Statt der vorgesehenen Operation aufgrund einer Zyste wurde eine 39-jährige Frau sterilisiert – Grund war eine Verwechslung. Die Verwechslung von Patienten oder Körperteilen, die falsche Verabreichung von Medikamenten oder das Zurücklassen von Gegenständen nach Operationen – solche schwerwiegenden Behandlungsfehler werden als „Never Events“ bezeichnet. Laut Gutachtern sollten solche Vorfälle niemals vorkommen und sind vermeidbar.
Im vergangenen Jahr wurden von den Gutachtern rund 150 solcher schwerwiegenden Behandlungsfehler festgestellt. Diese Zahlen wurden bei der Vorstellung der Jahresstatistik 2023 in Berlin durch den Medizinischen Dienst veröffentlicht. Der Dienst begutachtet die Fälle für gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherungen. Insgesamt starben 75 Patienten aufgrund der Fehler medizinischen Personals. Im Vorjahr wurden 84 Todesfälle durch solche Fehler registriert.
„Um solche Fehler zu verhindern, benötigen wir eine Meldepflicht“, fordert Stefan Gronemeyer, Vorstandschef des Medizinischen Dienstes Bund. Da eine solche Meldepflicht in Krankenhäusern derzeit fehlt, werden nur die Fälle erfasst, die durch Patienten selbst zur Prüfung eingereicht werden.
Fehler in jedem fünften Gutachten festgestellt
Aktuell läuft es folgendermaßen: Wer den Verdacht hat, dass bei der eigenen Behandlung ein Fehler gemacht wurde, kann seine gesetzliche Krankenkasse kontaktieren. Diese kann den Medizinischen Dienst einschalten, um den Vorfall zu prüfen. Erst danach wird der Fall in die Statistik aufgenommen. Im Jahr 2023 kam es fast 12.500 Mal zu solchen Überprüfungen, was etwa 600 Gutachten weniger als im Vorjahr ausmacht.
In den meisten Fällen (71,1 Prozent) konnten die Fachleute dem medizinischen Personal kein Fehlverhalten nachweisen. In rund jedem fünften Fall (21,5 Prozent), also bei 2.679 Behandlungen, wurde den Patienten durch einen Fehler der Mediziner Schaden zugefügt. Die absolute Anzahl der Vorfälle bleibt nahezu konstant – im Vorjahr waren es nur 17 mehr. Bei den verbleibenden Gutachten lag entweder kein Schaden vor oder der Zusammenhang zwischen Schaden und Fehlverhalten konnte nicht eindeutig belegt werden.
Die nachgewiesenen Fehler machen weniger als ein Prozent aller Behandlungen in Deutschland aus. Zum Vergleich: Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung gibt es in den Praxen jährlich weit über 500 Millionen Behandlungsfälle. Für die Patienten sind die Fehler dennoch häufig sehr schwerwiegend.
Schwere der Behandlungsfehler
Während die Schäden für die Patienten in den meisten Fällen (65,5 Prozent) vorübergehend sind, bleiben sie bei knapp einem Drittel (29,7 Prozent) der Betroffenen dauerhaft. Der Medizinische Dienst stufte im vergangenen Jahr 180 fehlerbedingte Dauerschäden als schwer ein, was bedeutet, dass Patienten nun pflegebedürftig, blind oder gelähmt sind.
Die Dunkelziffer bei Behandlungsfehlern könnte insgesamt erheblich höher sein. Experten schätzen, dass in etwa einem Prozent aller stationären Behandlungen vermeidbare Schäden auftreten. „Fachleute gehen außerdem davon aus, dass es jedes Jahr ca. 17.000 fehlerbedingte, vermeidbare Todesfälle in unseren Krankenhäusern gibt“, erklärte Gronemeyer. Diese Schätzung basiert unter anderem auf einer Studie des Aktionsbündnisses Patientensicherheit.
Um aus diesen Fehlern zu lernen und deren Wiederholung zu verhindern, fordert der Medizinische Dienst eine Pflicht zur Meldung solcher Fälle – anonym und ohne Sanktionen.
Forderungen nach Härtefallfonds und Meldepflicht
„Wenn solche Fehler auftreten, müssen systematisch Risiken im Versorgungsprozess untersucht werden“, forderte Gronemeyer. Er kritisierte, dass die geplante Krankenhausreform der Bundesregierung keine Maßnahmen zur Vermeidung solcher Fehler vorsehe, die im Ausland längst üblich seien.
Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz bemängelte die Handhabung von Behandlungsfehlern in der Medizin. „Patientinnen und Patienten werden hierzulande im Stich gelassen. Eine Fehlerkultur in Praxen und Pflegeheimen existiert nicht“, äußerte Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung.
Auf eine Anfrage der dpa teilte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit, dass Kliniken und Praxen bereits gesetzlich verpflichtet seien, Fehlermeldesysteme umzusetzen. „Sowohl im vertragsärztlichen Bereich als auch in Krankenhäusern zeigen Auswertungen einen hohen Umsetzungsstand von Fehlermanagement und Fehlermeldesystemen“, so das Ministerium.
Für eine angemessene Entschädigung der Betroffenen wird ein Härtefallfonds gefordert, wie im Koalitionsvertrag versprochen. „Es kann nicht sein, dass die Geschädigten jahrelang auf ihr Recht warten müssen“, kritisierte Brysch und verlangte von Gesundheitsminister einen Gesetzesentwurf. Das BMG erklärte, dass die Möglichkeit geprüft werde, ein Konzept für die Ausgestaltung eines Härtefallfonds in Auftrag zu geben.