Politik

Die DWN-Chefredaktion kommentiert: Berlin ist wieder pleite - sollten wir die Hauptstadt besser unter Kuratel stellen wie Washington?

Lesezeit: 6 min
10.08.2024 20:55
Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch emotional diskutieren. An dieser Stelle stellen wir - wie jeden Freitag - unseren Standpunkt klar. In dieser Woche geht es wieder einmal um unsere Hauptstadt. Berlin entwickelt sich zum hoffnungslosen Fall - über fünf Milliarden Euro fehlen absehbar im Haushalt, der Finanzsenator muss zehn Prozent kürzen. Ob das die Stadt aushält? Irgendwer muss da einschreiten!
Die DWN-Chefredaktion kommentiert: Berlin ist wieder pleite - sollten wir die Hauptstadt besser unter Kuratel stellen wie Washington?
Abgerockt und auf den Hund gekommen: Vor allem die Szenerie am Kottbusser Tor in Kreuzberg schockt nicht nur Besucher, sondern auch die Bürger der Hauptstadt. (Foto: dpa)

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Liebe Leserinnen und Leser,

„Berlin leistet sich im Gegensatz zu anderen Städten teils absurde Dinge!“ Das sagen nicht wir, das sagt Berlins amtierender Finanzsenator Stefan Evers von der CDU. Er kann nichts dafür, dass Berlin wieder mal kopfüber in die Zahlungsunfähigkeit schlittert.

Es ist die unverschämte Anspruchshaltung der Bürger in unserer Hauptstadt, die natürlich alle für 29 Euro mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren möchten und zugleich Hauseigentümer enteignen wollen, um möglichst billig wohnen zu können. Ein Opernhaus wird gerade gebaut Unter den Linden, als gebe es nicht genug Kultur. Der Kultursenator träumt vom Ankauf eines Kaufhauses, um der Stadt eine neue Landesbibliothek zu spendieren. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen - die Stadt lebt über ihren Verhältnissen.

Fünf Milliarden fehlen - in Relation also mehr als im Bundeshaushalt

Fünf Milliarden Euro fehlen dem Stadtkämmerer im Haushalt - das wären so viel wie 50 Milliarden im Bundeshaushalt. Diese Finanzierungslücke gilt es, stante pedes, einzusparen. Und das in einer Stadt, in der alle immer nur „Ich“ oder „Hierher“ schreien.

Berlin kennt das von früher: „Sparen, bis es quietscht“, nannte das Klaus Wowereit (SPD), der als „Regierender Partymeister“ aus der Stadt eine Weltmetropole machte. Die galt plötzlich als „arm, aber sexy“. Irgendwann war der Spruch abgedroschen, denn sexy Berlin wollte nicht mehr schmuddelig sein und verludert wirken. Also übernahmen Grüne und Linke das Zepter und zeigten der regierenden SPD als Koalitionspartner, wo es lang geht: zurück in die Schuldenfalle! In der befinden sich jetzt CDU und SPD wieder - nach dem jüngsten Wahlsieg der bürgerlichen Wohnquartiere und des Stadtrands. Das Bürgertum will nämlich den Wahnsinn der linken grünen Innenstadt-Ideologen partout nicht weiter finanzieren. Immer mehr Radwege, immer mehr Kultureinrichtungen, immer mehr Sozialeinrichtungen - und alles auf Pump. Oder auf Kosten der anderen Bundesländer über das Konstrukt des Finanzausgleichs. Die Laienspielschar der SPD unter Michael Müller und Franziska Giffey hatte der geballten Ideologie nicht viel hingegen zu setzen. Wird schon gut gehen, lautete ihre Devise!

Für die älteren Bürger indessen war das Eingeständnis des Versagens eine Art Deja vú! Da gab es doch mal diesen Thilo Sarrazin vor 20 Jahren, der 2002 bis 2009 als Sparkommissar mit dem Rotstift alles ankreuzen und dann streichen musste, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Das war bevor er sich mit seltsamen Zwischentönen über ausländische Mitbürger unmöglich machte. Mit dickem Feuerwehrschlauch hat er den Subventionssumpf erst abgepumpt und dann trockengelegt, während Klaus Wowereit alles weg lächelte. Beinahe alles und jedes musste raus. Staatsdiener wurden entlassen, die Streifendienste der Kiez-Polizisten abgeschafft, Grund und Boden verscherbelt.

