Übernächtigt, aufgedreht und um Fassung ringend - die transatlantische Community in Deutschland reagiert einigermaßen verstört auf den Wahlsieg Donald Trumps. Es ist kein Betriebsunfall mehr, das ist den USA-Verstehern vom Dienst und den im Magnus-Haus der Deutschen Physikalischen Gesellschaft versammelten Spitzen der Atlantik-Brücke am Morgen nach der Wahl deutlich anzumerken. Die Statements von Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Simone Menne von der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland (AmCham Germany), Noch-Parteichef der Grünen, Omid Nouripur, sowie dem früheren Chefredakteur der "Bild", Kai Diekmann, inzwischen selbst Medien-Unternehmer, bildeten einen umfassenden Strauß guter Ratschläge, wie es jetzt weitergehen könnte. Vor allem, was die EU-Kommission in Brüssel und die Ampel-Regierung in Berlin dringend tun müssten. "Kopf in den Sand stecken, geht nicht", sagte allen voran der Frontmann der Atlantik-Brücke und Elder Statesman der SPD, Sigmar Gabriel. "Die kommenden fünf Jahre sind entscheidend für die Zukunft Europas. Entweder wir schaffen einen Neustart zur strategischen Souveränität oder wir provinzialisieren weiter."
Seine Fehler-Analyse war mal wieder glasklar - und leider schmerzhaft für die eigenen Genossen. Er diagnostizierte einen "gigantischen Fehler" des Kanzlers und der Ampel-Regierung. Gleich nach Putins Angriff auf die Ukraine 2022 hätte die selbst ernannte Fortschritts-Koalition ihren mühsam errungenen Parteien-Kompromiss "schreddern sollen", so Gabriel wörtlich. Doch wer macht das schon und schmeißt seine ehrgeizigen Pläne in die Altpapier-Tonne? Gabriel ahnt, dass ihm im Kanzleramt niemand zuhört und seine eigenen Parteifreunde die Ratschläge in den Wind schlagen.
Der Kanzler und die wiederholten Affronts gegen Emmanuel Macron
Zölle und Gegenzölle? Das auf Eis liegende Freihandelsabkommen TTIP? Die Sorge um die von den USA gedeckte Beistandsverpflichtung der Nato! Was hilft, für was ist es längst zu spät? Kann sich Deutschland noch auf LNG-Lieferungen und Energie-Lieferungen verlassen? Oder soll Putin wieder liefern dürfen? Es ist, salopp gesprochen, die provokante Frage nach einem De-Risking (wie bereits im Falle Chinas) - nur jetzt in Richtung des großen Bruders und langjährigen Verbündeten. Immerhin kommt mit Trump ja ein den Deutschen wahrlich feindselig gesinnter Präsident zurück ans Ruder, um diesmal systematisch neu zu ordnen und mit voller Rückendeckung durch US-Senat und Repräsentantenhaus durchzuregieren. Schon anno 1980 habe der (ausgerechnet) im "Playboy" verraten, dass er unbedingt die deutschen Luxus-Karossen von der Fifth Avenue vertreiben möchte.
Ein breiter Bogen von Themen wurde angeschnitten und sogleich mit Handlungsempfehlungen versehen. Gabriel erinnerte an die Angebote Emmanuel Macrons für eine gemeinsame Achse mit den Briten. Sie blieb fahrlässig vom Kanzler unbeantwortet. Was soll der französische Präsident nur denken, wenn Berlin insgeheim Bedenken hat, BND-Satelliten in einer gemeinsamen deutsch-französischen Ariane-Rakete ins All zu schießen: "Soll das etwa Space-X machen", fragte Gabriel, also ausgerechnet Elon Musk. "Ein Affront" sei dies aus Gabriels Sicht gewesen. Sowohl die neue polnische Regierung Donald Tusks als auch die Labour-Regierung Keir Starmers böten durchaus Optionen für einen "Pivotal change" hin zu einem neuen "politischen Zentrum Europas". Eine Chance, die man jetzt endlich ergreifen müsse.
