Unternehmen

Arbeitsmarkt: Fast jeder Zweite nur noch befristet angestellt. Sind Jobs auf Lebenszeit ein Auslaufmodell?

Immer kürzer, immer schneller: Befristete Arbeitsverträge sind auch nach der Corona-Pandemie traurige Realität bei deutschen Beschäftigten – trotz Fachkräftemangel und Nachwuchssorgen der deutschen Wirtschaft, wie von Unternehmen und Politik propagiert. Besonders stark betroffen vom unverbindlichen „Ausprobieren“ sind Jüngere. Wie passt das zusammen? Eine Studie zeigt, in welchen Branchen und Städten der Anteil besonders hoch ist.
09.10.2024 16:00
Lesezeit: 3 min
Arbeitsmarkt: Fast jeder Zweite nur noch befristet angestellt. Sind Jobs auf Lebenszeit ein Auslaufmodell?
Im vierten Quartal des vergangenen Jahres haben 37,8 Prozent der neu eingestellten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen befristeten Vertrag unterschrieben. (Foto: dpa) Foto: Annette Riedl

Trotz „Fachkräftemangels“ wird die Praxis befristeter Arbeitsverträge von vielen Arbeitgebern in Deutschland weiterhin mit Hochdruck betrieben. Das zeigt eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Das WSI wertete Daten der Bundesagentur für Arbeit zu Einstellungen im vierten Quartal 2023 aus.

Befristungen trotz Fachkräftemangel?

Demnach haben im vierten Quartal des vergangenen Jahres 37,8 Prozent der neu eingestellten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen befristeten Vertrag unterschrieben. Am Ende der Corona-Pandemie 2021 lagen die Befristungen bei Neueinstellungen bei 42 Prozent, so die Forscher. Innerhalb von zwei Jahren und unter normalen Arbeitsbedingungen ohne die Lockdownmaßnahmen ist das ein eher geringer Rückgang.

„Nach wie vor sind viele Arbeitgeber der Meinung, Beschäftigte einfach mal unverbindlich ausprobieren zu können. Insbesondere junge Menschen beim Einstieg ins Berufsleben erleben so problematische Phasen der Unsicherheit, die den Blick auf die Arbeitswelt auch über längere Zeiträume prägen können“, sagt die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch. Sie bemängelt auch, dass Unternehmen einerseits über Arbeitskräftemangel und Brain-Drain klagen und andererseits nach wie vor fast vier von zehn Neuanstellungen nur befristet vornehmen.

„Beschäftigte unverbindlich ausprobieren“

  • Bei jungen Menschen unter 25 Jahren sei der Anteil Ende 2023 mit am höchsten gewesen und habe bei etwa der Hälfte (48,4 Prozent) gelegen.
  • In der Gruppe zwischen 25 und 54 Jahren traf dies lediglich auf rund 35 Prozent zu.
  • Bei Personen zwischen 55 und 65 Jahren liegt der Anteil nur bei knapp einem Drittel (32,3 Prozent).

Vor diesem Hintergrund erscheint es verwunderlich, dass die Bundesregierung nun in ihrer „Wachstumsinitiative“ das sogenannte Vorbeschäftigungsverbot für Menschen jenseits der Regelaltersgrenze kippen will, um die (befristete) Beschäftigung im Rentenalter zu fördern. Tatsächlich wurden bereits im Jahre 2023 über die Hälfte der sozialversicherungspflichtig begonnenen Arbeitsverträge mit dieser Altersgruppe befristet. Wenn die Betriebe also die Erfahrung und die Fähigkeiten dieser Menschen in ihren Dienst stellen wollen, ist es an ihnen, für attraktive Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Viele Befristungen in Kultur und Wissenschaft

Besonders häufig trifft es der Studie zufolge Beschäftigte in darstellenden und unterhaltenden sowie in wissenschaftlichen Berufen. In diesen Bereichen wurden zuletzt neun von zehn Personen befristet eingestellt. Äußerst niedrige und seit einigen Jahren fallende Anteile an befristeten Einstellungen finden sich dagegen im Hoch- und Tiefbau (12,7 Prozent). Dies ist eine Folge der mehrjährigen Arbeitskräfteknappheit auf dem Bau. Auch Arzt- und Praxishilfen werden nur noch selten befristet eingestellt (11,6 Prozent).

