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Wie das Deutschland-Ticket für 49 Euro die Marktwirtschaft abseits und ad absurdum führt

Lesezeit: 5 min
14.08.2024 06:01
Die Sache mit 49-Euro-Ticket in Deutschland hat einen entscheidenden Haken. Der springende Punkt ist der: Kosten und Nutzen laufen neosozialistisch völlig aus dem Ruder. Ein Schalk, wer Böses dabei denkt. Dahinter steckt wirtschaftliches Unvermögen - und teilweise auch ein Unterbietungswettbewerb.
Wie das Deutschland-Ticket für 49 Euro die Marktwirtschaft abseits und ad absurdum führt
Auf einer Anzeigetafel am Bahnhof werden die Abfahrtszeiten von Nahverkehrszügen und Linienbussen angezeigt. Die Verkehrsminister der Länder beraten in Münster über die Zukunft des Deutschland-Tickets. (Foto. dpa)

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Es ist brüllend heiß - und Vater Staat gibt fürsorglich allen Bürgern und ihren Kindern nachmittags um drei ein Magnum Mandel aus. Tolle Idee, nicht? Leckeres Eis vom Bürgermeister? Nein, besser nicht! Denn jeder ahnt selbst als wirtschaftspolitischer Laie, dass dann bald alle Eiscafés und möglicherweise auch unser Bäcker- und Konditoreigewerbe dichtmachen muss. So ähnlich läuft es offenkundig gerade mit dem öffentlichen Nahverkehr. Für 49 Euro unbegrenzt mit Bus und Bahnen fahren, das halten viele Grüne und andere Träumer für eine gute Idee.

Im AB-Bereich der Hauptstadt kostet der Spaß sogar nur 29 Euro, also im Stadtgebiet bis zur Stadtgrenze. Und das obwohl Berlin gerade wieder volle Fahrt voraus in die Schuldenfalle steuert. Egal, wer an Spree und Havel wieviel auch immer verdient, einfach jeder darf Bus, Bahnen oder Tram nehmen für nur ein paar Taler. Die Stadt ist ja besonders groß, da muss es Rabatte geben für die grüne Wende und für die als Zukunft propagierte Abkehr vom Autobesitz. Da lassen selbst Kampfradler gern mal ihr Bike zuhause stehen, wenn es am Himmel wolkig wird.

Warum in der Hauptstadt die Tickets für jedermann subventioniert werden - auf nur 29 Euro

Wozu das führt, wird nun allmählich für jeden offenkundig und nachvollziehbar. Völlig überfüllte Züge, ständig Verspätungen, ein Netz. das vor dem Zusammenbruch steht. Die CDU geht sogar so weit, die Bahnen ausdünnen zu wollen, um wenigstens einen Großteil pünktlich ans Ziel zu bringen.

13 Millionen Menschen bundesweit verfügen bereits über das (als politischen Erfolg verkaufte) Deutschlandticket - sind also per Flat-Rate unterwegs, als wäre ihr Bus ein Streaming-Ausflug mit Netflix. Das geht aus den jüngsten Zahlen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hervor. Doch die städtischen und insbesondere die regionalen Verkehrsbetriebe ächzen, statt darüber zu frohlocken. Ihr Grundkapital ist schwach, neue Busse und Bahnen sind nämlich teuer in der Anschaffung.

So kündigte etwa das Land Schleswig-Holstein bereits ab 2025 Konsequenzen für die bestehenden Bahnverbindungen an. Im aktuellen Umfang könne das Bundesland den ÖPNV nicht aufrechterhalten, erklärte Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU). Andere Länder könnten schon bald dem Beispiel folgen.

Streckenstreichungen drohen - wieder mal ein Beispiel aus dem Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaft

Die Folge folgt der Logik und dem gesunden Menschenverstand. Der Nahverkehr wird nicht etwa ausgeweitet. Das Gegenteil ist der Fall: Die Frequenz und Schlagzahl wird schwächer, in manchen Regionen werden die Pendler schon bald ein dissonantes Streichkonzert zu hören bekommen. Streckenstreichungen stehen auf der Tagesordnung, der Abbau von zügigen Verbindungen. Völlig kontraproduktiv, ganz so, wie es im Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaften steht.

Und was sagt unser Wirtschaftsminister höchstselbst dazu? Eigentlich möchte man ja meinen, der Verkehrsminister von den Liberalen habe das verzapft. Doch Volker Wissing schweigt lieber und mogelt sich bei diesem Thema geschickt an jeglicher Verantwortung im Ampel-Kabinett vorbei. Derweil meint Robert Habeck von den Grünen ernsthaft, er punkte wenn er mal wieder den idealistischen Schöngeist markiert und vor ökonomisch zwingenden und baldigst notwendigen Preiserhöhungen beim Deutschlandticket warnt. Grünes Wünsch-Dir-was und liberales Scheiß-egal - beides zugleich!

Das Ticket sei, glaubt Habeck, deswegen so erfolgreich, weil es günstig sei, sagte er neulich im Ruhrgebiet. „Und das soll auch so bleiben. Das muss auch so bleiben.“ Man würde sonst den großen Erfolg des Tickets verspielen. Das nennt man im Bühnenjargon der Gaukler Effekthascherei und die Gier nach dem Applaus von den billigen Plätzen. In Essen hat das offenbar niemand entlarvt. Das populäre Deutschland-Ticket, Habeck gibt das freimütig zu, sei gewissermaßen die „Attraktion“ grüner Programmatik. Es geht darum, Illusionen zu verkaufen, der schöne Schein darf bloß „nicht zerstört“ werden.

