Unternehmensporträt

Vom Labor auf den Weltmarkt: Biotechnologie-Unternehmen Meidrix Biomedicals entwickelt Kollagen-Spritze zur Heilung von Knorpelschäden

Allein in Deutschland leiden fünf Millionen Menschen an Beschwerden im Bewegungsapparat. Dr. Michaela Noll produziert mit ihrem Biotechnologie-Unternehmen Meidrix Biomedicals ein Gel, das Gelenk-Defekte mit nur einer Injektion verheilen lässt. Heute ist der ChondroFiller in 25 Ländern weltweit zugelassen und CE-zertifiziert – dank Unterstützung aus China.
01.11.2024 13:05
Aktualisiert: 01.11.2024 16:03
Lesezeit: 4 min
Vom Labor auf den Weltmarkt: Biotechnologie-Unternehmen Meidrix Biomedicals entwickelt Kollagen-Spritze zur Heilung von Knorpelschäden
Flüssige Kollagen-Matrix: Die baden-württembergische Firma Meidrix Biomedicals hat eine Knorpel-Therapie entwickelt, deren Wirkstoff sie in 25 Länder exportiert. (Foto: meidrix)

Ciao, Knorpelschaden: Flüssiges Gel ins Gelenk injizieren und kurz warten

Es ist das Wesen der Forschung, nicht zu wissen, ob sie jemals zum Erfolg führen wird. Im schlechtesten Fall waren es vertane Jahre, die Zeit, Kraft und Geld gekostet haben. Im besten Fall leistet man einen Dienst an der Menschheit. Als Dr. Michaela Noll vor mehr als 30 Jahren am Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart ihre Karriere beginnt, forscht sie an In-Vitro-Modellen für Haut, Hornhaut und Knorpel, aufgebaut aus Zellen und Kollagen. „Das Bestreben eines Wissenschaftlers ist es, die Technologie, die man entwickelt, auf den Markt zu bringen – und das zum Wohle des Patienten“, so Noll. „Für die Schublade will niemand Wissenschaft betreiben.“

Heute vertreibt sie ihr Medizinprodukt in 25 Ländern weltweit, mehr als 20.000 mal wurden die Implantate in verletzten Gelenken eingesetzt – ohne allergische oder andere negative Reaktionen. ChondroFiller heißt die Spritze der Firma Meidrix Biomedicals, deren Geschäftsführerin Michaela Noll ist. „Wir haben ein regeneratives Produkt für Knorpeldefekte entworfen, das im Gegensatz zu bisherigen Produkten flüssig appliziert und erst passgenau im Defekt fest wird“, erklärt die Zellbiologin. „Es ist ein Bindeglied zwischen konservativen Schmerztherapien, die im Gelenk durchgeführt werden, und Gelenkersatz.“

Mittels einer Spritze wird ein flüssiges Gel arthroskopisch in den Knorpeldefekt in Hüft-, Knie-, Sprunggelenk oder die Schulter injiziert und verhärtet innerhalb von drei bis fünf Minuten. Es passt sich exakt der Größe und Form des Knorpeldefekts an. „Unser Produkt ist – anders als Spritzen mit Entzündungshemmern – ein Implantat, das nur einmalig injiziert wird“, so Noll. Die volle Belastbarkeit und Mobilität des Gelenks tritt meist nach drei bis sechs Monaten wieder ein. Michaela Noll hat die Wirkung des ChondroFiller bereits selbst getestet nach einer Verletzung am Handgelenk. „Ich war sehr zufrieden mit dem Ergebnis.“ In Deutschland sind unter anderem das Universitätsklinikum in Magdeburg sowie zahlreiche orthopädische Sport- und Unfallpraxen sowie Belegarztpraxen Partner des CE-zertifizierten Medizinprodukts von Meidrix.

Hochwertiges Kollagen aus Rattenschwänzen

Knorpel ist das im Körper am häufigsten vorhandene Protein in Haut, Sehnen und Knochen. In Gelenken sorgt der Knorpel dafür, dass die Knochen reibungslos gegeneinander gleiten können. Verletzungen des Knorpels können die Bewegungsfreiheit einschränken, und das häufig unter starken Schmerzen. Allein in Deutschland sind rund fünf Millionen Menschen von Beschwerden am Bewegungsapparat betroffen.

Der Wirkstoff des ChondroFiller ist eine biologische Kollagenmatrix, die die Zellmigration aus umliegendem Knorpel fördert und die körpereigene Knorpelregeneration stimuliert. Dr. Noll: „Kollagen wird meist aus Schlachthof-Abfällen wie Schweine- oder Kälberhaut gewonnen.“ Das Kollagen von Meidrix hingegen wird aus den Schwänzen von eigens dafür im Labor gezüchteten Ratten extrahiert. Der Vorteil an dieser Methode sei, so Michaela Noll, dass im Gegensatz zu Schlachthoftieren Virusfreiheit garantiert sei. „Unser Kollagen ist nativ und qualitativ äußerst hochwertig.“