Gabriel ist sicher, dass die USA auf lange Zeit "außenpolitisch ausfallen" und sich auf das für die Machbare kaprizieren werden - sprich sich des China-Problems annehmen. Er verglich die drohende Zeitenwende in den USA mit der McCarthy-Ära in den Anfangsjahren des Kalten Krieges. Für "Europa ist das dramatisch", wenn der Kontinent trotz aller schönen werte und Normen nicht schafft, sich selbst um die Sicherheitsbelange zu kümmern. Für Gabriel geht es dabei jedoch weniger um Militärausgaben, als sich "jetzt auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" zu fokussieren.
Automobil-Firmen müssen keine Angst haben, sehen sich gut aufgestellt in den USA
Auch Hildegard Müller denkt in diese Richtung. "Es geht darum, Wirtschaft und Geopolitik in Zukunft zusammen zu denken", sagt die Chef-Lobbyistin der deutschen Automobil-Hersteller. Sie verwies darauf, dass schon jetzt 900.000 Fahrzeuge deutscher Firmen in den USA gefertigt werden, von denen gut die Hälfte damit faktisch zum US-Export hinzu zählt und weltweit abgesetzt wird. Zum Vergleich: Es sind somit deutlich weniger als die 400.000 Pkw, die Deutschland über den Atlantik in die Vereinigten Staaten verschifft. Müller ist überzeugt, die USA überzeugen zu können, dass die Interessen beider Kontinente ähnlich gelagert sind. Sie hofft auf den wachsenden Einfluss der US-Bundesstaaten und deren Gouverneuren. Sie tingelten bereits durch die Lande, um deutsche Firmen anzuwerben - völlig losgelöst von dem, was in Washington diskutiert wird. Auch das Risiko, dass Trump das Free Trade Agreement mit Mexiko und Kanada (Nafta) 2026 auf Ein legen könnte, spielte Müller herunter. Die USA seien "ja selbst vom Nafta abhängig", auch VW in Puebla müsse sich nicht sorgen, sondern sei vorbereitet.
Auch die Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke Julia Friedlander, gebürtige Amerikanerin, ist von einer fortschreitenden "Föderalisierung der USA" überzeugt, bei die Bedeutung der Regierung in Washington abnimmt. Sie muss es wissen, hat selbst drei Jahre in der letzten Trump-Administration mitgearbeitet, bevor sie zur Atlantik-Brücke nach Berlin gewechselt ist. Friedlander bekannte den versammelten Journalisten im Magnus-Haus frank und frei: "Ich habe Verständnis dafür", dass ihre Landsleute Trump gewählt haben. Die Unzufriedenheit sei in der vergangenen vier Jahren weiter angestiegen.
Was den ehemaligen Chefredakteur von "Bild", Kai Diekmann, daran erinnerte, über das selbstgefällige Wunschdenken der deutschen Öffentlichkeit zu ulken. Er verwies auf einen Kommentar einer süddeutschen Regionalzewitung, wonach die Deutschen auch die Chancen einer Eichen-Schrankwand auf den Wahlsieg in den USA gefeiert hätten (nicht nur die chancenlose Vize-Präsidentin Kamala Harris) - in der irrigen Hoffnung, Trump möge verlieren. Dabei habe der schon 2008 allen klar gemacht, dass ihm die Berichterstattung der traditionellen Medien nicht die Bohne interessieren. Trump hat voll auf Social Media gesetzt und mit Unterstützung von Elon Musk auch gewonnen. Musk hat nicht nur ordentlich eingezahlt, in Trumps Wahlkamof, sondern mit der Twitter-Übernahme und Umbenneung in X Trumps Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Diekmann konstatierte eine unangebrachte "Dämonisierung Trumps". Tatsächlich sei Europa "in den Jahren Trumps stärker geworden", seitdem wir wissen, dass man sich nicht uneingeschränkt mehr auf die USA verlassen kann.