Die Realität im ÖPNV ist hingegen (in der wahren Welt der Zahlen und Fakten), dass Fahrscheine Geld kosten und solide gegenfinanziert werden müssen und dass tatsächlich Personalmangel sowie steigende Kosten den Betrieben zu schaffen machen. Erlöse sind faktisch eingebrochen. Das mehr an Kunden gleicht in keiner Weise die Mehrkosten aus.

Der geschenkte Gaul: Vor allem die Bestandskunden sind vom niedrigen Preis ganz begeistert

„Das Deutschlandticket hat Bestandskunden noch stärker an uns gebunden.“ Das hat Alexander Möller vom Branchenverband VDV freimütig in einem Interview eingeräumt. Was in manchen Ohren wie ein großartiger Erfolg klingen mag, ist - realiter - trauriges Eingeständnis erfolgloser Geschäftspraktiken. Über 90 Prozent der Ticketbesitzer seien längst vor Einführung des Angebots Kunden der Verkehrs-Verbände gewesen. Bestenfalls zehn Prozent seien tatsächlich neu (und vom Angebot begeistert) zum bereits seit langem bestehenden Bodensatz hinzugestoßen.

Denn auch ohne die grüne Intervention gibt es ja schon länger Vorzugskonditionen und Boni. Studenten zahlen bundesweit an diversen Hochschulen monatlich nur 29,40 Euro für ihr einheitliches Semesterticket, das mit dem Sommersemester an den Unis eingeführt worden ist - vermutlich eine Gundelei für Kämpfer der „Letzten Generation“.

Auch beim „Deutschlandticket Job“ gibt es laut VDV durchaus Zuwächse, die dem Kaufmann freilich negativ ins Kontor schlagen. Insgesamt wurden mittlerweile mehr als eine Million Semester- sowie 1,8 Millionen Jobtickets und zehn Millionen der herkömmlichen Deutschlandtickets verkauft. Als Bilanz unterm Strich bleiben: rote Zahlen!

Die widersprüchliche Bilanz des Nahverkehrs - voller Erfolg, wirtschaftlich ein Desaster

Denn die Einnahmen im ÖPNV stammen ohnehin ja schon aus üppigen Subventionen und vergünstigten Fahrkarten-Preisen. Die Bereitschaft, für einen angemessenen Preis Bus oder Bahn zu nutzen, nimmt bei den Bürgern dadurch eher zusätzlich noch ab. „Je länger es das Deutschlandticket gibt, desto weniger andere Ticketarten verkaufen wir“, lautet Möllers widersprüchliche Bilanz. Unterdessen seien mehr als die Hälfte aller verkauften Fahrscheine Deutschlandtickets.

Bund und Länder haben bereits 2023 je 1,5 Milliarden Euro zur Finanzierung bereitgestellt. Auch dieses Jahr fließen wieder drei Milliarden. Durch den Start im Mai 2023, bliebe 2024 sogar etwas Geld über, das führt zu neuen Begehrlichkeiten. Grundsätzlich sollen die jeweils rund 350 Millionen Euro von Bund und Ländern in diesem Jahr erneut zur Verfügung stehen. Geflossen ist das Geld jedoch nicht.

Statt endlich kameralistisch sinnvolle Zahlen vorzulegen und dem Bürger den wahren Wert seines Bahn-Tickets zu verklickern, argwöhnen nun alle - von den nüchternen Zahlen aufgescheucht - dass das ganze Vorzeige-Projekt schon bald eingedampft wird. Als Folge der notwendig gewordenen Hiaushaltdisziplin, die unser Ober-Kämmerer Christian Lindner neuerdings beharrlich einfordert.

Für Ökologen und Verkehrswissenschaftler wäre es der Super-GAU. Verlustängste und das Scheitern greifen Raum. Dabei wird immer deutlicher, wie unterfinanziert der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist.

Abrechnungswesen je nach Postleitzahl - der alte Postminister Schwarz-Schilling hätte es geliebt

„Sämtliche Ideen der Nachfragesteuerung, die wir brauchen, weil die Kapazitäten im System knapp sind, hat man im Grunde genommen aus der Hand gegeben“, sagt Christian Böttger, Verkehrswissenschaftler an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, und legt den Finger in die offene Wunde. Die Folge: Keine Planungssicherheit, keine Erneuerung der Flotte.

Für die geplante Lösung müsste posthum eigentlich der frühere Postminister Christian Schwarz-Schilling ran. Der Grund: Ab 2025 sollen die Einnahmen gemäß den Postleitzahlen der Kunden aufgeteilt werden. Der Kunde gibt beim Kauf an, in welcher Region er wohnt, und der Erlös geht an den dort zuständigen Verkehrsverbund. Wie es 2026 weitergehen soll, steht indessen noch völlig in den Sternen. Es fehlen aussagekräftige Daten und Erhebungen, um die Veränderungen in der Mobilität der Bürger überhaupt hervor zu sagen. Mit ihrer Planwirtschaft hätte das sogar die DDR besser gekonnt - als die ziemlich überfordert wirkende Ampel bei ihrem anhaltenden Stop-and-go-Verkehr auf den Gleisen.

Die Bürger erfreuen sich derweil an ihren gänzlich unverhofften Windfall-Profiten. Die Rede ist von den Wochenend-Ausflügen, die das marode Bahnnetz auch noch an den Rand der Kapazität bringen. Was bereits einen Verkehrswissenschaftler dazu brachte, Konsequenzen einzufordern. Sein Ratschlag an die Politik: „Vergnügungsfahrten zum Strand müssen an letzter Stelle stehen.“

 

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.



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