Landes fördern, durch den eine Abstimmung der größten Geber mit den Zielen der Regierung und miteinander erreicht würde.

Beim Wiederaufbau von Aceh arbeitete ein Team der Weltbank eng mit den zehn wichtigsten Gebern zusammen und analysierte das Regierungsbudget für den Wiederaufbau sorgfältig, was zu besser aufeinander abgestimmten Maßnahmen führte. Das soll jedoch nicht heißen, dass nur die größten Projekte für die strategische Planung und die Zuteilung von Ressourcen relevant sind. Im Gegenteil: Zur Entwicklung einer umfassenden Strategie sollten Projekte aller Größenordnungen sorgfältigst nachverfolgt werden.

Die Anforderungen des Wiederaufbaus der Ukraine werden enorm sein. Daher, und weil die ukrainische Bevölkerung enorm unter dem russischen Angriffskrieg gelitten hat, muss die internationale Gemeinschaft die richtigen Lehren aus den jüngsten Katastrophen ziehen, um zu helfen, das Land rasch und gemäß höchsten Standards wieder aufzubauen. Die Ukraine braucht bei ihren Vorbereitungen zur Umsetzung zehntausender wichtiger Infrastrukturprojekte die richtigen digitalen Tools und menschlichen Kapazitäten, um ihre Fortschritte zu überwachen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2024.

www.project-syndicate.org

                                                                            ***

Wolfgang Fengler ist ein ehemaliger leitender Ökonom der Weltbank und heute CEO von World Data Lab.

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Wladyslaw Raschkowan ist stellvertretender geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds.

 


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