Politik

Wo die Sonne für Kamala Harris scheint: Demokraten erachten Florida als Swing State

Lesezeit: 6 min
14.10.2024 16:01
Die US-Wahl, das besagen die Prognosen, wird aller Voraussicht per hauchdünner Mehrheit entschieden. Angeblich sind es lediglich eine Handvoll „Swing States“, die den Unterschied ausmachen werden - von Michigan und Wisconsin über Pennsylvania, North Carolina und Georgia bis Arizona und Nevada. Ein Staat, den Donald Trump stets als sichere Bank für sich erachtet hat und nicht gefährdet sieht, ist Florida. Denkbar, dass sich Trump da täuscht. Der Sunshine-State könnte am 5. November für eine faustdicke Überraschung sorgen. Die Demokraten geben sich zuversichtlich: „Florida is in play“, sagen sie. Was Harris 30 Wahlmänner einbringen würde und wohl den Sieg sichert.
Wo die Sonne für Kamala Harris scheint: Demokraten erachten Florida als Swing State
Sicherheitsbeamte unterhalten sich am Eingang zum Mar-a-Lago-Anwesen des ehemaligen Präsidenten Trump. (Fotos: dpa)

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„Florida ist im Spiel!“ Das sagt niemand Geringeres als Jaime Harrison, seit Januar 2021 Vorsitzender des Democratic National Committee (DNC) und damit faktisch Vorsitzender seiner Partei. „Mit Vizepräsidentin Harris an der Spitze und rekordverdächtigen Investitionen in die koordinierte Kampagne in Florida haben wir das Momentum, stark abzuschließen und Siege für die Demokraten auf allen Wahllisten zu erzielen“, hieß es jüngst in einer Erklärung Harrisons.

Was nur wenige realisieren: Die Demokraten sind die älteste bestehende politische Partei der Welt. Ihre Ursprünge reichen zu Thomas Jefferson und dessen linke Demokratisch-Republikanische Partei im Jahr 1792 zurück. Um 1828 wurden die Democrats unter Andrew Jackson zur Massenpartei, die vor allem in den Südstaaten für die Aufrechterhaltung der Sklaverei eintrat und gegen den die Politik Abraham Lincolns.

Insofern sind die Demokraten selbst im Süden nie ganz aussichtslos bei den US-Wahlen - also sogar im sogenannten Bible Belt, wie der Erfolg Joe Bidens 2020 im Bundesstaat Georgia gezeigt haben. Und auch in Florida hatte Donald Trump den Staat seinerzeit nur mit 3,36 Prozent Vorsprung gewonnen. Deshalb rechnen sich die Demokraten diesmal durchaus sehr gute Chancen aus.

Florida galt quasi ebenfalls einst als Swing State, den der frühere US-Präsident Barack Obama sogar gleich zweimal gewonnen hat - und vor ihm auch Bill Clinton, wie früher schon Franklin D. Roosevelt. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich der Staat zunehmend in Richtung Republikaner orientiert. Donald Trump gewann zweimal hintereinander die Popular Vote - und der republikanische Gouverneur Ron DeSantis wurde 2022 mit über 19 Punkten Vorsprung wiedergewählt.

Mit über 21,5 Millionen Einwohnern ist Florida nach Kalifornien und Texas der Bundesstaat mit der drittgrößten Bevölkerungszahl und einer der am dichtesten besiedelten Regionen Amerikas. Wer es sich als Selfmademan leisten kann, verbringt - wie die Zugvögel im Winter - seine Pension im Südosten der USA. Dabei sind es freilich nicht nur Republikaner, die beständig die Strände an Atlantik und Golf von Mexiko bevölkern und Wachstum sorgen. Ganz und gar tiefer Süden („Deep South“) ist Florida ideologisch nur im nördlichen „Panhandle“ an den Grenze zu Alabama und in den südlichen, fast menschenleeren Swamps.

