Weltwirtschaft

Insolvenz-Welle 2024: Welche Branchen besonders betroffen sind und warum

Lesezeit: 5 min
29.08.2024 13:57  Aktualisiert: 30.08.2024 11:02
Unternehmensinsolvenzen in Deutschland steigen 2024 dramatisch an! Im Mai gab es einen Anstieg um 30,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Vor allem Bürokratiehürden, hohe Energiepreise und der Fachkräftemangel tragen zur Krise bei. Experten raten zu besserer interner Planung und externer Beratung. Doch welche Branchen sind eigentlich betroffen - und warum?

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Die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland haben im Jahr 2024 stark zugenommen, zeigt die aktuelle Statistik des Statistischen Bundesamtes. Besonders auffällig ist der Vergleich der Monat Mai mit den jeweiligen Vorjahresmonat. Im Mai 2024 meldeten die Amtsgerichte insgesamt 1.934 Unternehmensinsolvenzen – ein dramatischer Anstieg von 30,9 Prozent im Vergleich zum Mai 2023.

Branchen mit hoher Insolvenzhäufigkeit

Die Insolvenzhäufigkeit variiert stark zwischen den einzelnen Branchen. Besonders betroffen sind Unternehmen aus dem Bereich Verkehr und Lagerei, wo im Mai 2024 12,2 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen registriert wurden. Diese Branche ist damit am stärksten betroffen, gefolgt von:

  • Sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (darunter Zeitarbeitsfirmen) mit 9,0 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen
  • Baugewerbe mit 8,5 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen
  • Gastgewerbe mit 7,4 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen

Die Bauindustrie steht vor großen Herausforderungen, die sich in einer wachsenden Zahl von Unternehmensinsolvenzen widerspiegeln. Ein zentraler Grund hierfür ist der drastische Rückgang bei den Baugenehmigungen. Diese sind nicht nur erheblich gesunken, sondern haben einen neuen Tiefststand erreicht, der erstmals seit 2010 verzeichnet wird. Experten bestätigen, dass dieser negative Rekord ernste Auswirkungen hat, insbesondere für Wohnungssuchende: Der Wohnungsmangel wird dadurch weiter verschärft und scheint nun fest verankert zu sein.

„Das erste Halbjahr war aus wohnungsbaupolitischer Sicht eine große Enttäuschung. Wir steuern auf das schwächste Genehmigungsniveau seit 2010 zu. Der Wohnungsmangel in Ballungsgebieten, ihrem Umland sowie in vielen Regionalzentren wird dadurch zementiert“, erklärte Tim Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie.

Die Insolvenzen im Gastgewerbe sind 2023 stark angestiegen, da Verbraucher seltener auswärts essen und trinken gehen, insbesondere in ländlichen Gebieten. In Brandenburg stiegen die Insolvenzen um 16 Prozent, in Berlin um 12 Prozent. In anderen Regionen wie Schleswig-Holstein (65 Prozent), Sachsen (53 Prozent) und Hamburg (38 Prozent) war der Anstieg noch deutlicher. Die wirtschaftliche Lage vieler Gastronomiebetriebe ist angespannt, was zu einem möglichen „Gaststättensterben“ führt, schreibt rbb24.de.

Regionale Unterschiede und Insolvenzhäufigkeit

Die Tabelle zeigt die Unternehmensinsolvenzen in verschiedenen deutschen Bundesländern für das Jahr 2024, wobei die Angaben unterschiedlich veröffentlicht wurden – manche Bundesländer haben bereits Daten für das erste Halbjahr 2024 vorgelegt, während andere nur die Zahlen für das erste Quartal des Jahres bereitgestellt haben. Dies erschwert direkte Vergleiche, da die Zeiträume und die Erhebungszeiträume nicht einheitlich sind.

