Politik

Migrationsabkommen gegen den Fachkräftemangel: Wer profitiert wirklich?

Das jüngst unterzeichnete Migrationsabkommen zwischen der Bundesrepublik und Kenia soll für beide Länder gewinnbringend sein. Doch was beinhalten solche Abkommen konkret — und dienen sie eher der Abschiebung oder der Anwerbung von Migranten?
08.10.2024 11:20
Lesezeit: 4 min

Mit mehreren Migrationsabkommen möchte die Bundesregierung die Migration regulieren. Im Klartext bedeutet das die Anwerbung von Fachkräften und gleichzeitig die Rückführung illegaler Migranten. Ist dies der richtige Weg, um die deutsche Wirtschaft anzukurbeln oder letztlich nur verzweifelter Aktionismus?

Migrationsabkommen: Die als Abschiebeoffensive getarnte Fachkräfteanwerbung

Wortgewaltig unterstrich Nancy Faeser, endlich Tempo bei der Rückführung illegaler Immigranten aus Deutschland machen zu wollen. Mehrere hundert Menschen wurden in die Türkei zurückgeschickt, Grenzkontrollen werden heftig diskutiert und durch Migrationsabkommen sollen Immigranten sogar in ferne Länder wie Kenia zurückgeführt werden können. Es steht außer Frage, dass mit diesen Meldungen auch das Ziel verfolgt wird, den Erfolg der AfD auszubremsen.

Nach dem desaströsen Wahlergebnis in Brandenburg scheint es nur logisch, dass den Forderungen der Rechten zumindest scheinbar nachgegeben werden muss, wenn auch nur ein bisschen. Die Umdeutung von Anwerbe- in Abschiebeoffensiven dient dem medialen Zweck, nicht aber der tatsächlichen Begrenzung der Migration. Vielmehr soll die Einreise von „ausgebildeten und semi-ausgebildeten“ Fachkräften gehen, wie es etwa beim Business Insider Africa über das Abkommen mit Kenia heißt. Was also bringen die Migrationsabkommen konkret — und mit welchen Ländern hat Deutschland überhaupt solche Abkommen unterzeichnet?

Pflegekräfte und IT-Spezialisten: Diese Fachkräfte sollen nach Deutschland kommen

Wirtschaftsweise gehen davon aus, dass Deutschlands Wirtschaft den Zuzug von 400.000 Menschen jährlich bräuchte, um seinen Fachkräftemangel beheben zu können. Darunter müssten Pflegekräfte, Kindergärtner, aber auch IT-Spezialisten, Betriebswirte und Produktmanager sein, heißt es auf dem Alumniportal Deutschland. Allein die Einbindung von Frauen, Älteren, Quereinsteigern, Menschen mit Beeinträchtigungen und Menschen mit Migrationshintergrund würde nicht ausreichen, um die bestehenden Lücken zu füllen, deshalb zielt die Bundesregierung auf die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Warum die Einwanderung von ausländischen Fachkräften in die Bundesrepublik seit über 60 Jahren allerdings nicht zum Eindämmen des Arbeitskräftemangel beigetragen hat, lässt das Ministerium offen. Während Länder mit einer ähnlichen demographischen Struktur wie Japan oder Südkorea auf Migration verzichten und eher auf Digitalisierung und zunehmend auf Robotisierung des Arbeitsmarktes setzen, geht Deutschland den US-amerikanischen Weg und liberalisiert die Zugangsbedingungen für seinen Arbeitsmarkt. Dieser Trend dürfte mit den geschlossenen Migrationsabkommen zusätzlich verstärkt werden.

Indien, Georgien und Kenia: Diese Migrationsabkommen hat Deutschland bereits geschlossen

Das Migrationsabkommen mit Indien wurde bereits im Jahr 2022 geschlossen. Laut dem Mediendienst Integration sei allerdings zuvor schon die indische Migration ein riesiger Erfolg, denn seit der Blue-Card Initiative aus dem Jahr 2012 sei die Zahl der indischen Studenten und Fachkräften in Deutschland in die Höhe geschnellt. So würden heute knapp 40 Prozent aller indischen Immigranten in Deutschland in Expertenberufen arbeiten, während es in der Gesamtbevölkerung nur 14,3 Prozent seien. Von den etwa 241.000 Indischen Staatsbürgern in Deutschland (Stand 10/2023) sei ein besonders großer Teil in der IT-Branche tätig. Diese Zahlen sprechen für sich, fraglich bleibt jedoch, welchen konkreten Zweck das Migrationsabkommen mit Neu-Delhi in der ohnehin positiven Entwicklung erfüllen sollte.

Das Abkommen mit Georgien wurde Ende 2023 in Kraft gesetzt. Da Georgien als sicheres Herkunftsland gilt, ist die Aufnahmequote verschwindend gering: nur 0,2 Prozent von den jährlich 8.000 Antragstellern aus diesem Land werden und wurden in der Bundesrepublik aufgenommen. Daran hat auch das Migrationsabkommen nichts geändert, das eigentlich die Anerkennung georgischer Fachkräfte erleichtern sollte. Doch der Zuzug georgischer Fachkräfte blieb sowohl vor als auch nach der Unterzeichnung des Abkommens aus, georgische Fachkräfte probieren ihr Glück lieber in den USA, in Irland oder in England, wo die Aufnahmequoten deutlich höher sind.