Beim Schönheitswettbewerb hat Berlin nie auf Geld geachtet - in Ost wie West

Darunter auch reichlich Bestände aus dem sozialen Wohnungsbau, also die Flächen, die der Stadt heute fehlen. Freiwillig geschah das sicher nicht. Nach der Wiedervereinigung hatte Berlin einfach alles doppelt und dreifach - die gesammelte Repräsentanz zweier Halbstädte im Schönheitswettbewerb. In der DDR hatte man genauso über den Protz der DDR-Oberen in Ost-Berlin gestöhnt wie in Bonn über die Alimentierung der Frontstadt West-Berlin. Dort sind viele Bewohner nur wegen der sogenannten Berlin-Zulage verblieben - oder als Flucht vor der Einberufung zugezogen. Die bürgerliche Elite war ja bereits kurz nach Ulbrichts Mauerbau abgerückt, um München und Frankfurt am Main an die Spitze der deutschen Wirtschaft zu hieven. Die Rolle der Industriestadt Berlin übernahm São Paulo in Brasilien.

Ohne Unterstützung des Bundes für das „Schaufenster des Westens“ und ohne Extrawurst für deren Gehaltsempfänger war es plötzlich zappenduster auf den Straßen Berlins. Der Hauptstadt-Boom Ende der 90er-Jahre sorgte erst zeitversetzt für etwas Entspannung. Es dauerte, bis das „Raumschiff Bonn“ endlich in Berlin landete, also die Politiker und Lobbyisten (und in deren Bugwelle viele Junge Start-ups) für neuen Schwung und auch Steuereinnahmen sorgten. Dass es schon bald wieder finanziell so klamm werden würde, hoffte natürlich keiner.

Aber das Geld mit beiden Händen einfach rauszuschmeißen, war dann doch zu viel. Von der schwäbischen Hausfrau haben deren Kinder zwar stets mahnende Worte der Vorsicht gehört, Daran gehalten haben sie sich im Bohemé-Leben in Berlin freilich nicht. Die Konsequenz: Es ordentlich krachen lassen in Friedrichshain-Kreuzberg und am Prenzlauer Berg.

Warnungen der Steuerzahler verhallen so schnell wie das Geläut der Gedächtniskirche

Was der Bund der Steuerzahler davon hält, ist zwar bekannt. Doch die jährliche Warnung, die Kirche im Dorf zu lassen, verhallt schnell - wie das Glockengeläut am Breitscheidplatz. Für Berlin dürfen Dinge ruhig ein bisschen mehr kosten. Und dann dieser doofe Zensus anno 2022 - Berlin hat viel weniger Einwohner als behauptet und deshalb jetzt auch weniger Anspruch auf Ausgleichszahlungen. So ein Pech auch!

Jetzt muss Berlin also sparen, nur wo? „Wir müssen uns stärker auf die Kernbereiche öffentlicher Daseinsvorsorge konzentrieren. Was sind wir als Verwaltung verpflichtet zu tun, und was werden wir uns nicht auf Dauer leisten können?“ Berlins Finanzsenator Stefan Evers (CDU) möchte das jetzt zeitnah diskutieren. Fest steht für ihn: Die Schuldenbremse muss verbessert werden - denn Zukunftsinvestitionen blieben sonst auf der Strecke. Da plappert er den Quatsch nach, den sein Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ständig von sich gibt. Ein Möchtegern-Grüner aus Spandau, die dort normalerweise nicht wohnen, der deshalb nie mitspielen durfte bei den cool Kids und bei der Jungen Union landete. Er weiß, dass - er ohne Knaster anderer - die marode Karre nicht aus dem Dreck ziehen kann. Ob das wirklich schon mutige Opposition zu CDU-Parteichef Friedrich Merz bedeutet oder nur blanker Opportunismus, wie man ihn derzeit auf Berliner Sommerfesten vernimmt? Wer weiß es schon? What difference does it make?

