Politik

Die Viererbande des 21. Jahrhunderts: Herausforderungen für den Westen

Als Viererbande bezeichnete man vier hochrangige Funktionäre in China, die eng mit einigen der radikalsten Merkmale der Kulturrevolution in Verbindung gebracht wurden. Sie zogen im Machtkampf nach dem Tod von Mao Zedong den Kürzeren und wurden anschließend verhaftet, wegen verschiedener Verbrechen verurteilt und inhaftiert.
03.10.2024 14:00
Lesezeit: 4 min
Die Viererbande des 21. Jahrhunderts: Herausforderungen für den Westen
China, Russland, Iran und Nordkorea bilden eine lose Allianz gegen die westliche Ordnung (Foto: dpa). Foto: Uncredited

Die Entstehung einer neuen Viererbande: Wer sind die Akteure?

Fünfzig Jahre später ist eine neue Viererbande entstanden: China, Iran, Nordkorea und Russland. Dabei handelt es sich nicht um ein formelles Bündnis, das sich gegenseitige Verteidigung zusichert, sondern um eine Gruppierung, die eine gemeinsame Abneigung gegen die bestehende, von den USA angeführte Weltordnung eint und die Merkmale eines gegenseitigen Austauschs militärischer, wirtschaftlicher und politischer Unterstützung aufweist.

Gemeinsame Feinde: Die Ablehnung der westlichen Ordnung

Diese Viererbande versucht, die Ausbreitung des westlichen Liberalismus in ihren jeweiligen Ländern zu verhindern, den sie (zu Recht) als Bedrohung für ihren Machterhalt und die von ihnen geführten autoritären politischen Systeme betrachtet. Außerdem lehnen sie die internationale Führungsrolle der USA ab, darunter auch die von den Vereinigten Staaten und ihren Partnern vertretenen Werte, insbesondere das Verbot des Gebietserwerbs durch Androhung oder Anwendung von Gewalt.

Militärische und wirtschaftliche Kooperation: Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Die wechselseitige Unterstützung innerhalb der Bande erfolgt auf unterschiedliche Weise. Am Vorabend der Invasion der Ukraine im Februar 2022 unterzeichnete China ein Abkommen mit Russland, in dem es hieß, dass ihrer gegenseitigen Freundschaft „keine Grenzen gesetzt“ seien, während Russland seine Unterstützung für Chinas Position gegenüber Taiwan zum Ausdruck brachte. Seitdem hat China die russischen Standpunkte zum Krieg in der Ukraine übernommen, die Nato für den Krieg verantwortlich gemacht und russische Fehlinformationen weiterverbreitet.

Im wirtschaftlichen Bereich hat sich China gegen kriegsbedingte Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Zudem ist China der weltweit größte Importeur iranischen Öls und subventioniert Nordkorea seit langem. Militärisch hat der Iran Russland mit Raketen und Drohnen versorgt, Nordkorea hat Artilleriegeschosse bereitgestellt und China scheint Technologien mit doppeltem Verwendungszweck sowie industrielle Vorleistungen mit militärischen Anwendungsmöglichkeiten geliefert zu haben, die die USA und ihre Verbündeten Russland vorenthalten wollten. Berichten zufolge hat sich Russland revanchiert, indem es diesen Ländern bei der Verbesserung ihrer Atom-, Raketen- oder U-Boot-Programme half und Informationen über westliche Waffensysteme aus dem Krieg mit der Ukraine weitergab.

China und die anderen: Ein Land mit besonderen Ambitionen

Leider reicht keine einzelne oder einfache politische Strategie aus, um dieser Zusammenarbeit entgegenzuwirken. Im Gegensatz zu den frühen 1970er Jahren, als die USA die chinesisch-sowjetischen Spannungen ausnutzten, um China an den Westen heranzuführen, gibt es heute keine diplomatische Möglichkeit, Differenzen zwischen den Ländern zu nutzen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich China grundlegend von den anderen drei Ländern unterscheidet. China ist in die Weltwirtschaft integriert und ein wichtiger Handelspartner für viele Länder im sicherheitspolitischen Umfeld des Westens. Bemühungen, China wirtschaftlich zu isolieren oder sein Verhalten durch Handel und Investitionen zu beeinflussen, würden nur begrenzte Wirkung zeigen.

China ist auch das einzige der vier Länder, das nicht versucht, die bestehende internationale Ordnung umzustürzen, sondern diese vielmehr seinen außenpolitischen Zielen anzupassen. Der Iran, Nordkorea und Russland sind weit weniger in die Weltwirtschaft integriert, dienen sich jedoch gegenseitig als Importquelle und Absatzmarkt. Der Iran und Russland verfügen auch über andere Handelspartner. Indien ist nach wie vor ein wichtiger Abnehmer russischer Energie und Waffen. Dutzende sogenannte Länder des globalen Südens haben sich geweigert, die russische Aggression in der Ukraine zu verurteilen oder Sanktionen gegen Russland zu unterstützen.

Nordkorea ist das am stärksten isolierte der vier Länder, doch seine Anfälligkeit gegenüber Sanktionen wird durch das Interesse Chinas gemindert, einen Zusammenbruch des Landes zu verhindern, da es Instabilität an seiner Grenze und ein mit dem Westen verbundenes vereintes Korea fürchtet. Russland wird angesichts seiner Abhängigkeit von nordkoreanischer Artillerie dem Regime von Kim Jong-Un wahrscheinlich ebenfalls verstärkt Unterstützung zukommen lassen.

