Verteidigungsausgaben von mehr als dem Nato-Ziel von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wären notwendig, damit Europa ohne den Schutzschirm der USA verteidigungsfähig wird. Zu dieser Schlussfolgerung kommt eine Analyse des ifo Instituts. „Nach dem Wahlsieg von Donald Trump ist umso wichtiger: Die Europäischen Länder müssten ihre Anstrengungen deutlich erhöhen, weil die Etats über Jahre hinweg zu niedrig waren, um eine adäquate Verteidigungsfähigkeit aufzubauen“, sagt ifo-Forscher Florian Dorn.
Nato-Ziel von 2 Prozent des BIP reicht nicht
„Da Deutschland das 2-Prozent-Ziel der Nato in den letzten drei Jahrzehnten stets verfehlt hat, klafft heute eine Lücke von rund 230 Milliarden Euro an notwendigen Verteidigungsinvestitionen. Es gibt also Nachholbedarf“, sagt Dorn.
Für Italien betrage die Lücke etwa 120 Milliarden Euro, die notwendig wären, um das 2-Prozent-Ziel zurückgerechnet auf die letzten 30 Jahre zu erreichen. Im Fall von Spanien wären es über 80 Milliarden Euro in heutigen Preisen. Von den europäischen Nato-Staaten haben lediglich Polen und Großbritannien seit 1990 jährlich mehr als 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben.
Kosten für Material und Soldaten in Europa höher
Europäer müssten im internationalen Vergleich grundsätzlich mehr Kosten aufwenden. Das sei ein weiteres Argument für Verteidigungsausgaben jenseits des Zwei-Prozent-Ziels der Nato: „Die Löhne für Soldaten und Kosten für militärische Ausrüstung sind beispielsweise in Russland oder China deutlich niedriger als in westeuropäischen Ländern. Russland kann sich folglich für den gleichen Betrag mehr leisten als westliche Staaten mit höherem Lohn- und Preisniveau“, sagt Dorn.
Laut Dorn sei ein glaubwürdiger Plan zur nachhaltigen Erhöhung der Verteidigungskapazitäten notwendig, ohne dabei die Haushaltsstabilität und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden.
Wie hoch die Ausgaben für Verteidigung langfristig steigen müssten, hänge auch davon ab, wie gut und effektiv die vorhandenen Ressourcen in Europa genutzt werden. Bis eine Erhöhung der Effizienz und gemeinsamer Strukturen in Europa Früchte trage, müsste man allerdings bei der aktuellen geopolitischen Lage höhere Verteidigungsausgaben investieren.
Nato-General: „Zwei Prozent reichen für Deutschland nicht“
Vor dem Hintergrund ausgeweiteter Militärplanungen hält auch der deutsche Nato-General Christian Badia deutlich höhere Verteidigungsausgaben für nötig. „Zwei Prozent reichen für Deutschland nicht. Es muss Richtung drei Prozent gehen“, sagte Badia der Süddeutschen Zeitung. Er ist in der Nato zuständig für die Weiterentwicklung des Bündnisses.
Deutschland schafft das bisherige Nato-Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, derzeit knapp und mit Einrechnung des 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens für die Bundeswehr. Bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund vier Billionen Euro würden drei Prozent aktuell etwa 40 Milliarden Euro mehr im Jahr für Verteidigungsausgaben bedeuten.
Deutschland muss weitere Brigaden aufstellen
Über Planungen der Nato für verstärkte Kampftruppen als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hatte zuvor die „Welt am Sonntag“ berichtet. Demnach geht das Verteidigungsministerium auf Grundlage dieser „Minimum Capability Requirements“ (MCR) der Nato davon aus, dass über die bislang zugesagten zehn Kampftruppenbrigaden der deutschen Landstreitkräfte hinaus ab 2031 fünf bis sechs weitere Brigaden hinzukommen müssen. Insgesamt im Bündnis solle demnach die Zahl der Kampftruppenbrigaden von 82 auf 131 steigen. Eine deutsche Brigade besteht aus 5.000 Männern und Frauen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat wiederholt eine deutliche weitere Steigerung der Verteidigungsausgaben gefordert und auch deutlich gemacht, dass mehr Soldaten zur Verteidigungsfähigkeit nötig seien.
Auch der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Alexander Müller, forderte eine deutliche Erhöhung des Wehretats und verwies auf einen Rekord bei der Bestellung von Ausrüstung und Gerät. „Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen“, sagte er. Und: „Wir starten bereits mit der Reform des Wehrdienstes, um die Anzahl der Soldaten in der Truppe zu erhöhen und die Reserve zu stärken.“
IW-Chef Hüther fordert Notlage, um Schuldenbremse auszusetzen
Für IW-Ökonom Michael Hüther genau das richtige Signal: Er ist der Meinung, dass die Wiederwahl von Donald Trump die sicherheitspolitischen Dringlichkeiten erhöht. Ein Aussetzen der Schuldenbremse hält er für notwendig: Die Ukrainehilfe jetzt angesichts der Wiederwahl von Donald Trump deutlich aufzustocken – um 20 Milliarden Euro – rechtfertigt allemal, wie es die Bundesregierung selbst vorgesehen hatte, die Notlagenklausel der Schuldenbremse zu ziehen. Man kann nicht fordern, die sicherheitspolitischen Herausforderungen anzunehmen, ohne die fiskalischen Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Chronische Unterfinanzierung der Bundeswehr
Bis zum Ende des Kalten Krieges erfolgte die Planung der Bundeswehr mehr oder weniger nach dem Prinzip „designed to threat“. Aus dem Kräftevergleich der Nato mit dem Warschauer Pakt wurden notwendige Umfänge und Fähigkeiten der Streitkräfte abgeleitet. Das brachte Kontinuität. Die Verteidigungsausgaben wiesen seit Mitte der 1960er Jahre einen gleichmäßigen Anstieg auf. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts nahm das Bedrohungsgefühl ab, die Gesellschaft erwartete eine „Friedensdividende“.
Da mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag der Umfang der Bundeswehr auf 370.000 Soldaten begrenzt wurde, konnten die Verteidigungsausgaben nach 1990 auch tatsächlich verringert werden. Diese Reduzierung fiel jedoch so heftig aus, dass die Truppenstärke von 370.000 schon 1994 nicht zu finanzieren war und unter die vertraglich zugestandene Obergrenze abgesenkt werden musste. Die Planung erfolgte also jetzt „designed to budget“.
„Die Bundeswehr hat von allem zu wenig“
Dabei erforderten die neuen Aufgaben der Bundeswehr erhebliche Investitionen, um das Fähigkeitsspektrum ab 1992 an die Erfordernisse der Auslandseinsätze anzupassen. Dadurch war die Bundeswehr seit den 1990er Jahren chronisch unterfinanziert. Mehrere Strukturreformen brachten weitere Umfangsreduzierungen, bis man schließlich 2010 bei der Zahl 180.000 Soldaten ankam. Aber alle Umfangskürzungen konnten Auftrag, Umfang und finanzielle Ausstattung nicht in ein Gleichgewicht bringen.
Die Bundeswehr lebte seitdem zunehmend von der Substanz, Einbrüche in der Einsatzbereitschaft der Waffensysteme traten immer deutlicher zu Tage. Auch für die Öffentlichkeit war und ist das unübersehbar.