Die Zahl der in Deutschland lebenden Asylsuchenden hat einen neuen Höchststand erreicht. Zum Ende des ersten Halbjahres 2024 waren laut Ausländerzentralregister rund 3,48 Millionen Menschen mit Fluchthintergrund in der Bundesrepublik registriert. Für 2024 wurden bereits weitere 160.140 Asyl-Erstanträge gestellt.
Höchste Zahl seit der Nachkriegszeit
Berücksichtigt sind alle Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltstitel, die derzeit aus humanitären Gründen in Deutschland Schutz suchen. Das sind rund 60.000 Flüchtlinge mehr als noch Ende 2023 und so viele wie seit den 1950er-Jahren nicht mehr. Darunterfallen sowohl anerkannte Flüchtlinge als auch Asylbewerber und Personen mit Duldungsstatus, deren Abschiebung ausgesetzt ist. Die meisten Flüchtlinge stammen aus der Ukraine, Syrien und Afghanistan.
Illegale Migration nimmt nicht ab
Die Zahl der irregulären Einreisen in die Bundesrepublik steigt kontinuierlich seit 2015: Momentan registriert die Bundespolizei pro Monat mehr als 10.000 unerlaubte Einreisen, also Personen ohne nötige Ausweispapiere oder Visa. Vor zwei Jahren war es noch weniger als die Hälfte.
Dazukommt, dass die Zahl von eigentlich Ausreisepflichtigen aus Deutschland nur gering sinkt: Mitte dieses Jahres verzeichnet die Statistik 226.882 Ausreisepflichtige. Vier von fünf Ausreisepflichtigen (80,5 Prozent) sind geduldet, weil sie etwa mit Blick auf die Situation in ihrem Herkunftsland nicht abgeschoben werden können.
Dies berichtet die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag.
Für die fluchtpolitische Sprecherin der Linken-Gruppe im Bundestag, Clara Bünger, sind die Zahlen kein Grund für eine Migrationsdebatte in Deutschland. „Insgesamt leben nun knapp 3,5 Millionen Geflüchtete in Deutschland, viele von ihnen schon seit Jahrzehnten, das sind gerade einmal vier Prozent der Bevölkerung“, sagte Bünger zur NOZ. „Trotzdem wollen Politiker von Ampel, CDU und AfD den Menschen weismachen, diese kleine Minderheit sei für all ihre Probleme verantwortlich. Das ist gefährlicher Unsinn, der allein die extreme Rechte stärkt.“
Balkan Migrationsroute Nr. 1
Die Balkanroute, über die bisher die meisten irregulären Migranten nach Deutschland kommen, führt von der Türkei jetzt nicht mehr über Österreich, sondern über Polen in die Bundesrepublik. Nach Informationen von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ zeigen etwa Befragungen von Asylbewerbern durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dass vor allem Syrer über Serbien, Ungarn und die Slowakei nach Polen und zum Teil über Tschechien kommen.
Die Baltikum-Staaten beklagen weiterhin eine große Bewegung an ihren Grenzen. Dies sorgte dafür, dass vor allem der Druck an den deutschen Ostgrenzen zu Polen, Tschechien und Österreich enorm stieg. Letztes Jahr erlebten die Beamten dort Rekordübertritte. Deshalb sah sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) veranlasst, Kontrollen an allen Grenzen der Nachbarstaaten einzuführen. Die gelten erst seit dem 16. September bis voraussichtlich März 2025.
Verschiebung der Migrationsrouten
Seit dem Sommer sieht die Bundespolizei eine Verschiebung der illegalen Migration von der Ostroute an die westdeutschen Grenzen, da EU-Länder wie Österreich und Polen ihre Kontrollen an ihren Grenzen nochmals verstärkt haben, wodurch die Einreise vermehrt über neue Migrationsrouten stattfindet.
Illegale Einreisen über Niederlande, Frankreich, Luxemburg
Laut Bundespolizei stieg an der Grenze zu den Niederlanden die illegale Migration um 30 Prozent. Dort wurden allein für den Monat August 270 unerlaubte Einreisen registriert.
An der deutsch-französischen Grenze verzeichnen die Beamten sogar ein Plus von 56 Prozent. Letzten Monat wurden 890 Migranten festgestellt, die illegal einreisten. Im Vergleich zum vorherigen Monat ist das mehr als die Hälfte mehr.
Noch stärker stiegen die Zahlen an der Grenze zu Luxemburg an. Zuvor gab es von dort aus nahezu kaum irreguläre Einreisen nach Deutschland. Doch jetzt verzeichnet die Bundespolizei intern an der Grenze ein Plus von 65 Prozent! Um die 110 Personen wurden hier aufgegriffen.