Strategien des Westens: Wie können die USA und ihre Verbündeten reagieren?

Um dieser Herausforderung zu begegnen, könnten die USA in Abstimmung mit Südkorea eine Lockerung der Sanktionen in Betracht ziehen, und zwar im Austausch für Gegenleistungen Nordkoreas zur Begrenzung seines Atom- und Raketenprogramms. Enge Beziehungen zwischen den USA und Südkorea sollten dazu beitragen, nordkoreanische Aggressionen zu unterbinden.

Russland seinerseits darf nicht den Sieg über die Ukraine davontragen. Dazu ist es erforderlich, die Ukraine langfristig militärisch zu unterstützen und gleichzeitig Sicherheitsgarantien sowie eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen. Das alles würde Wladimir Putin signalisieren, dass er sich täuscht, wenn er glaubt, länger als der Westen durchhalten zu können. Damit würde zwar kein Frieden erreicht werden, aber diese Vorgehensweise könnte die Grundlage für diplomatische Bemühungen schaffen, die die Kämpfe beenden und die Unabhängigkeit der Ukraine erhalten. Das Engagement für die Ukraine zeigt auch China, dass es im Hinblick auf Taiwan nicht erwarten sollte, freie Hand zu haben.

Herausforderungen und Ausblicke: Die Zukunft der globalen Machtverhältnisse

Im Falle des Iran muss die langfristige Priorität darin bestehen, durch Diplomatie oder die Androhung beziehungsweise Anwendung militärischer Gewalt sicherzustellen, dass das Land keine Atomwaffen entwickelt. Die unmittelbaren Ziele sollten sein, Teherans Unterstützung für seine im gesamten Nahen Osten ihr Unwesen treibenden Stellvertreter einzudämmen (was zugegebenermaßen leichter gesagt als getan ist) und zu verhindern, dass der Krieg zwischen Israel und der Hamas zu einem regionalen Konflikt eskaliert (was der Iran angesichts seiner innenpolitischen Probleme möglicherweise nicht will).

China stellt aufgrund seiner strategischen Ambitionen und seiner Bereitschaft, wirtschaftliche und militärische Macht zur Erreichung seiner Ziele einzusetzen, die größte Herausforderung dar. Um das Verhalten Chinas zu beeinflussen und sein Interesse an der Aufrechterhaltung des Zugangs zu Technologie und Märkten zu nutzen, sind Dialog, Abschreckung und in manchen Fällen auch Zusicherungen erforderlich.

Die USA und ihre Partner müssen davon ausgehen, dass diese neue Konstellation aus den vier Ländern bestehen bleibt und sich möglicherweise noch vertieft. Das sollte diplomatische Kontakte, die ein Werkzeug und keine Gefälligkeit darstellen, nicht ausschließen. Diplomatie bekräftigt die Botschaft, dass das Ziel der USA nicht in einem Regimewechsel, sondern in einem Politikwechsel besteht, und sei es nur deshalb, weil ein Regimewechsel unerreichbar ist und die Viererbande zu noch weniger Zurückhaltung ermutigen könnte.

Der Einfluss der USA und des Westens wird auch Ausdruck der Stärke der USA und des Westens sein. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die verteidigungsindustrielle Basis in den USA, Europa und im indopazifischen Raum zu sanieren sowie die militärischen Fähigkeiten zu verbessern und zu integrieren, um der Möglichkeit eines multiregionalen Konflikts Rechnung zu tragen. Darüber hinaus muss der Westen Lieferketten für kritische Güter schaffen, die nicht von diesen vier Ländern abhängig sind.

Als Reaktion auf Chinas massive (und Nordkoreas unerbittliche) nukleare Aufrüstung sowie angesichts der Möglichkeit, dass das New-START-Abkommen mit Russland 2026 ausläuft, gilt es für die USA zudem, ihr Atomwaffenarsenal zu modernisieren. Im eigenen Land sollten die USA ihre ausufernde Verschuldung (die inzwischen höher ist als ihr BIP) abbauen und verhindern, dass die politischen Spaltungen des Landes ihre internationalen Verpflichtungen beeinträchtigen.

Das wichtigste Instrument, um der Vierergruppe entgegenzutreten, ist jedoch eine wirkungsvolle Gegenallianz. Glücklicherweise besteht diese bereits in Form des Netzwerks aus Bündnissen und Partnerschaften in Europa und im indopazifischen Raum. Die Herausforderung für die USA besteht darin, die Präsenz und Berechenbarkeit zu bieten, die derartige Beziehungen erfordern. Für Amerikas Partner besteht die Herausforderung darin, mehr zur gemeinsamen Verteidigung beizutragen und die Politik zu koordinieren, um gemeinsame Probleme zu bewältigen – einschließlich jener, die von der Viererbande ausgehen.

Copyright: Project Syndicate, 2024.

www.project-syndicate.org

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Richard Haass

                                                                            ***

Richard Haass ist emeritierter Präsident des Council on Foreign Relations, leitender Berater bei Centerview Partners und Verfasser von The Bill of Obligations: The Ten Habits of Good Citizens (Penguin Press, 2023) sowie des wöchentlichen Newsletters Home & Away.

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