Technologie

Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus Meiler, Vice President Research & Development, und Peter Barbian, Vice President Manufacturing Engineering beim Automobilzulieferer Webasto, im DWN-Interview über die Nutzung von KI in der Produktion, Schlüsselfaktoren für die Optimierung von Fertigungsprozessen mittels KI – und warum die Qualifikation der Mitarbeitenden entscheidend für den Erfolg von KI-Lösungen ist.
22.12.2024 06:00
Lesezeit: 7 min
Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
Virtuelle Realität: Die Brille von Webasto im Einsatz. (Foto: Webasto)

DWN: Herr Meiler, Herr Barbian, welche Frage zu KI beschäftigt Sie derzeit am stärksten?

Dr. Markus Meiler: Die zentrale Frage ist, wie wir aus der Vielzahl an möglichen Anwendungsfällen diejenigen identifizieren, mit denen wir für uns kurz- bis mittelfristig direkte Potenziale heben können. Das bedeutet nicht, dass wir uns keine Gedanken über eine langfristige KI-Strategie im Unternehmen machen, ganz im Gegenteil. Entscheidend ist jedoch, dass wir lernen, wie wir konkrete Anwendungsfälle zielsicher identifizieren und umsetzen. Wie bei jeder neuen Technologie ist das ein Lernprozess.

Darüber hinaus, und das ist ein Aspekt, der die gesamte Industrie derzeit umtreibt, ist es wichtig, die Mitarbeitenden bei dieser Entwicklung mitzunehmen. Wir wollen aufzeigen, welche immensen Chancen sich durch den Einsatz von KI für den Einzelnen auftun. Etwa dadurch, standardisierte und repetitive Arbeit effizienter erledigen zu können und so mehr Zeit für kreative und strategische Tätigkeiten zu haben.

Dr. Peter Barbian: Aus Produktionssicht bewerten wir fortlaufend aktuelle und potenzielle Einsatzfelder der KI innerhalb unseres Produktionsnetzwerkes. Wichtige Anwendungsfälle sehen wir dabei in der Planung unserer Lieferkette sowie im Design und der Optimierung unserer Fertigungsprozesse. Neben der technischen Dimension spielen auch in der Produktion unsere Mitarbeitenden eine zentrale Rolle, denn der Einsatz von KI in unseren Werken beeinflusst die Anforderungen an das Kompetenzprofil nachhaltig. So gewinnen etwa Entwicklung und Interpretation von Datenmodellen immer mehr an Bedeutung.

DWN: Die deutsche Automobilzuliefererbranche kämpft mit einer schwachen Nachfrage nach E-Fahrzeugen, steigenden Energie- und Rohstoffkosten sowie hohen Investitionen in die E-Mobilität. Warum hat sich Webasto für den Einsatz von KI entschieden, um diesen Herausforderungen zu begegnen?

Meiler: Generative KI findet bei Webasto in verschiedenen Bereichen der Entwicklung Anwendung. Sie spielt eine wichtige Rolle im Produktentstehungsprozess und wird insbesondere zur Designoptimierung eingesetzt. Dabei hilft sie zum Beispiel, die Funktionalität und Nachhaltigkeit von Produkten besser in Einklang zu bringen.

Darüber hinaus wird KI in der Designabsicherung, also bei der Validierung und beim Testing, genutzt. Auch im Wissensmanagement und in administrativen Prozessen kommt diese Technologie vermehrt zum Einsatz. Und zwar nicht nur quantitativ, also in Bezug auf die Anzahl der Anwendungen, sondern sie erfasst auch neue Bereiche. Das bedeutet, dass immer mehr Anwendungsgebiete hinzukommen, in denen diese Technologie gewinnbringend eingesetzt wird. KI wollen wir primär zur Automatisierung und zur konsistenten Umsetzung innerhalb bekannter Grenzen nutzen. Echte Kreativität ist nicht unsere primäre Stoßrichtung im Einsatz von KI. Da sind unsere Entwickler klar stärker.

Barbian: Der Einsatz der KI innerhalb der Produktion ermöglicht es uns, werksinterne Prozesse sowie bestehende Qualitätsregelkreise zu unseren Lieferanten und Kunden effizienter zu gestalten. So werden in unseren Werken qualitäts- und produktivitätskritische Einflussparameter durch KI-Lösungen in Echtzeit überwacht. Dabei werden Trends automatisiert erkannt und darauf basierend präventive Maßnahmen zur Optimierung eingeleitet. Auf diese Weise lassen sich Reaktionszeiten in unseren Werken verkürzen.

DWN: Ganz konkret setzen sie in der Produktionsplanung auf VR-Brillen. Wie helfen diese konkret dabei, neue Produktionslinien effizienter zu gestalten?