Hoher Abschluss schützt nicht vor Befristung

Schaut man auf die Qualifikation, müssen sowohl Beschäftigte ohne Ausbildungsabschluss (50,2 Prozent) als auch Hochschulabsolventinnen und -absolventen (41,1 Prozent) bei einem neuen Job oft mit einem befristeten Vertrag vorliebnehmen. Deutlich niedriger ist der Anteil von Befristungen bei Einstellungen von Personen mit abgeschlossener beruflicher Ausbildung. Allerdings erhält auch bei ihnen noch jeder Vierte (27,6 Prozent) zunächst einen befristeten Vertrag.

Große regionale Unterschiede

Bei den Werten gibt es der Studie zufolge auch enorme regionale Unterschiede. Die meisten befristeten Beschäftigungsverhältnisse gibt es in der Universitätsstadt Heidelberg (62,5 Prozent), in Köln (62,2) und Potsdam (59). Der geringste Anteil ist in Landkreisen wie Tirschenreuth (16,8 Prozent), Neustadt an der Weinstraße (17,5 Prozent) und Coburg (19 Prozent) zu finden.

Rahmenbedingungen einer befristeten Anstellung

Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, der auch für das Arbeitsrecht gilt, können Arbeitsverhältnisse nicht nur auf unbestimmte Dauer, sondern auch für eine bestimmte Zeit – befristet – geschlossen werden.

Nach Ablauf der Frist endet das Arbeitsverhältnis bei befristeten Verträgen automatisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Da das Arbeitsverhältnis ohne Ausspruch einer Kündigung endet, finden die Kündigungsschutzbestimmungen keine Anwendung. Auch die bei Kündigungen vorgesehene Beteiligung des Betriebs- bzw. Personalrats entfällt. Durch die Vereinbarung von befristeten Arbeitsverträgen wird dem Arbeitgeber folglich der bedarfsgerechte Einsatz von Arbeitskräften erheblich erleichtert.

Um der Gefahr des Missbrauchs der vertraglichen Gestaltungsfreiheit zu begegnen und um Nachteile für den Arbeitnehmer wegen des Fehlens jeglicher Kündigungsbeschränkungen zu vermeiden, fordert die Rechtsprechung grundsätzlich, dass die Befristung durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein muss. Im Wege der Rechtsfortbildung wurde und wird damit der Grundsatz der Vertragsfreiheit durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eingeschränkt und in das Gesetz übernommen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

 

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Panorama
Panorama Kartoffelsalat und Würstchen: So teuer wird der Weihnachtsklassiker 2025
23.12.2025

Kartoffelsalat mit Würstchen bleibt zum Fest günstiger als im Vorjahr. Vor allem die Essig-Öl-Variante spart Geld, während regionale...

DWN
Finanzen
Finanzen Wie die Geldentwertung Gold und Bitcoin in den Vordergrund rückt
23.12.2025

Ersparnisse verlieren Jahr für Jahr an Wert. Nicht durch Zufall, sondern durch System. Warum Geldentwertung Gold und Bitcoin immer...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: US-Aktien steuern mit Gewinnen auf das Jahresende zu, Goldpreis erreicht neues Rekordhoch
22.12.2025

Die US-Aktien legten am Montag zu, wobei die drei großen Indizes den dritten Tag in Folge Gewinne verzeichneten. Gold setzte seine Rallye...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Globale Wirtschaft: Fed-Zurückhaltung bremst Wachstum und Aktienmärkte weltweit
22.12.2025

Nach der starken Rally an den Aktienmärkten mehren sich die Zweifel, ob das globale Wachstum ohne neue geldpolitische Impulse tragfähig...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundeskartellamt verhängt zehn Millionen Euro Bußgeld
22.12.2025

Zehn Millionen Euro Bußgeld – das klingt nach wenig für Deutschlands oberste Wettbewerbshüter. Tatsächlich ist es ein deutlicher...

DWN
Finanzen
Finanzen Persönliche Daten bei Banken: Was Sie preisgeben müssen - und was nicht
22.12.2025

Bevor Banken Konten, Kredite oder Depots freigeben, sammeln sie umfangreiche Daten. Doch nicht jede Auskunft ist verpflichtend – viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Schaeffler-Aktie vor dem Ausbruch: Zehn Prozent Umsatz aus neuen Geschäften
22.12.2025

Während andere Rüstungsaktien nach ihrer Rally ins Stocken geraten, schiebt sich ein Industriekonzern überraschend nach vorn. Die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Fallender Ölpreis hält Kraftstoffpreise vor den Feiertagen niedrig
22.12.2025

Der Ölpreis ist erstmals seit Beginn des Ukrainekriegs unter 60 US-Dollar gefallen. Für Verbraucher bedeutet das niedrige...