Erstes Halbjahr 2024

In Baden-Württemberg gab es im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 1.180 Unternehmensinsolvenzen, was einem Anstieg von 32,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Besonders betroffen war der Dienstleistungssektor mit einem Zuwachs der Insolvenzen um knapp 35 Prozent, gefolgt von der Bauwirtschaft (27,5 Prozent) und der Industrie (21,5 Prozent). In Bayern stiegen die Unternehmensinsolvenzzahlen im gleichen Zeitraum um 20,1 Prozent auf 1.444 Fälle. Besonders stark betroffen war hier das Baugewerbe mit einer Zunahme von 25,8 Prozent.

Niedersachsen meldete 904 Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr 2024, was einem Anstieg von 35,1 Prozent entspricht. Hier war das Baugewerbe besonders stark betroffen, mit einem überdurchschnittlichen Anstieg der Insolvenzen um 53,7 Prozent. In Sachsen-Anhalt wurden 176 Unternehmensinsolvenzen registriert, was einem Zuwachs von 24,8 Prozent entspricht. Die meisten Insolvenzen entfielen hier auf das Baugewerbe; den Handel, die Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen sowie das Gastgewerbe.

In Rheinland-Pfalz stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr 2024 um 37 Prozent auf 222 Fälle, wobei das Baugewerbe mit 45 Unternehmensinsolvenzen den größten Anteil ausmachte. Schleswig-Holstein verzeichnete einen moderaten Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um 5 Prozent auf 1.739 Fälle, während Bremen und Sachsen mit 40 Prozent bzw. 11,3 Prozent Zuwachs ebenfalls einen deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen meldeten.

Zusammenfassend: Im ersten Halbjahr 2024 war der Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in Bremen mit 40 Prozent am höchsten. Den geringsten Anstieg verzeichnete Schleswig-Holstein mit einem moderaten Zuwachs von 5 Prozent.

Erstes Quartal 2024

Für einige Bundesländer liegen nur die Daten für das erste Quartal 2024 vor. Brandenburg verzeichnete in diesem Zeitraum 104 Unternehmensinsolvenzen, was einem starken Anstieg von 50,7 Prozent entspricht. In Berlin stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen um 21,54 Prozent auf 490 Fälle, während Nordrhein-Westfalen 1.313 Unternehmensinsolvenzen (+27,1 Prozent) meldete, mit den meisten Insolvenzen im Bereich Handel und Instandhaltung von Kraftfahrzeugen. Thüringen verzeichnete im ersten Quartal 78 Insolvenzen (+27,9 Prozent), wobei das Baugewerbe der am stärksten betroffene Sektor war. Hessen meldete 357 Insolvenzen, was einem Anstieg von 23,1 Prozent entspricht.

Es ist schwierig, umfassende Informationen zu Unternehmensinsolvenzen in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg zu finden. Für Mecklenburg-Vorpommern sind nur Daten für das Jahr 2023 verfügbar. Für Hamburg liegen lediglich Zahlen für den Zeitraum von Januar bis April 2024 vor, in dem es 277 Unternehmensinsolvenzen gab, was einem Anstieg von 19,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht.

Außerbetriebliche Gründe: Diese Faktoren machen das Leben der Unternehmer nicht leicht

Unternehmen in Deutschland stehen zunehmend unter Druck, nicht nur durch interne Herausforderungen, sondern auch durch außerbetriebliche Faktoren, die ihnen das Überleben erschweren. Ein bedeutender Faktor ist die stetig wachsende Bürokratie. In den letzten zehn Jahren hat sich der Verwaltungsaufwand für deutsche Unternehmen um fast 16 Prozent erhöht. Anstatt der versprochenen Entlastung steigen die Kosten für bürokratische Anforderungen weiter an und belasten die Unternehmen massiv.

Ein weiteres gravierendes Problem sind die hohen Energiepreise, die Deutschland im internationalen Vergleich zunehmend unattraktiv machen. Laut einer DIHK-Umfrage erwägen bereits vier von zehn Industriebetrieben, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Besonders betroffen sind größere Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, von denen mehr als die Hälfte über einen Standortwechsel nachdenkt. Diese Entwicklungen gefährden nicht nur den Industriestandort Deutschland, sondern auch zahlreiche Arbeitsplätze.

Zusätzlich verschärft der Fachkräftemangel die Situation. Viele Unternehmen finden nicht genügend Auszubildende, was langfristig die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt.