Polizeigewerkschafter Heiko Teggatz warnt, der Staat müsse die Kontrolle zurückbekommen. Denn „auch hier ist es die hohe Kontrolldichte, die dazu führt, überhaupt etwas festzustellen.“
Bundesregierung: Stillstand seit „Asyl-Gipfel“
Der Asyl-Gipfel am 3. September von Ampel und Union platzte, weil sich die Politiker nicht darauf einigen konnten, wie Deutschland Migranten zurückweisen soll. Die CDU/CSU hatten von der Bundesregierung gefordert, alle Asylbewerber, die aus EU-Ländern einreisen wollen, abzuweisen. Die Ampel sagt, dass dies juristisch nicht möglich sei. Innenministerin Nancy Faeser bot der Union ein anderes Verfahren an:
Ampel-Zurückweisungsplan
1. Bittet ein Migrant um Asyl, darf er einreisen – oder vorerst bleiben, falls er die Grenze schon überschritten hat.
2. Die Bundespolizei prüft, ob der Asylbewerber bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt hat und somit dieser für ihn zuständig ist.
3. Das Prüfergebnis wird an das BAMF übermittelt. Die Behörde leitet das „Dublin-Verfahren“ ein. Also eine Abschiebung an das EU-Land, in dem der Migrant registriert ist.
4. Nun wird eine Unterkunft gesucht. Entweder in Haft, falls ein Gericht feststellt, dass Fluchtgefahr besteht. Oder z. B. in einer Flüchtlingsunterkunft.
5. Das BAMF beantragt im zuständigen EU-Land die Abschiebung – und wartet auf die Zustimmung. Erst nach der Zustimmung wird die Abschiebung angeordnet.
6. Gegen die Abschiebe-Anordnung können Migranten klagen. Verwaltungsgerichte müssen dann entscheiden, ob sie abgeschoben werden dürfen.
Union: bringt „keine einzige Zurückweisung mehr“
Was Faeser behaupte, komme einer „Täuschung der Öffentlichkeit“ gleich, kritisiert Alexander Throm (56, CDU), innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion zur BILD.
„Mit dem Vorschlag der Ampel findet keine einzige Zurückweisung mehr statt als zum heutigen Zeitpunkt“, kritisiert Throm. Der CDU-Migrationsexperte rechnet vor, was der Ampel-Plan für die 120 000 Migranten bedeutet hätte, die im ersten Halbjahr 2024 ihren Asyl-Erstantrag in Deutschland gestellt haben: Für 80 000 „bleibt alles beim Alten“, so Throm. Sie würden auf Kommunen verteilt. Nur 34 Prozent, also rund 41 000, waren in einem anderen EU-Staat registriert und müssten abgeschoben werden. Wie jetzt, nur beschleunigt. Doch die Abschiebungen in andere EU-Länder gingen meistens schief.
2023 konnten Throm zufolge nur neun Prozent der Migranten in andere EU-Länder abgeschoben werden, der Rest blieb in Deutschland. Legt man diesen Prozentsatz zugrunde, würden von 41 000 Migranten nur rund 3700 abgeschoben werden.
Asylpolitik: Wie macht die Ampel weiter?
Nach dem gescheiterten Asyl-Gipfel machte die Ampelregierung deutlich, dass sie nun auch ohne die Union die vorgestellten Migrationspläne verfolgen wolle. Bundesinnenministerin Nancy Faeser ließ verlautbaren, dass Asylsuchende, für die Deutschland sich nicht zuständig sieht, künftig in der Nähe der Grenze festgehalten und zeitnah in andere Länder gebracht werden sollen. Die Bundespolizei soll dazu prüfen, ob es freie Haftplätze gibt und gegebenenfalls beim zuständigen Gericht Haft beantragen, damit Betroffene nicht untertauchen. Dagegen rührt sich Widerstand vom grünen Ampelpartner.
„Alternativ soll eine feste Zuweisung und Wohnsitzauflage vorgesehen werden, wenn Haft nicht in Betracht kommt“, hieß es aus Regierungskreisen. Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizei-Gewerkschaft, hält nichts von den Vorschlägen: „Man merkt auf dramatische Weise, dass die verantwortlichen Politiker keine Ahnung von der Realität und Praxis haben.“
Ein weiterer Ampelstreit ist vorprogrammiert. Ausgang bis heute ungewiss. Derweil geht die illegale Migration an den Grenzen ungebremst weiter. Die Niederlande und Ungarn wollen inzwischen aus dem EU-Asyl-Regelwerk aussteigen. Von Deutschland ist ein Exit nicht zu erwarten, aber ein weiterer Stillstand in Sachen Migrationspolitik. Doch illegale Migration und Schleuserbanden finden neue Wege und Routen. Das kriminelle Geschäft geht weiter.