In Florida geht es eher um die Steuervorteile als um das Dogma der Evangelikalen

Im beschaulichen Tallahassee, wo der Bundesstaat regiert wird, und Orlando dominieren die Blauen - also die Farbe der Demokraten. Vor allem jedoch im südlich gelegenen Miami, schon fast auf Hälfte der Strecke nach Kuba, geht es weltstädtisch bunt und exotisch zu. Hier hört man auf den Straßen die Bürger Spanisch genauso häufig wie Englisch sprechen. Konservativ ist man hier bestenfalls aus rein kapitalistischen Erwägungen. Und nicht etwa, weil man den dogmatischen Evangelikalen anhängt, die seit dem Erstarken des Tea-Party-Movements ab 2009 nicht nur die Grand Old Party der Republikaner, sondern scheinbar mit der Wahl Donald Trumps die USA in ihre rechtsextremen Fänge bekommen haben.

Man könnte sagen, es geht den Wählern in Florida vornehmlich um ihren Steuersatz und nicht etwa um die Irrungen ihres Gouverneurs Ron DeSantis, der sich 2023 wegen eines Grundsatzstreits um sexuelle Orientierung und Transgender-Fragen sogar mit dem Walt-Disney-Konzern in Orlando anlegte und verrannt hat - einem der wichtigsten Arbeitgeber im Staate.

So kommt es, dass das Wahlkampfteam von Kamala Harris derzeit gezielt zig Millionen in Anzeigen und Fernseh-Werbespots investiert, um die Abtreibungsfrage als Thema zu pushen. Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen gilt als mit Abstand aussichtsreichstes Thema, mit dem sich Kamala Harris im Wahlkampf gegen Donald Trump, den alten weißen Mann, positionieren kann - und das eben auch in Florida, wo man im knappen Bikini zum Strand geht und nicht im Büßer-Gewand.

Und die Wähler zeigen sich kämpferisch - bei der Wahlbeteiligung wird mit Spitzenwerten gerechnet. Die ersten Briefwahl-Unterlagen sind von den Behörden längst versandt worden Wer in Florida als Wähler registriert ist, will die Abstimmung im Herbst nicht verpassen - selbst wenn sie den Sommer in Übersee unterwegs sein sollten. So wie Patricia Mellon und Tom Watters MacDuff aus Green Cove Springs, die derzeit ihre Segeljacht von Florida nach Griechenland überführen. Sie benennen bei einem Zwischenstopp im kroatischen Hafenstädtchen Trogir freimütig den Grund für einen möglichen Stimmungsumschwung.

Auch das Recht auf Abtreibung steht mit auf dem Wahlzettel am 5. November

„In Florida steht diesmal ja nicht nur der nächste Präsident zur Wahl, sondern zugleich die Abtreibungsfrage im „Amendment 4“ und damit als Recht auf Abtreibung als Initiative auf dem Wahlzettel. Das dürfte viele Stimmen ins Lager von Kamala Harris treiben“, glaubt Pam Mellon. Ihr Mann ergänzt, dass „eine große Zahl der Florida-Rentner während des Arbeitslebens in New York oder New Jersey früher Demokraten näher standen als Republikanern“. Diesen Herbst werden sie sich womöglich „bei der Schlüsselwahl daran erinnern“, sagt Watters MacDuff.

Das Center for American Progress, ein Thinktank mit Sitz in Washington, hat jüngst ausgerechnet, wie die Wahl in Florida verlaufen wäre, wenn der im Kapitol lang umkämpfte „Freedom to Vote Act (FTVA)“ anlässlich der Midterm-Elections von 2022 nicht durch einen dieser legendären, nicht-endenden Filibuster-Reden im Senat abgewürgt worden wäre. Der FTVA, vom US-Repräsentenhaus bereits abgenickt, sollte sicherstellen, dass sich wahlberechtigte Bürger in Florida ganz automatisch per Kraftfahrzeugbehörde zur Wahl hätten registrieren können. Ungefähr 1,7 Millionen Bürger Floridas hätten sich so neu als Wähler eintragen lassen können. Weitere 1,7 Millionen bereits registrierte Wähler in Florida hätten wahrscheinlich automatisch ihre Registrierung aktualisieren lassen, so dass schätzungsweise 818.000 zusätzliche Wähler effektiv in Florida bei den Wahlen 2024 ihre Stimme mehr abgeben könnten - darunter 83.000 hispanische und 112.000 schwarze Wähler. Die Wahl von Kamala Harris wäre wahrscheinlich bereits gelaufen.