Barbian: Neue Anlagen- und Linienkonzepte wurden in der Industrie bis vor einigen Jahren vor Inbetriebnahme noch als 3D-Modelle physisch nachgebildet, um vorab den Produktionsfluss zu testen. Dank Virtual-Reality-Brillen können unserer Experten in vielen Werken von Webasto virtuell durch komplette Produktionslinien navigieren und standortübergreifend in Planungsprojekten kooperieren. So ermöglicht es der Einsatz der VR-Technologie unseren Prozessplanern, die geplanten Arbeitsstationen im virtuellen Planungsraum unter Realbedingungen umfassend zu analysieren und optimieren, noch bevor die erste Station physisch installiert wurde.

Darüber hinaus können in Zusammenarbeit mit den Kollegen der R&D wichtige Maßnahmen zur Absicherung eines fertigungsoptimierten Produktdesigns im frühen Entwicklungsprozess erarbeitet werden. Das verbessert nicht nur den Anlagenbau, sondern erleichtert auch das Verständnis des gesamten Produktionsflusses. Zudem sind VR-Brillen ein wichtiges Werkzeug im Training neuer Mitarbeitender, mit dem sich Montageschritte risikofrei üben lassen.

DWN: Welche spezifischen KI-Lösungen kommen in Ihren Produktionslinien zum Einsatz? Sind diese Eigenentwicklungen oder von externen Partnern zugekauft?

Barbian: KI-Lösungen kommen in vielen verschiedenen Bereichen unserer Produktion zum Einsatz. So werden Data Analytics Applikationen u.a. zum produktionsbegleitenden Linebalancing, zur Qualitätsabsicherung sowie zur präventiven Instandhaltung eingesetzt.

Um ein konkretes Beispiel zu nennen: In unserem Werk in Neubrandenburg werden klassische Standheizungen und Hochvoltheizer für Hybrid- und Elektrofahrzeuge hergestellt. Jeder Heizkern – sozusagen das Herzstück eine Hochvoltheizers - wird nach der Fertigstellung durch eine KI überprüft. Sollte am Prüfstand ein Temperaturwert außerhalb der festgelegten Grenzen liegen, identifiziert das System das Bauteil als defekt und sortiert es aus. Das geschah bis zur Einführung der KI-Lösung über eine Software, die allerdings ungenauer war und deshalb mehr manuelle Nachkontrollen erforderte.

Viele Lösungen haben wir selbst entwickelt. Wir arbeiten aber auch mit externen Partnern zusammen, etwa bei der Validierung von Batteriesystemen. Webasto baut jährlich mehr als 500 Prototypen verschiedener Batteriesysteme. Da sich die generierten Testdaten in ihrer Form nicht für das Trainieren von KI-Modellen eignen, werden sie von einem Partner für die KI aufbereitet, um ein maschinelles Lernen zu ermöglichen und KI-Modelle zu trainieren.“

Meiler: Die klassische Make-or-Buy-Entscheidung ist eine wichtige, die wir für jeden Anwendungsfall nach einer kurzen Analysephase anstellen. Der bereits erwähnte Prozess der Identifizierung gewinnbringender Anwendungsfälle kommt auch hier zum Tragen. Wir haben ein dediziertes Team von KI-Experten. Daher stellt sich bei jedem Use Case die Frage - wollen bzw. können wir die dafür notwendigen Ressourcen einsetzen? Macht eine Eigenentwicklung aus strategischer Sicht Sinn? Oder haben externe Anbieter bereits effiziente Lösungen gefunden, die im Sinne einer Plug-and-Play-Lösung an unsere Datenbanken angebunden werden können? Wie Sie sehen, auch hier gibt es einige Aspekte, die zur Entscheidungsfindung beitragen.

DWN: Wie lange hat der Prozess von der Idee bis zur Implementierung der KI in den Produktionsstraßen gedauert?

Meiler: Die Implementierung ist ein fließender Prozess, auch die beteiligten Fachdisziplinen unterscheiden sich je nach Projekt. Eine signifikante Hürde bei der Implementierung von KI-Systemen besteht oft darin, dass die relevanten Daten über verschiedene Orte und Systeme verteilt sind. Dies erfordert häufig die Einführung neuer Datenstrukturen, um eine solide Grundlage für die Anwendung von KI zu schaffen. Daher ist die cross-funktionale Zusammenarbeit mit unseren IT-Kollegen an dieser Stelle essenziell, da dies eine zentrale Grundlage für KI- und Automatisierungslösungen darstellt.

