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Ostdeutschland holt wirtschaftlich auf: Arbeitslosigkeit sinkt

Arbeitsmarkt 2024: Nach fast 20 Jahren ist die Arbeitslosenquote in den ostdeutschen Bundesländern deutlich gesunken und die Erwerbstätigkeit erheblich gestiegen – trotz nach wie vor weniger Gehalt. Arbeitnehmer verdienen im Osten 16 Prozent weniger als im Westen, wie aus einer Studie der Bertelsmann Stiftung hervorgeht.
08.08.2024 14:10
Lesezeit: 3 min
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Die Bertelsmann Stiftung hat die Woche eine Analyse zur „Entwicklung und Zukunft des ostdeutschen Arbeitsmarkts“ veröffentlicht – mit einem erstaunlichen Ergebnis: Inzwischen sind in den ostdeutschen Bundesländern deutlich weniger Menschen arbeitslos als nach der Wende.

Osten und Westen nähern sich an

Der ostdeutsche Arbeitsmarkt habe einen Wandel sondergleichen hinter sich, erklärt die Stiftung. Der Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft habe in den ehemals volkseigenen Betrieben 70 Prozent der Arbeitsplätze gekostet. Für viele Menschen hieß das, als Konsequenz in den Westen zu gehen. Zwischen 1991 und 2022 kehrten 1,2 Millionen Menschen ihrer Heimat den Rücken.

Das führte dazu, dass die Arbeitslosenquote bis zum Jahr 2005 auf bis 19 Prozent anstieg. Jetzt sank die Arbeitslosigkeit in den östlichen Bundesländern vom Höchststand der 2000er Jahre auf 7,2 Prozent! Der westdeutsche Schnitt liegt aktuell bei 5,3 Prozent.

Nahezu Gleichstand gibt es inzwischen bei der Erwerbstätigenquote mit 76,7 Prozent im Osten und 77,3 Prozent im Westen hergestellt.

Wandel trotz weniger Gehalt

Arbeitnehmer verdienen noch immer im Durchschnitt fast 16 Prozent weniger als im Westen. 1990 hatte die Lohnlücke den Angaben zufolge noch 26 Prozent betragen. Laut der Untersuchung liegt das mittlere Entgelt im Osten bei 3.157 Euro, im Westen sind es 3.752 Euro. Allerding ist der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern in östlichen Bundesländern deutlich geringer als im Westen.

Frauen verdienen im Osten besser

Deutliche Vorteile biete der Osten dagegen bei den Beschäftigungsbedingungen für Frauen. Der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern, ist demnach in den östlichen Bundesländern erheblich kleiner als in den westdeutschen Ländern: 2023 habe der durchschnittliche Stundenverdienst einer Frau in Westdeutschland 19 Prozent unter dem eines Mannes gelegen, hieß es. In Ostdeutschland betrage der Unterschied lediglich sieben Prozent.

Das liege auch an einer besseren Verfügbarkeit von Kinderbetreuung. In Ostdeutschland seien mehr als 50 Prozent der unter Dreijährigen betreut, im Westen seien es lediglich rund 30 Prozent. „Die Folge: Mütter in den ehemals neuen Ländern können ihre Arbeitszeitwünsche besser in die Tat umsetzen. So arbeiten im Osten 67 Prozent der Frauen in Vollzeit – im Westen dagegen nur 52 Prozent“, so die Stiftung.

Wachsende Arbeitsproduktivität

Die Arbeitsproduktivität habe sich pro Arbeitsstunde in einigen Bereichen der ostdeutschen Wirtschaft stark dem westdeutschen Niveau angenähert. Beispiele dafür seien die Bereiche Baugewerbe, Handel sowie Dienstleistungen. Besondere Bedeutung für die Produktivitäts- und Lohnentwicklung habe jedoch das verarbeitende Gewerbe. Dort liege auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung die Arbeitsproduktivität im Osten bei nur 76 Prozent des westdeutschen Niveaus.

Ansiedlungen von Großunternehmen, wie dem taiwanischen Chiphersteller TSMC und dem US-Unternehmen Intel „machen den Osten attraktiver“, erklärten die Forschenden. Mehr Großkonzerne und weniger Kleinstbetriebe machen die Wirtschaft insgesamt produktiver, denn sie bieten besser bezahlte Arbeitsplätze in zukunftsträchtigen Berufen. Ansiedlungen in den östlichen Bundesländern schaffen zusätzliche Entfaltungsmöglichkeit für die Forschungslandschaft, regionale Zulieferer und unternehmensnahe Dienstleistungen.

Zugleich muss mehr für die Qualifizierung und Weiterbildung von Arbeitnehmer getan werden – vor allem bei den Zukunftskompetenzen, die für die Digitalisierung und Dekarbonisierung der Wirtschaft immer wichtiger werden.

Folgen der Wiedervereinigung

„Die hohe Arbeitslosigkeit und der Exodus der jungen Leute haben sich tief ins kollektive Bewusstsein eingebrannt“, erklärte die Bertelsmann Stiftung. Die Auswirkungen seien auch heute noch spürbar, wenn die öffentliche Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen weiter ausdünne und viele Arbeitslose von damals nun der Altersarmut entgegensehen würden.

Gerade bei den Renten ist das Ost-West-Gefälle besonders ungleich: Von niedrigen Renten sind besonders die Menschen in Ostdeutschland betroffen. In Brandenburg haben 71.000 Menschen nach 45 Jahren Einzahlung eine Rente unter 1.200 Euro, in Sachsen sind es sogar 145.000. Im Westen sieht die Situation etwas besser aus. So liegt die Durchschnittsrente nach 45 Jahren Einzahlung in Hamburg bei 1.721 Euro, während sie in Thüringen nur 1.437 Euro beträgt.

Diese Unterschiede sind nicht nur signifikant, sondern auch alarmierend.

„Das trägt zur Wahrnehmung bei, weiterhin benachteiligt zu sein – auch wenn der ostdeutsche Arbeitsmarkt heute wesentlich besser dasteht als vor 30 Jahren“, erklärte Eric Thode, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung.

Für das veröffentlichte Papier „Entwicklung und Zukunft des ostdeutschen Arbeitsmarkts“ hat die Bertelsmann Stiftung nach eigenen Angaben aktuell verfügbare Daten zum Status quo und zur Entwicklung des Arbeitsmarkts in Ost- und Westdeutschland verwendet.

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Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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