Liebe Leserinnen und Leser,
Arbeit bestimmt nicht nur den Takt unseres alltäglichen Lebens, sondern auch den Puls unserer gesamten Wirtschaft und Gesellschaft. Arbeit ist mehr als nur Mittel zum Zweck, sie ist Identität, gesellschaftlicher Beitrag – und für den einen oder anderen von uns der wichtigste Lebensinhalt. Doch die Arbeit, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, steht an einer disruptiven Schwelle – und wir müssen auf alles gefasst sein. Was ich damit meine?
Die Bedeutung der Arbeit ist eine andere als noch vor 100 oder vor 200 Jahren, das ist klar. Und der Verlauf der Berufswelt war niemals geradlinig, sondern stets von Veränderungen und Umbrüchen geprägt. Ein erster historischer Umbruch war der Beginn der Industrialisierung ab dem Jahre 1750. Plötzlich veränderte die Mechanisierung den beruflichen Alltag grundlegend: Berufe im Handwerk gingen verloren und es kamen neue Berufe hinzu. Viele Menschen zogen in die Stadt und Millionen von Menschen strömten in Fabriken, wo zuvor manuelle Tätigkeiten vorherrschten. Wenige Unternehmen verdienten damals mit teuren Maschinen sehr viel Geld – der Beginn des Kapitalismus.
Um das Jahr 1900 wurde die Elektrizität erfunden und es wurde die Fließbandarbeit durch Henry Ford eingeführt. Die Menschen mussten sich in der Fabrik nicht mehr viel bewegen und konnten noch effizienter produzieren, weil die Arbeitsschritte bis ins Detail zerlegt wurden. Ein Umbruch von elementarer Bedeutung: War Arbeit zu Beginn der Industrialisierung vor allem Mittel zum Zweck, sorgte die (physisch und psychisch anstrengende) Fließbandarbeit nun für eine effiziente Produktion – und in der Folge für Wohlstand.
Die Umbrüche in der Arbeitswelt erreichten mit der Einführung von Computern in den 1950er und 1960er Jahren sowie der Verbreitung des Internets in den 1990er Jahren weitere Höhepunkte. Die nachfolgende Digitalisierung revolutionierte viele Branchen und völlig neue Geschäftsmodelle entstanden, wie E-Commerce, Influencer-Marketing oder Crowdfunding. Auch die Art und Weise, wie Menschen von nun an arbeiteten, Informationen austauschten und kommunizierten, wandelte sich grundlegend – gerade in den vergangenen fünf Jahren unterlagen Berufe einer besonders großen und überdurchschnittlich beschleunigten Veränderung. Durch die Corona-Pandemie beispielsweise wurde Remote-Arbeit von einer Ausnahme zur Norm für viele Berufe. Dies hat die Arbeitskultur und Unternehmensstrukturen nachhaltig verändert, Flexibilität und digitale Zusammenarbeit stehen seitdem mehr und mehr im Vordergrund.
Liebe Leserinnen und Leser, wir müssen feststellen, dass diese Veränderungen in der Arbeitswelt in immer kürzeren Zeitabständen aufeinander folgten. Die Bedeutung der Automatisierung und der Technologisierung ist unaufhaltsam gewachsen, eine Entwicklung folgte innerhalb kürzester Zeit auf die andere.
Und die Wahrnehmung der Arbeitswelt durch die Menschen wandelte sich im Laufe der Jahre: In der Frühzeit der Industrialisierung verbreiteten Innovationen und Maschinen noch Angst und Schrecken, weil nach und nach immer weniger Menschen gebraucht wurden, die einfache, körperliche Arbeiten verrichteten. Bald erkannten die Menschen jedoch, dass Innovation Arbeit erleichtern und neue Geschäftsfelder eröffnen kann.
Ist das aber immer noch so? Sind Maschinen und Computer weiterhin Werkzeuge, die uns die Arbeit erleichtern? Oder ist möglicherweise ein Kipppunkt erreicht, an dem sich der Mensch selbst durch weitere Automatisierung abschafft?
Im Hier und Jetzt sind wir alle Zeuge (und möglicherweise Versuchskaninchen) einer nie dagewesenen disruptiven Veränderung: Künstliche Intelligenz und Robotik halten immer mehr Einzug in den Alltag – Themen, die einst wie ferne Zukunftsmusik klangen, sind nun Realität. Sie verändern nicht nur die Art, wie wir arbeiten, sondern auch unser Verständnis von Arbeit selbst. Was früher als sicher galt, ist heute nicht mehr selbstverständlich. Was früher als unveränderlich schien, steht nun zur Diskussion.
Die Nachfrage nach akademischen Berufen, die noch vor wenigen Jahren als sicherer Weg zu einem stabilen und gut bezahlten Job galten, schwindet. Stattdessen gewinnen handwerkliche und technische Berufe an Bedeutung, die in Zeiten der Energiewende und der technologischen Transformation unverzichtbar geworden sind.
Es ist eine Zeit des Übergangs, in der alte Modelle nicht mehr greifen und neue Wege gefunden werden müssen. Doch wenn es uns nicht gelingt, diese Brücke zwischen den Anforderungen der Wirtschaft und den Qualifikationen der jungen Menschen zu schlagen, riskieren wir, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Es gilt, endlich Rahmenbedingungen zu schaffen, die dieser neuen Realität gerecht werden, ohne dabei die Grundlagen der deutschen Wirtschaft zu gefährden.
Dieses DWN-Magazin stellt den Wert der Arbeit im Hier und Jetzt auf den Prüfstand, wirft ein Schlaglicht auf die disruptive Entwicklung in unserer Arbeitswelt. Und wir klären Missverständnisse und Mythen auf, die oft mit der Angst vor Veränderung einhergehen. Ja, die Arbeitswelt steht im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, Stabilität und Flexibilität, Sicherheit und Wandel – und trotz allem: Angst ist kein guter Ratgeber!
Ich wünsche Ihnen eine kurzweilige Lektüre mit vielen neuen Erkenntnissen – bleiben Sie immer informiert!
Ihr Markus Gentner
(DWN-Chefredakteur)