Doch womöglich zeigen auch Trumps zunehmende Ausfälle und Extravaganzen allmählich Wirkung in der wohlhabenden Nachbarschaft. Zum Beispiel seine absurden Behauptungen vom vergangenen Wochenende (angesichts von Hurricane Milton), nach denen die Regierung Biden/Harris böswillig Katastrophenhilfe umleiten und stattdessen für Migranten ausgeben würde. Es scheint allerdings nun eher so, als würde nur Gouverneur DeSantis als hilfreicher Katastrophen-Manager reüssieren können. Weder Trump noch Harris konnten richtig punkten, weil Biden es sich nicht nehmen ließ, persönlich nach dem Rechten zu schauen und extra seine Berlin-Reise zu verschieben.

Trump-Fans lungern aus Neugier zwar am Zugang zum Club Mar-a-Lago herum - längst nicht alle seiner Sportsfreunde sind auch politische Anhänger Donald Trumps. In Palm Beach selbst sieht man in den Malls und auf den Straßen eher selten Anhänger mit den roten „Make-America-great-again“-Caps herumlaufen. Der Eindruck auf Fox News von lauter motivierten Anhängerscharen täuscht insofern gewaltig.

Warum Trump Mar-a-Lago für das wahre Weiße Haus hält

Selbst, wenn der Ex-Präsident sein Refugium für den Fixpunkt Amerikas hält und öffentlich als das wahre Weiße Haus darstellt. Der offiziellen Hauptstadt Washington/D.C. begegnet Trump bekanntlich seit jeher mit Verachtung und Abscheu. In seiner Zeit als US-Präsident war Trump überhaupt nur wenn überhaupt nötig in der US-Hauptstadt - viel lieber verbrachte er seine Zeit im Trump-Tower an der Fifth Avenue in Manhattan und fünf Mal so häufig sogar an der Westküste Floridas in seinem 2015 erworbenen Club - insbesondere an Wochenenden und Feiertagen. Kein Wunder daher, dass er 2019 sogar den Wohnsitz in das (1927 einst für Marjorie Merriweather Post, früher Eigentümerin des Lebensmittel-Konzerns General Foods, erbaute) 118-Zimmer-Luxusanwesen in Palm Beach verlegt hat. Die reiche Amerikanerin hatte ihr im spanischen Stil errichtete Landmark 1973 dem Staat als „Winter White House“ für amtierende US-Präsidenten und deren Staatsgäste vererbt. Weil es damals aber weder Richard Nixon noch Jimmy Carter jemals genutzt haben, gab es die Regierung unverrichteter Dinge wieder den Erben zurück.

Bis sich dann 1985 Donald Trump das schicke Strandschloss trickreich für nur fünf Millionen Dollar (und damit weit unter Marktwert) sichern konnte. Der New Yorker Immobilien-Tycoon hatte mittels Strohmännern die zum Stand hin angrenzenden Grundstücke aufgekauft und der Stiftung der Erben gedroht, den Meerblick mit Neubauten zu verstellen.[ 1995 machte Trump einen Teil des 35.000-Quadratmeter-Grundstücks zu seinem Privatclub und ließ die Residenz aufwändig renovieren. Während seiner Amtszeit nahm er natürlich den Steuerzahler für sein Luxus-Anwesen mit in die Verantwortung. Trump nennt derlei Tricksereien schamlos die „The Art of the Deal (Die Kunst des Deals)“ - so der notorische Titel seines Bucherfolges.

Carl Hiaasen, lange Jahre Chronist des „Miami Herold“ und als bissiger Schriftsteller bekannt, hat Trumps künstliche Welt in Florida 2020 sehr trefflich in seinem humoristischen Krimi „Squeeze me (Drück mich)“ beschrieben. Wie sich die Rentner der Ost-Küste dort als vermeintliche High-Society selbst beweihräuchern und ihre gesellschaftlichen Events sämtlich um „Potus“ kreisen - die Kurzform für President of the United States, der im Roman stets nur als „Mastodon“ benannt wird und dessen gelangweilte, stinkreiche Fan-Society als dessen „Potussies“.

Es bleibt abzuwarten, ob sie Donald Trump wirklich immer noch als Messias erachten wie die militante Religiöse Rechte in den USA oder doch inzwischen nur für einen verlogenen Schmarotzer halten, der sich und seinesgleichen fürstlich aus dem Staatssäckel subventionieren lässt.

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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