Diese Kombination aus steigenden Kosten, hohen Energiepreisen und fehlenden Fachkräften treibt immer mehr Unternehmen in die Insolvenz. Es zeigt sich, dass die außerbetriebliche Belastung für viele Betriebe schlichtweg zu groß wird.

Interne Versäumnisse: Warum viele Unternehmer trotz guter Ideen scheitern

Unternehmer dürfen jedoch nicht allein den externen Faktoren die Schuld für eine Insolvenz zuschreiben. Es gibt viele interne Aspekte, die ebenfalls eine Rolle spielen können, und oft sind es eigene Fehler, die zur Insolvenz führen, sagt Gründerin von „Vertriebsdigital“ und Unternehmensberaterin Sanja Ivanovic.

Ein sehr typischer Faktor ist fehlende Kalkulation, sagt Frau Ivanovic und fügt hinzu:

„Unternehmer bieten eine Dienstleistung an, aber nicht alle von ihnen haben BWL studiert. Sie starten mit einer Idee und erleben möglicherweise einen Höhepunkt, bei dem sie denken: „Oh, wow!“, alles läuft ganz gut. Dann verteilen sie das Geld nicht richtig. Sie berücksichtigen wichtige Faktoren nicht, wie zum Beispiel eine Rechtsberatung oder einen externen oder internen Finanzberater. Unternehmer kalkulieren sehr oft die Kosten nicht mit ein, die später anfallen“.

Ein weiterer Faktor laut Ivanovic ist die Steuervorauszahlung, die sie ebenfalls nicht berücksichtigen. Die Unternehmer heben dann teilweise so ab, dass sie keine Rücklagen bilden, alles ausgeben und dann mit ihrem Unternehmensgehalt angeben.

Zusammengefasst: Die Unternehmer haben keine Steuerberatung, keine externe oder interne Finanzberatung, sie kalkulieren die zukünftigen Kosten nicht im Voraus und sie legen kein Geld zurück. Dinge wie das Sommerloch werden nicht einkalkuliert.

Das Hauptproblem der Unternehmer liegt also darin, dass sie alles selbst machen, anstatt Aufgaben abzugeben, sagt Unternehmensberaterin.

„Eine befreundete Rechtsanwältin hat mir gesagt: „Unternehmer scheitern teilweise daran, dass sie an den falschen Ecken sparen, wie zum Beispiel bei der Rechtsberatung“. Stellen Sie sich vor, jemand gründet ein Unternehmen und kümmert sich nicht um eine Datenschutzerklärung in Verträgen. Wenn sie dann eine Dienstleistung erbringen, ist die Honorarvereinbarung in den Verträgen oft nicht geregelt, weil die Verträge schlecht aufgesetzt sind. Der Kunde kann dann einfach zurücktreten und gar nicht zahlen. Viele Unternehmer leiden auch darunter, dass ihre Kunden die erbrachten Dienstleistungen nicht bezahlen“, so Unternehmensberaterin Ivanovic.

„Wenn du die Welt verändern willst, solltest du bei dir selbst anfangen“

In diesem Sinne rät Unternehmensberaterin Sanja Ivanovic Unternehmern, zunächst ihre internen Betriebsprozesse zu optimieren. Geopolitik und Bürokratie haben zweifellos Einfluss, doch beginnt der Wandel im eigenen Unternehmen, wo man das Beste geben kann.

Frau Ivanovic empfiehlt, Aufgaben wie Steuern und Finanzen an Experten zu delegieren und hochqualifizierte Mitarbeiter oder Freelancer einzustellen. Auf Rechtsberatung sollte man dabei nicht verzichten oder sparen, betont die Beraterin.

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Iana Roth ist Redakteurin bei den DWN und schreibt über Steuern, Recht und HR-Themen. Zuvor war sie als Personalsachbearbeiterin tätig. Davor arbeitete sie mehrere Jahre als Autorin für einen russischen Verlag, der Fachliteratur vor allem für Buchhalter und Juristen produziert.


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