Politik

China exportiert seinen KI-Überwachungsstaat

Lesezeit: 4 min
11.08.2024 16:00
US-Präsident George H.W. Bush bemerkte einst: „Kein Land der Erde hat es geschafft, Waren und Dienstleistungen aus der ganzen Welt zu importieren und gleichzeitig fremde Ideen an der Grenze aufzuhalten.“ In einem Zeitalter, als Demokratien die Spitzentechnologien beherrschten, handelte es sich bei den von Bush gemeinten Ideen um Konzepte, die mit Amerikas eigenem Modell der politischen Ökonomie vereinbar waren.
China exportiert seinen KI-Überwachungsstaat
Überwachungs-KI aus China könnte eine Bedrohung für demokratische Institutionen darstellen (Foto: dpa).
Foto: Sven Hoppe

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Doch nun, da China zu einem führenden Innovator im Bereich künstlicher Intelligenz aufgestiegen ist, stellt sich die Frage, ob diese Form der wirtschaftlichen Integration Länder in die entgegengesetzte Richtung bewegen könnte. Besonders relevant präsentiert sich diese Frage für Entwicklungsländer, da viele von ihnen nicht nur institutionell instabil sind, sondern auch über Handel, Auslandshilfe, Kredite und Investitionen zunehmend mit China in Verbindung stehen.

Obwohl KI als Grundlage für eine „vierte industrielle Revolution“ gepriesen wurde, birgt sie auch viele neue Herausforderungen. KI-Technologien haben zwar das Potenzial, das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren voranzutreiben, aber auch Demokratien zu untergraben, Autokraten in ihrem Streben nach sozialer Kontrolle zu unterstützen und „Überwachungskapitalisten“ zu stärken, die unser Verhalten manipulieren und von Datenspuren profitieren, die wir online hinterlassen.

Da China die KI-gestützte Gesichtserkennung offensiv einsetzt, um seinen eigenen Überwachungsstaat zu stützen, haben wir uns kürzlich daran gemacht, Muster und politische Folgen des Handels mit diesen Technologien zu untersuchen. Nach dem Aufbau einer Datenbank für den weltweiten Handel mit Gesichtserkennungs-KI im Zeitraum von 2008 bis 2021 ermittelten wir 1.636 entsprechende Transaktionen aus 36 Exportländern in 136 Importländer.

Auf der Grundlage dieses Datensatzes dokumentieren wir drei Entwicklungen. Erstens verfügt China über einen komparativen Vorteil im Bereich KI für Gesichtserkennung. Das Land exportiert in beinahe doppelt so viele Länder wie die Vereinigten Staaten (83 gegenüber 57 Geschäftsverbindungen), und hat etwa 10 Prozent mehr Handelsabkommen abgeschlossen (238 gegenüber 211). Darüber hinaus präsentiert sich der komparative Vorteil bei KI-Gesichtserkennung größer als bei anderen Spitzentechnologie-Exporten wie radioaktiven Materialien, Dampfturbinen sowie Laser- und anderen Strahlverfahren.

Obwohl Chinas komparativer Vorteil womöglich das Produkt verschiedener Faktoren ist, wissen wir, dass die chinesische Regierung die weltweite Vormachtstellung im Bereich KI zu einem ausdrücklichen entwicklungspolitischen und strategischen Ziel erklärte und dass die Branche für Gesichtserkennungs-KI von ihrer Nachfrage nach Überwachungstechnologie profitiert hat, weil sie häufig Zugang zu großen staatlichen Datensätzen erhielt.

Zweitens stellen wir fest, dass Autokratien und schwache Demokratien eher dazu neigen, KI zur Gesichtserkennung aus China zu importieren. Während die USA die Technologie überwiegend in reife Demokratien exportieren (auf diese entfallen etwa zwei Drittel ihrer Geschäftsverbindungen beziehungsweise drei Viertel ihrer Transaktionen), exportiert China etwa gleich viel in reife Demokratien und Autokratien oder schwache Demokratien.

Weist China also eine Tendenz zum Export in autokratische Länder auf oder exportiert das Land insgesamt einfach mehr Produkte in Autokratien und schwache Demokratien? Als wir Chinas Exporte im Bereich Gesichtserkennungs-KI mit den Exporten anderer Spitzentechnologien verglichen, stellten wir fest, dass die Gesichtserkennungs-KI die einzige Technologie ist, bei der China eine Tendenz in Richtung Autokratien aufweist. Ebenso bemerkenswert ist, dass wir bei der entsprechenden Untersuchung der USA keine derartige Verzerrung feststellen konnten.