Barbian: Die Frage nach der Umsetzungsgeschwindigkeit lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern hängt von vielen Einflussparametern des konkreten Anwendungsfalls ab. Grundsätzlich erfolgt die Validierung von KI-Lösungen zunächst immer im Rahmen abgegrenzter Pilotprojekte innerhalb der Produktion. Nach erfolgreichem Piloten werden die Applikationen dann im globalen Produktionsverbund ausgerollt. Die Umsetzungsgeschwindigkeit wird dabei durch standardisierte Datenmodelle sowie Standardschnittstellen in der Anlagenarchitektur positiv beeinflusst. Darüber hinaus sind wirtschaftliche Benefits und eine gewisse Agilität sowie Hands-on Mentalität für den Erfolg der Umsetzung entscheidend.

DWN: Welche Schulungsmaßnahmen haben Sie ergriffen, um Ihre Mitarbeitenden auf den Umgang mit KI-gestützten Prozessen vorzubereiten?

Meiler: Der Einsatz von KI stellt neue Anforderungen an die Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Hier kann man drei grobe Stoßrichtungen unterscheiden – einerseits das Management, da das Verständnis für KI auch ein Teil des Leadership-Repertoires werden muss. Fachexperten wie etwa Entwickler benötigen spezielles Know-how im Umgang mit Tools und Technologien. Außerdem benötigen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen ein Grundlagenverständnis und anwendungsnahes Praxiswissen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, investieren wir in Schulungen, beispielsweise im Bereich des Prompt-Engineerings, um die notwendigen neuen Fähigkeiten zu vermitteln. Da es sich beim Einsatz von KI um ein junges und sich schnell entwickelndes Technologiefeld handelt, ist es wichtig, stets auf dem neuesten Stand zu bleiben und den Überblick über aktuelle Entwicklungen und Innovationen zu behalten.

Barbian: Wir leiten direkt aus den Pilotanwendungen systematisch neue Qualifikationsanforderungen an unsere Mitarbeitenden in Produktion, Manufacturing Engineering sowie der Instandhaltung ab. Diese Anforderungen werden zu Kompetenzprofilen zusammengefasst und in Trainingskonzepte überführt. Beispiele hierfür sind unter anderem die oben genannten Simulationen und Data Analytics.

DWN: Wie gewährleisten sie vor diesem Hintergrund, dass Ihre KI-Lösungen auch langfristig zuverlässig und wettbewerbsfähig bleiben?

Meiler: Um die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der von KI generierten Daten zu überprüfen, nutzen wir spezifische Testverfahren. Dies beinhaltet unter anderem Simulationen und Tests in realen Szenarien. Außerdem analysieren wir unsere internen Prozesse regelmäßig – egal ob KI-gestützt, maschinell oder menschlich. Darüber hinaus gilt, dass bei Webasto die endgültige Freigabe von Ergebnissen exklusiv unseren Mitarbeitenden vorbehalten ist. KI wollen wir primär zur Automatisierung und zur konsistenten Umsetzung innerhalb bekannter Grenzen einsetzen.

DWN: Sie haben bereits erwähnt, dass der Einsatz von KI Verständnis, Know-how und ein Grundlagenverständnis bei Mitarbeitenden und im Management erfordert. Was braucht es darüber hinaus noch, damit KI erfolgreich eingeführt werden kann – ist es eher eine Frage der Mentalität, Offenheit und Entscheidungsfreudigkeit für neue Technologien, oder entsteht der notwendige Druck durch das Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann?

Meiler: Die Offenheit für neue Technologien ist seit jeher fest in der Webasto-DNA verankert. Und zwar unabhängig von der Marktlage. Natürlich sind auch eine gewisse Offenheit und Entscheidungsfreudigkeit unabdingbar, wobei jedes produzierende Unternehmen, eine Affinität zu neuen Technologien besitzen muss. Daher ist der Einsatz von KI für uns nicht nur eine Option, sondern eine strategische Notwendigkeit, um auf dem Markt weiter die Nase vorn zu haben.

Barbian: Die fortlaufende Weiterentwicklung unserer Werke, ihrer Fertigungstechnologien und Systeme sind die wesentliche Basis zur Absicherung unserer Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft. Für Management und Mitarbeitende geht dies einher mit einer grundlegenden Technologieoffenheit und dem Streben nach kontinuierlicher Verbesserung. Der Einsatz von KI spielt in unserer Strategie dabei eine wesentliche Rolle.

DWN: Herr Meiler, Herr Barbian, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person:

Dr. Markus Meiler ist seit 2017 bei der Webasto Gruppe. Als Vice President Research and Development ist er für die strategische Leitung und Steuerung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von Webasto verantwortlich.

Dr.-Ing. Peter Barbian ist seit 2018 bei der Webasto Gruppe und leitet als Vice President den Bereich Manufacturing Engineering (ME) weltweit. In dieser Rolle verantwortet er unternehmensweit die Themen Automation, Smart Factory, Manufacturing Systems/Technologies sowie die Footprint Planung. Seit 2024 leitet er zusätzlich (icot) den Bereich Industrialization der Business Unit Electrification Battery (EB).

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