Das Abkommen mit Kenia dürfte ebenso kaum Rückführungen zur Folge haben. Lediglich 818 ausreisepflichtige Kenianer befinden sich in Deutschland, 738 von ihnen sind geduldet. Augenmerk liegt vielmehr auf der Öffnung des Arbeitsmarktes von bis zu 250.000 kenianischen Fachkräften und Arbeitskräften ohne spezielle Ausbildung, so BBC. In einem Pilotprojekt sollen unterschiedliche Arbeitskräfte in Deutschland ausgebildet werden, darunter durchaus professionelle IT-Profis, aber auch Busfahrer ohne jegliche Führerscheinausbildung. Ob und wie sich das Abkommen auf den Arbeitsmarkt auswirkt, ist derzeit noch nicht abzusehen.

Zudem führt die Bundesrepublik Gespräche mit weiteren Staaten. Darunter sind Marokko, Brasilien, die Philippinen, Indonesien, Usbekistan, Turkmenistan und Ghana. Diese Abkommen richten sich nach der Einstellung von Pflegekräften, so etwa im Falle Jordaniens und Brasiliens, oder um die Anwerbung von Fachkräften allgemein. Auch hier scheint die Effizienz der Abkommen unklar: So beklagten etwa brasilianische Offizielle, das avisierte Rückführungsprogramm der Bundesregierung würde Pflegekräfte aus Brasilien abziehen, die das Land selbst dringend bräuchte.

Stabilität durch bilaterale Verhandlungen?

Es stellt sich also die Frage, warum mitunter Migrationsabkommen mit Ländern geschaffen werden, die weder für die Entsendung von Fachkräften Interesse zeigen, noch besonders viele abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland zurückführen könnten. Ein Grund könnte in dem Bestreben der Bundesregierung liegen, jeweilige Regionen zu stabilisieren. Kenia etwa gilt als stabilisierender Anker in Ostafrika und hat selbst über 700.000 Flüchtlinge aus den benachbarten Ländern aufgenommen. Einige davon nach Deutschland zu entsenden würde das Land entlasten, in dem immer öfter Massenproteste gegen die Regierung beobachtet werden.

Das Kalkül, ärmere Länder zu entlasten, indem ihr Flüchtlingsproblem nach Deutschland verlagert wird, deckt sich im Grunde mit der Forderung des Globalen Migrationspakt der UN, legale Migration zu fördern. Um die Lebensbedingungen weltweit so zu „verbessern, dass mehr Menschen in ihrer Heimat bleiben können“, soll demnach im ersten Schritt die „Verfügbarkeit und Flexibilität der Wege für eine reguläre Migration“ verbessert werden. Was wie ein innerer Widerspruch klingt, wird im Pakt vehement verteidigt: So soll irreguläre Migration bekämpft und im gleichen Atemzug legale Migration gefördert werden. Im Folgenden könnten Menschen sich einfacher für eine Wahlheimat entscheiden, in der sie ihre Arbeit aufnehmen wollten, ohne dafür gefährliche Wege in Kauf nehmen zu müssen.

Migrationsabkommen: Inhaltlich dünn, nur scheinbar wirksam

Doch bislang folgen nur wenige Fachkräfte dem Ruf der deutschen Bundesregierung, hier Arbeit aufzunehmen und den deutschen Fachkräftemangel zu bekämpfen. Weiterhin bleibt Deutschland ein nur mäßig Ziel für gut ausgebildete Migranten, die vor allem von der schwierigen Sprache und er Bürokratie abgeschreckt werden, die zudem in ihren Heimatländern nicht selten auch bessere Arbeitsstandards vorfinden als in Deutschland.

Derweil wächst die Zahl derer, die in Deutschland erfolglos Asyl beantragen und trotzdem bleiben. Von 14.500 ausreisepflichtigen Türken wurden in einer Minioffensive lediglich einige hundert abgeschoben, ein Abkommen mit der Türkei zur Rückführung illegaler Migranten aus Syrien, der Türkei selbst und Afghanistan steht nicht zur Debatte. Es drängt sich das Fazit des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz auf: „Die Bundesregierung ist intern offensichtlich heillos zerstritten und kann sich nicht auf wirksame Maßnahmen einigen. Die Ampel kapituliert vor der Herausforderung der irregulären Migration. Die Bundesregierung ist handlungsunfähig und führungslos.“

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Virgil Zólyom

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Virgil Zólyom, Jahrgang 1992, lebt in Meißen und arbeitet dort als freier Autor. Sein besonderes Interesse gilt geopolitischen Entwicklungen in Europa und Russland. Aber auch alltagsnahe Themen wie Existenzgründung, Sport und Weinbau fließen in seine Arbeit ein.

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