In Berlin klafft ein Haushaltsloch von drei Milliarden Euro im kommenden Jahr und danach noch mehr. „Wir stehen vor einem gigantischen Handlungsbedarf“, sagt Stefan Evers. Er will die Grundlage schaffen, für eine „gesunde Haushaltsentwicklung“ in den nächsten Jahrzehnten. Von seinem Chef wird da nur wenig Konstruktives kommen, das ist unsere Befürchtung. Die Bayern, Baden oder Württemberger wiederum dürfen ihrerseits auch nicht die Haushaltskasse übernehmen und hüten. Wie also könnte es funktionieren? Wie lernt Berlin endlich, mit dem Geld auszukommen, was Vater Staat und Mutter Courage ihr großzügig in die Haushaltskasse gelegt haben?

Evers sagt, er wolle jeden Stein umdrehen. Ein Mann mit großer Zukunft, wenn er es schafft

Wie das genau aussehen soll, verriet Evers in einem umfassenden Interview. Ob es hingegen ein Hilferuf war oder eine Kampfansage an die Spitze seiner Partei, ahnen wir nur: „Wir stellen schlicht und ergreifend alles auf den Prüfstand und da werden sicherlich keine leichten Entscheidungen vor uns stehen“, sagt Evers. Man werde jeden Stein buchstäblich umdrehen - auch wenn es um das mögliche Stoppen von Sanierungen gehe, die bereits laufen, etwa an der Komischen Oper.

Evers spricht unpopuläre Wahrheiten aus, Doch nicht mal der Koalitionspartner SPD versteht Klartext - die Opposition aus Utopisten und Weltverbesserern erst recht nicht. Seine Worte sind folgende Worte. Wohlgemerkt, nicht etwa die Christian Lindners oder gar die der Redaktion. „Fünf Milliarden Euro – das ist eine Zahl, deren Dimension noch nicht jeder erfasst hat. Wenn ich diese Summe in Euro-Münzen stapele, ergibt sich ein Turm von 11.650 Kilometern. Der Entscheidungsbedarf ist also gewaltig. Wir befinden uns in der Situation, vor der Finanzminister seit Jahren gewarnt haben: Wir müssen die öffentlichen Haushalte ernsthaft konsolidieren.“

Ein Blick nach Amerika - da wird die Hauptstadt an der kurzen Leine geführt

Chapeau! Evers hat neulich außerdem noch gesagt: „In Berlin wird derweil darüber diskutiert, warum staatliche Stellen darüber befinden, ob asiatisches Essen in der Werbung exotisch genannt werden darf.“ Der Mann scheint mit dieser Erkenntnis zu Höherem berufen. Wenn er den Worten auch Taten folgen lässt. Sonst verweisen wir darauf, wie das in den USA gehandhabt wird - mit einer heruntergekommenen Hauptstadt, die Jahrzehnte lang weder sich noch ihren Bürgermeister zu mäßigen wusste. Washington ist deshalb kein US-Bundesstaat, sondern ein Regierungsdistrikt - der sogenannte District of Columbia. Die „Federales“ haben dort maßgeblich die Verfügungsgewalt und führen die Stadtoberen an der kurzen Leine. Die Stadt ist juristisch ein Bundesdistrikt, Regierungssitz und seit 1801 Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Wer es sich leisten kann, wohnt im Umland. Das heißt also nicht, das Dinge wirklich besser laufen in „D.C.“. Aber es ist von den Wählern so akzeptiert - und die Checks sind finanziell gedeckt.

Natürlich wäre es besser, wenn es nicht so weit käme und Berlin noch selber die Kurve kriegt. Zweifelhaft scheint daran nur, ob die Stadt dafür das richtige Personal hat, in Politik und Verwaltung. Dort schwafeln maßgebliche Politiker im Preußischen Landtag zum Beispiel dieser Tage von „Vermieter-Führerscheinen“. Sie ahnen bereits, welche Fraktion hier gemeint ist. Doch auch die CDU ist ein Verein von Traumtänzern: So wünscht sich der CDU-Fraktionschef wirklich, eine Magnetschwebebahn in der Hauptstadt fliegen zu lassen wie einen Heißluftballon. Wünsch Dir was, Berlin! OMG!

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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