In den Semesterferien sitzt Marleen Quurk in der Fahrerkabine einer Straßenbahn der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft (rnv) in Mannheim. Sie blinkt, beschleunigt, bremst die Bahn und beobachtet die Umgebung. "Straßenbahnfahren ist ein ganz anderes Gefühl als Autofahren", sagt die 26-Jährige. "Da man nicht ausweichen kann, muss man sehr vorausschauend fahren." Fahrlehrer Thierry Erbert steht neben ihr und korrigiert ihre Fahrweise. Die Management-Studentin der Universität Mannheim lernt in diesen Wochen das Fahren einer Straßenbahn.
Studenten als Straßenbahnfahrer in mehreren Städten
Die rnv setzt in Mannheim und Ludwigshafen Studenten als Straßenbahnfahrer ein. Ähnliche Programme gibt es in Dresden, Magdeburg und Nürnberg, wo studentische Fahrer das Stammpersonal der Verkehrsbetriebe unterstützen. Ein Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen sagt: "Personal ist knapp, und jeder Hebel wird betätigt, um diese Knappheit zu überwinden." Darüber hinaus soll das Angebot angesichts des politischen Wunsches nach mehr nachhaltiger Mobilität erweitert werden.
Pro Bahn lobt den Einsatz von Studenten als Straßenbahnfahrer, stellt jedoch Bedingungen. "Grundsätzlich ist das positiv zu bewerten, da es zu weniger Ausfällen im ÖPNV führt", sagt Bundesvorsitzender Detlef Neuß. Aber: "Sicher ist eine solche Maßnahme nur, wenn die Ausbildung gründlich ist. Einfache Schulungen mit Kenntnislücken gegenüber dem Stammpersonal sind abzulehnen." Außerdem sollten klare Regeln für die Ruhezeiten zwischen Studium und Arbeit festgelegt werden.
Zwei Monate Ausbildung
In Mannheim werden Studenten innerhalb von zwei Monaten in Theorie und Praxis ausgebildet. Sie lernen, Signale zu lesen und zu befolgen, die Technik der tonnenschweren Tram zu beherrschen und richtig zu bremsen - zum Beispiel mit Sand. Die Inhalte sind identisch mit denen, die Quereinsteiger in der Straßenbahnfahrer-Ausbildung erhalten, erklärt Fahrlehrer Erbert. Der Unterschied liegt in der zeitlichen Komprimierung. "Wir gehen davon aus, dass die Studenten, die zu uns kommen, im Lernmodus von der Uni sind." Dadurch könnten sie in kürzester Zeit viel mehr Material aufnehmen.
Bereits seit den 1990er Jahren setzt die rnv Studenten als Aushilfsfahrer ein - ursprünglich, um Spitzen im Betrieb abzufangen. Heute hofft man, Mitarbeiter früh an das Unternehmen zu binden, erklärt Personalchef Steffen Grimm. "So lernen die Kollegen schon früh, Verantwortung zu übernehmen, haben Bodenhaftung und verstehen, wie unser Geschäft funktioniert." Grimm selbst begann 1994 als Straßenbahnfahrer bei den Verkehrsbetrieben, parallel zu seinem BWL-Studium.
Stadt kennenlernen per Straßenbahn
Marleen Quurk ist begeistert vom Straßenbahnfahren - "vor allem, weil es etwas Außergewöhnliches ist". Mit der Straßenbahn erkundet sie die Stadt, sagt die gebürtige Lübeckerin. "Jetzt reise ich mit der Straßenbahn, sehe die Stadtteile und die Menschen, die dort leben. Als BWL-Studentin ist mir natürlich auch der Verdienst wichtig."
Die Studenten erhalten Werkstudentenverträge bei der rnv. Laut Unternehmen dürfen sie während des Semesters 20 Stunden pro Monat arbeiten, in den Semesterferien bis zu 39 Stunden. Der Stundenlohn beginnt bei 18,56 Euro, dazu kommen Zuschläge für Nachteinsätze sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, erklärt Personalchef Grimm. Auch die Ausbildung wird bezahlt: "Die Studenten erhalten vom ersten Tag an ihre volle Vergütung." Die Ausbildungskosten für einen Straßenbahnfahrer belaufen sich auf etwa 20.000 Euro.
Gewerkschaft bewertet Einsatz positiv
Studenten als Straßenbahnfahrer werden von der Stammbelegschaft generell positiv aufgenommen, erklärt ein Verdi-Sprecher. "Derzeit ist jede zusätzliche Person eine Entlastung für die bestehenden Mitarbeiter." Wer freihabe, müsse bei personellen Engpässen seltener zurück in den Dienst.
Laut Verband Deutscher Verkehrsunternehmen gibt es bundesweit rund 17.300 Straßenbahnfahrer. Einen Überblick, wie viele studentische Straßenbahnfahrer es gibt, hat der Verband nicht. Bei der rnv sind es insgesamt rund 1.200 Straßenbahnfahrer und 25 Studenten.
Die Voraussetzung für die Ausbildung ist laut Fahrlehrer Erbert, dass man mindestens 21 Jahre alt ist, einen Führerschein der Klasse B besitzt, keine Punkte in Flensburg hat und ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis vorweisen kann. Außerdem wird eine ärztliche Untersuchung zur Hör- und Sehkraft durchgeführt.
Konzentration ist entscheidend
Die Verantwortung beim Lenken einer Straßenbahn ist groß, betont der 54-Jährige. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 80 Kilometern pro Stunde beträgt der Bremsweg im besten Fall 90 Meter. "Man braucht dafür wirklich hundertprozentige Konzentration", sagt Marleen Quurk. In der vergangenen Woche habe eine ältere Dame die Straße überquert, ohne auf die Straßenbahn zu achten. Die Folge: eine Vollbremsung.
Quurk kann sich vorstellen, langfristig als Straßenbahnfahrerin zu arbeiten - vielleicht in Ergänzung zu einem Bürojob. "Mein Bruder war Busfahrer, mein Opa Busfahrer. Jetzt wollte ich etwas anderes ausprobieren", erzählt sie. "Meine Familie ist begeistert."