Schicksalsschlag bedroht Firma: Plötzlich stirbt ihr Mann und Geschäftspartner

Mit ihrem Mann Dr. Thomas Graeve hat Michaela Noll als Folge ihrer gemeinsamen Tätigkeit am Fraunhofer Institut die Firma Amedrix gegründet. Damals forschte das Ehepaar auch an einer Lösung für den Aufbau von Hautdefekten, wie sie zum Beispiel durch Tumoroperationen verursacht werden. Im Jahr 2017 verstarb Thomas Graeve unerwartet. „Plötzlich ist eine Lücke aufgerissen“, erinnert sich Michaela Noll. „Ich war allein mit meinen beiden Kindern, aber auch der Finanzierung und Führung der Firma, den Mitarbeitern, der Produktion.“ Aufgeben war für Michaela Noll, ein Kind der 1960er Jahre, keine Option: „Man denkt nicht nach, man funktioniert.“ Und weiter: „Dieser Gedanke ist in meiner Generation stark ausgeprägt.“

Durch die Arbeit am Fraunhofer Institut hatte Michaela Noll bereits vor dem Tod ihres Mannes Kontakte nach China geknüpft. „Ich musste mich neu orientieren.“ Die Investoren Yin Weiming und Sun Yi erkannten das Potenzial der Kollagentechnologie für den asiatischen Markt. „Die Schnelligkeit und Spontaneität ihres Angebots waren ausschlaggebend“, sagt Michaela Noll rückblickend. Sie ändert den Namen der Firma in Meidrix. „Wir haben damals festgestellt, dass Investoren aus Übersee risikofreudiger sind als die in Deutschland oder Europa“, erklärt Noll. „Natürlich ist es bedauerlich, wenn Technologien nicht in Deutschland bleiben.“ Andererseits könne das ein Vorteil für die Internationalisierung sein. „Wir arbeiten sehr gut zusammen. Und wir erhoffen uns, mit der Zulassung in China einen neuen Markt zu erschließen.“

Nicht nur die Löhne sind gestiegen, auch die Ansprüche

Wenn Michaela Noll von ihrer Arbeit spricht, redet sie niemals in der Ich-Form, immer ist nur von „Wir“ die Rede. „Wir sind eine kleine Firma mit zwölf Mitarbeitern“, erklärt Noll. „Das schafft eine eigene Dynamik, die ich sehr schätze.“ Das regionale Umfeld, in dem sich die Fachhochschule für Biotechnologie in Esslingen, die Universitäten Hohenheim und Stuttgart sowie das Fraunhofer Institut befinden, sorgt für einen konstanten Fluss an motivierten Praktikanten und Studenten. An einem Fachkräftemangel leidet das Unternehmen nicht.

Michaela Noll sieht jedoch ein anderes Problem: „Die Löhne sind in den letzten Jahren enorm gestiegen, parallel dazu aber auch die Ansprüche. Geht ein alter Mitarbeiter, muss ich für den neuen Mitarbeiter bis zu einem doppelten Gehalt vergüten.“ Hinzu kämen Forderungen nach Home Office oder Benefits wie einem Gutschein fürs Fitness-Studio. Außerdem wirkt sich die häufig zitierte Schnelllebigkeit der Gesellschaft auch im Berufsleben aus: „Vielen jungen Arbeitnehmern reichen ein bis zwei Jahre Unternehmenszugehörigkeit“, sagt Michaela Noll. „Dann wollen sie etwas Neues. Vor allem für ein kleines Unternehmen ist das schwierig, weil die Identifikation mit der Sache fehlt“, beobachtet Noll. „Jemanden in komplexe wissenschaftliche Themen einzuarbeiten, braucht Zeit und Kraft. Man muss sowohl ein Verständnis als auch ein Gefühl für die Tätigkeit entwickeln.“

Ist der Chondro-Filler die Lösung bei Arthrose?

Die Anwendung des Chondro-Filler beschränkte sich bislang auf lokal begrenzte Knorpelverletzungen. „Auch bestimmte Stadien der altersbedingten Arthrose können wir mit dem ChondroFiller behandeln“, so Michaela Noll, „vorausgesetzt, diese ist noch nicht zu sehr fortgeschritten.“ Eine sehr erfolgreiche Studie des ChondroFiller bei einer Rhizarthrose am Daumengrundgelenk lässt hoffen. Studien am Knie sind in Arbeit.

Die Technologie allein ist jedoch nicht die Lösung: „Es gibt keine Wundermittel in der Medizin“, sagt die Wissenschaftlerin. „Aber es gibt Möglichkeiten, dem Verschleiss rechtzeitig vorzubeugen, indem man nicht wartet, bis Knochen auf Knochen reibt“, erklärt Michaela Noll. „Bei frühzeitiger Anwendung hat der ChondroFiller großes regeneratives Potenzial.“

Für Michaela Noll ist der beste Fall eingetreten: Die Wissenschaftlerin hat mit der Entwicklung ihrer Technologie Menschen geholfen. Als die portugiesische Leichtathletin Patricia Mamona eine Knorpelabsplitterung im Knie erleidet, hätte es das Ende ihrer Karriere bedeuten können. Mamona lässt sich die Kollagenmatrix von Meidrix ins Gelenk injizieren. Nach der OP tritt sie wieder bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio im Dreisprung an. Sie erreicht ihre persönliche Bestleistung und gewinnt die Silbermedaille.

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Cristina Prinz

                                                                    ***

Cristina Prinz ist freiberufliche Journalistin und Geschäftsführerin einer Agentur für Corporate Publishing. Sie schreibt Unternehmerportraits für die DWN. 

 

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