Eine mögliche Erklärung für diesen Unterschied besteht darin, dass sich Autokratien und schwache Demokratien bei der Beschaffung von Überwachungstechnologien womöglich gezielt an China wenden. Das bringt uns zu unserer dritten Erkenntnis: Autokratien und schwache Demokratien importieren in Jahren, in denen sie innenpolitische Unruhen erleben, mit größerer Wahrscheinlichkeit Gesichtserkennungs-KI aus China.

Diese Daten machen deutlich, dass schwache Demokratien und Autokratien dazu neigen, Überwachungs-KI aus China - aber nicht aus den USA – in den Jahren zu importieren, da diese Unruhen auftreten, aber nicht präventiv oder im Nachhinein. Importe von Militärtechnologie folgen einem ähnlichen Muster. Im Gegensatz dazu konnten wir nicht feststellen, dass reife Demokratien als Antwort auf Unruhen mehr KI zur Gesichtserkennung importieren.

Eine letzte Frage betrifft die umfassenderen institutionellen Veränderungen in diesen Ländern. Aus unserer Analyse geht hervor, dass die Einfuhr chinesischer Überwachungs-KI im Zuge innerstaatlicher Unruhen tatsächlich mit weniger fairen, weniger friedlichen und insgesamt weniger glaubwürdigen Wahlen in einem Land einhergeht. Ein ähnliches Muster scheint auch für die Einfuhr von US-amerikanischer Überwachungs-KI zu gelten, wenngleich dieses Ergebnis weniger präzise einzuschätzen ist.

Gleichzeitig finden wir bei reifen Demokratien keinen Zusammenhang zwischen der Einfuhr von Überwachungs-KI und institutioneller Qualität. Daher interpretieren wir unsere Ergebnisse nicht als kausale Auswirkung von künstlicher Intelligenz auf Institutionen, sondern betrachten die Importe von künstlicher Intelligenz zur Überwachung und die Aushöhlung nationaler Institutionen in Autokratien und schwachen Demokratien als das gemeinsame Ergebnis des Strebens eines Regimes nach größerer politischer Kontrolle.

Interessanterweise finden wir auch Hinweise darauf, dass Autokratien und schwache Demokratien, die in Zeiten von Unruhen in großem Stil chinesische Überwachungs-KI importieren, sich mit geringerer Wahrscheinlichkeit zu reifen Demokratien entwickeln als vergleichbare Länder mit weniger Importen von Überwachungs-KI. Dies lässt vermuten, dass die von Autokratien in Zeiten von Unruhen angewandten Taktiken - der Import von Überwachungs-KI, die Aushöhlung von Wahlrechtsinstitutionen und der Import von Militärtechnologie - wirksam zur Festigung nicht-demokratischer Regime beitragen können.

Unsere Forschung ergänzt Belege, wonach Handel der Demokratie nicht immer förderlich ist oder Regime liberalisiert. Vielmehr kann Chinas stärkere Verflechtung mit den Entwicklungsländern womöglich genau das Gegenteil bewirken.

Dies legt die Notwendigkeit einer strengeren Regulierung des KI-Handels nahe, die nach dem Vorbild der Regulierung anderer Güter mit negativen externen Effekten gestaltet werden könnte. Insofern, als autokratisch verzerrte KI auf Daten trainiert wird, die zum Zweck der politischen Unterdrückung gesammelt wurden, ist sie mit Gütern vergleichbar, die mit unethischen Ressourcen wie etwa Kinderarbeit hergestellt werden. Und da Überwachungs-KI mit negativen externen Effekten wie dem Verlust bürgerlicher Freiheiten und politischer Rechte einhergehen kann, ist sie der Umweltverschmutzung nicht unähnlich.

Wie alle Technologien mit doppeltem Verwendungszweck hat auch die KI zur Gesichtserkennung das Potenzial, Verbrauchern und Unternehmen Vorteile zu bringen. Die entsprechenden Regulierungsbestimmungen müssen jedoch umsichtig gestaltet werden, um zu gewährleisten, dass diese Spitzentechnologie in der ganzen Welt Verbreitung findet, ohne die Autokratisierung zu fördern.

Copyright: Project Syndicate, 2024.

www.project-syndicate.org

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Martin Beraja ist Assistenzprofessor für Wirtschaftswissenschaften am MIT.

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David Y. Yang ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und Direktor des Center for History and Economics an der Harvard University.

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Noam Yuchtman ist Professor für Politische Ökonomie und Fellow am All Souls College der University of Oxford.



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