Auf sozialen Medien gibt es unzählige Videos zum Thema Von Dividende leben. Häufig wird empfohlen, das gesamte Vermögen in einen ETF mit dividendenstarken Aktien zu investieren. Wer etwa zwei Millionen Euro in einen Dividenden-ETF mit drei Prozent jährlichen Ausschüttungen investiert, würde vor Steuern 60.000 Euro pro Jahr erhalten. Bei einer Teilfreistellungsquote von 30 Prozent (Aktien-ETF) und einem Freibetrag von 1.000 Euro blieben netto 49.000 Euro übrig (26,375 Prozent Abgeltungssteuer und Soli ohne Kirchensteuer). Das entspricht einer monatlichen Nettorente von knapp 4.100 Euro.
Experte sieht Dividendenstrategie kritisch
Der Anlageberater Thomas Wolff vom VZ Vermögenszentrum sieht eine reine Dividendenaktienstrategie aber kritisch. „Die Dividenden können in ihrer Höhe deutlich schwanken“, erklärt der Niederlassungsleiter Berlin gegenüber DWN. Das zeigt ein Blick auf die Entwicklung des größten Dividenden-ETFs in Deutschland, der Vanguard FTSE All-World High Dividend Yield (fünf Milliarden Euro Fondsvermögen). Der ETF investiert in rund 2.000 Aktien mit einer hohen Dividendenrendite aus Industrie- und Schwellenländern weltweit.
Wer zwei Millionen Euro zum Jahresbeginn 2018 investiert hätte, der hätte im Schnitt 4.300 Euro pro Monat netto erhalten, wie eine DWN-Berechnung für den Zeitraum von 2018 bis 2023 zeigt. Allerdings fielen die Dividenden je nach Kalenderjahr sehr unterschiedlich aus. Im Coronajahr 2020 war die monatliche Rente am geringsten (3.499 Euro). Im Jahr 2022 war sie hingegen fast 50 Prozent höher (5.200 Euro).
Besonders in einem Crash können die Dividenden stark sinken, erklärt daher Thomas Wolff. Etwa seien sie in der Finanzkrise 2008 und 2009 „spürbar eingebrochen“. Laut dem US-Finanzblogger und Vermögensberater Ben Carlson erlebte der S&P 500 im Jahr 2008 den höchsten Dividendeneinbruch seit dem Jahr 1950. Demnach sanken die Gewinnausschüttungen um fast 25 Prozent. Außerdem kann ein Dividendenportfolio zur Neige zu gehen, wenn der Investor plötzlich einen unvorhergesehenen hohen Geldbedarf hat, etwa aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls. Dann muss er möglicherweise Aktien oder ETF-Anteile zu einem geringen Kurs verkaufen.
Ein weiterer Nachteil: Ausschüttende ETFs sind in der Regel steuerlich nachteilig, insbesondere im Vermögensaufbau. Wer erst zu Beginn der Entnahmephase auf einen Ausschütter umsteigt, müsste auf einen Schlag hohe Kapitalertragssteuern zahlen. Zwar fällt aufgrund der gestiegenen Zinsen eine Vorabpauschale bei thesaurierenden Fonds an. Aber die Geldmarktzinsen müssten noch höher steigen, damit ein Ausschütter steuerlich besser wäre als ein Thesaurierer, wie Berechnungen des Finanzprofessors Hartmut Walz zeigen. Sollten die Zinsen zudem fallen, würde der Steuervorteil der Thesaurierer wieder größer.
Vorteile der reinen Dividendenaktien-Strategie
Ein Vorteil der reinen Dividendenaktien-Strategie ist, dass Dividenden historisch rascher gestiegen sind als die Inflationsrate. Laut einer Analyse der Deutschen Bank stiegen sie beim MSCI World von 2003 bis 2023 um 0,2 Prozent pro Monat, während die Inflation in der Eurozone bei 0,18 Prozent lag (geometrische Rendite). Außerdem schwanken sie in ihrer Höhe weniger als die Aktienkurse. Letztere machen drei Viertel der Rendite des MSCI World aus. „Dividenden sind überraschend stabil“, schreiben daher die Ökonomen der Deutschen Bank. Die Kursrendite sei nämlich vollständig den Marktbewegungen ausgeliefert, während Dividenden gemäß einem im Voraus festgelegten Auszahlungsplan ausgeschüttet würden.
Zudem ist das Chance-Risiko-Verhältnis (Sharpe Ratio) bei Dividenden deutlich besser als bei Kurszuwächsen. Bei Dividenden müssen Anleger also weniger Schwankungen pro Prozentpunkt Rendite aushalten. Zuletzt lag die Korrelation zwischen den Dividenden und der Kursentwicklung des MSCI World bei null. Das bedeutet, dass kein Zusammenhang zwischen der Kurs- und Dividendenentwicklung beobachtbar war. Brechen die Kurse des MSCI World ein, gehen die Dividenden nicht zwangsläufig zurück.
Alternative zur Dividendenstrategie
Thomas Wolff rät Anlegern, die ihr Vermögen erhalten möchten, indes zu einer anderen Strategie: Das Vermögen solle man in einen Wachstumstopf und einen Verbrauchstopf aufteilen. In den Wachstumstopf komme das Geld, das man in den kommenden zehn Jahren nicht brauche.
Im Verbrauchstopf seien die Ausgaben für die nächsten zehn Jahre. Dieses werde in Tagesgelder, Festgelder und länger laufende Anleihen angelegt. Wer etwa über 2 Millionen Euro verfüge und 4.000 Euro pro Monat entnehmen wolle, benötige 48.000 Euro pro Jahr und auf Sicht von zehn Jahren 500.000 Euro. Berücksichtige man die Inflation, seien 600.000 Euro nötig.
Die restlichen 1,4 Millionen Euro würden überwiegend in weltweit streuende Aktien-ETFs investiert. Gehe man einfachheitshalber von einer Nominalrendite von vier Prozent nach Steuern und Kosten aus, habe man nach zehn Jahren wieder 2,1 Millionen Euro. „Sprich: ich hätte nominal meine ursprünglichen zwei Millionen Euro wieder und kann in die nächste Zehn-Jahresetappe starten“, erklärt Wolff.
Wichtig sei dabei eine saubere Planung. Es müsse klar sein, wie viel Geld man pro Monat für die kommenden zehn Jahre benötige, um das gesamte Leben zu finanzieren.