"Dealmaking" will gelernt sein: "Europe first!" als Antwort auf Trumps Drohungen
Simone Menne, Präsidentin der American Chamber of Commerce, bekannte freimütig. "Der Freihandel spielt nicht mehr die Rolle wie früher." Es werde verstärkt das typisch Trumpsche "Dealmaking" in der Weltpolitik einziehen. Dem könnte konkurrierende Länder wie Deutschland nur "mit Resilienz begegnen". und dadurch, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit durch neue Technologien, günstige Energiepreise und weniger Bürokatie endlich wiedergewinnen. Menne plädiere zudem für eine neue Sichtweise. "Europe first", das wäre durchaus eine Antwort auf Trumops Drohungen. Die Firmen ihrer Handelskammer seien jedenfalls bestens aufgestellt "in der gesamten Fläche Amerikas" und würden beste Beziehungen zu den US-Bundessatten pflegen. Trump werde so zwangsläufig "erkennen, das Protektionismus den USA schadet".
Visum eingezogen: Schmerzhafte persönliche Erfahrungen Omid Nouripours
Es gab auch ganz persönliche Bekundungen, was der zu beobachtende Kulturwandel jenseits des großen Teiches anrichten kann für jeden Einzelnen. Oman Nouripour etwa erzählte, wie ihm nach dem ersten Sieg Trumps die US-Botschaft anrief und darüber in Kenntnis setzte, dass sein US-Visum widerrufen werde und danach einfach den Hörer auflegte. Der Grund: Trump hatte zu Beginn seiner Amtszeit einen Moslem-Bann in Kraft gesetzt, unter den prompt auch der im Iran aufgewachsene Nouripour fiel - die langjährige Mitgliedschaft in der Atlantik-Brücke hin oder her. Der Grüne entschied, dass ihm Freundschaften in der Atlantik-Brücke wichtiger sind als die Bornierheit der Regierung und führte seine Arbeit seine Arbeit eine bessre Verständigung beider Länder fort.
Ihn treibt vor allem die Sorge um die Ukraine um. Der grüne Realo gab deshalb die Aufgabe zu Protokoll, dass Deutschland dringend "in die eigene Sicherheit" investieren müsse und den Forderungen Trumps nach mehr Beteiligung nachkommen sollte. Das sei im ureigenen Interesse Deutschlands - ein deutlicher Wink an die eigenen Parteimitglieder. Nouripour ist überzeugt, dass nur ein gemeinsames Europa den Russen die Grenzen aufzeigt. Auch um den Preis, womöglich die Hilfe für die Ukraine als Kontinent alleine wuppen zu müssen.
Auch Sigmar Gabriel knüpfte daran an, indem an das Budget der EU-Kommission, was für Anstrengungen in der Sicherheitspolitik und für ein Verteidigungsbündnis der Europäer nicht ausreichen wird. "Die europäische Schuldenaufnahme" müsse endlich auf die Agenda. Es gehe mitnichten nur um die Sorgen unseres FDP-Finanzministers, die bundesdeutsche Schuldenbremse einzuhalten. Der frühere SPD-Parteichef war sichtlich um griffige und eindringliche Metaphern und Bilder bemüht, um seinen Punkt bestmöglich rüber zu bringen. Die Sache mit den den USA unter Donald Trump erinnere ihn an einen typischen Western, sagte er. "Wenn der Sheriff die Main Street verlässt, dann kommen die Gangster auf die Straße."
Dass die veränderte Lage in den USA über kurz oder lang auch in Europa seine Nachahmung findet, ist eine weitere Erkenntnis, über die sich die Amerika-Versteher vom Dienst ihre Gedanken machen - und Sorgen. Mit dem Vorwurf der Irrationalität werde man hüben wie drüben den Problemen nicht Herr werden. Dass Trump gewinnen würde und nach Washington zurückkehrt, folge einer gewissen Logik. Die Frage bleibt nur, wie gut sich die Bundesregierung für den Tag X am 6. Januar 2025 vorbereitet hast? Trump will sofort loslegen, man wird ihn beim Wort nehmen müssen.