Mehr als 100 Staats- und Regierungschefs sowie Minister aus 200 Ländern treffen sich dieser Tage in Baku, Aserbaidschan, um auf der Weltklimakonferenz COP29 darüber zu beraten, wie die Nutzung sauberer Energie weiter vorangetrieben und die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels unterstützt werden kann. Ein mögliches Ergebnis könnte die Erhöhung der jährlichen Summe der Klimafinanzierung von 100 Milliarden Dollar im Jahr 2022 auf bis zu 2 Billionen Dollar zu erhöhen - höchstwahrscheinlich durch die "Mobilisierung" von Finanzmitteln von Entwicklungsbanken und privaten Investoren. Erneuerbare Energien sind nach wie vor das Gebot der Stunde, jedoch steigt die Nachfrage nach Strom schneller, als diese ihn liefern können. Das führt zu der paradoxen Situation, dass sich die Welt einer seit langem bewährten Energiequelle zuwendet: Kohle. China, das gern zitierte Musterland der Elektrifizierung, ist auch bei der Kohleverstromung führend und steuert in diesem Jahr auf eine Rekordimportmenge und -produktion zu. Und die Prognosen hinsichtlich des weltweiten Kohleverbrauchs deuten auch zukünftig auf wachsende Nachfrage beim schmutzigsten Energieträger hin.
Erneuerbare boomen
Vergangenen Monat veröffentlichte die Internationale Energieagentur (IEA) ihren jährlichen World Energy Outlook, einen umfassenden Bericht über die wahrscheinlichen Entwicklungen von Angebot und Nachfrage für fossile Brennstoffe und erneuerbare Energiequellen bis zum Jahr 2050. Dieser in Industrie und Politik vielbeachtete Report zeichnete ein optimistisches Bild. So wachsen Wind- und Solarenergie weiterhin schneller als von vielen, einschließlich der IEA, erwartet, wodurch sich ihre Marktanteile zunehmend erhöhen. „In der Geschichte der Energie haben wir das Zeitalter der Kohle und das Zeitalter des Öls erlebt,“ sagte IEA-Direktor Fatih Birol. „Jetzt bewegen wir uns mit hoher Geschwindigkeit in das Zeitalter der Elektrizität.“ Birol, ein Ökonom, der sich vom Lobbyisten der Öl- und Gasindustrie zu einem Verfechter grüner Energie gewandelt hat, hat damit zwar recht. Dass weltweit aber über ein Drittel des erzeugen Stroms aus der Verbrennung von Kohle stammt, blieb auch hier der ungesagte Teil der Wahrheit.
Und diese Wahrheit kann auch im Report der IEA leicht überlesen werden, innerhalb seiner 398 Seiten nimmt der kurze Hinweis darauf wenig Raum ein: „Die Prognose für Kohle wurde insbesondere für das kommende Jahrzehnt nach oben korrigiert, hauptsächlich aufgrund aktualisierter Projektionen zur Stromnachfrage, insbesondere aus China und Indien.“ Deren Kohleanteil am jeweiligen Energiemix liegt aktuell bei 60, beziehungsweise 75 %. Den weltweiten Kohleverbrauch im Jahr 2030 schätzt die IEA nun 6 % höher als noch vor einem Jahr. Das klingt harmlos, entspricht jedoch dem Jahresverbrauch Japans, und Japan ist immerhin der viertgrößte Kohleverbraucher der Welt. Die IEA geht davon aus, dass die Kohlenutzung im Jahr 2030 höher sein wird als im Jahr 2010.
Strombedarf wächst rasant
Im Mittelpunkt der Nachfrageprognosen steht meist die wachsende Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz, welche enorme Mengen Strom verschlingt. Hochrechnungen zufolge dürften die US-Rechenzentren bereits 2030 mehr Strom verbrauchen als alle amerikanischen Haushalte zusammen. Branchenexperten erwarten bis dahin eine Erhöhung der Stromnachfrage um mehr als 80 %, allein auf Grund von KI-Anwendungen. Dieser Bereich ist jedoch bei weitem nicht allein verantwortlich, vor allem der Boom bei Elektrofahrzeugen und die zunehmende Nutzung von Klimaanlagen beschleunigen den Nachfragetrend. Wuchs der Stromverbrauch in der ersten Dekade dieses Jahrtausends noch um das 1,4-fache schneller als die Gesamtenergienachfrage, beschleunigte sich diese Entwicklung in den folgenden Jahren bis 2023 auf den Faktor zwei. Bis 2030 wird der Stromverbrauch der IEA zufolge voraussichtlich sechsmal schneller wachsen. Damit entspräche die jährlich zur globalen Nachfrage hinzukommende Strommenge dem Verbrauch der zehn größten Städte der Welt.
Asien hat enormen Elektrizitätshunger
Der weitaus größte Teil der weltweiten Nachfrage nach Elektrizität kommt aus Asien, in erster Linie aus China und Indien, in beiden Ländern steigt der Stromverbrauch rasch an. So nahm der chinesische Stromverbrauchs im September im Vorjahresvergleich um 8,5 % auf 847,5 Mrd. kWh zu und erreichte in den ersten neun Monaten dieses Jahres 7,4 Billionen kWh, das entspricht einem Anstieg von 7,9 %. Das ist der höchste Wert seit dem Boom der Industrie nach dem Covid-Einbruch im Jahr 2021. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass die Nachfragesteigerung seinerzeit mit einem starken Wachstum einherging, während China derzeit mit einer schwachen Wirtschaft zu kämpfen hat. Im Jahr 2020 entfielen noch 11 % des Energieverbrauchs auf die Stromerzeugung, seitdem hat sie die Elektrifizierungsrate mehr als verdreifacht. In den ersten neun Monaten des Jahres 2024 hat China zwar 161 Gigawatt an neuer Solarkapazität sowie 39 Gigawatt an Windkraft zugebaut, was einem Anstieg von 25 % bzw. 17 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Doch selbst der rasche Ausbau der erneuerbaren Energien reichte nicht aus, um die Abhängigkeit des Landes von der Kohle zu verringern.
Nicht nur, dass der größte Kohleverbraucher der Welt nicht von der Kohle ablässt, vielmehr werden auch weiterhin neue Kraftwerke errichtet. In den Jahren 2022 und 2023 genehmigte die chinesische Regierung neue Anlagen mit einer Gesamtkapazität von fast 200 Gigawatt, im ersten Halbjahr diesen Jahres gab sie grünes Licht für 14 weitere, deren Gesamtkapazität liegt bei 10,3 Gigawatt. Zum Vergleich: die Kapazität sämtlicher hiesiger Kohlekraftwerke beträgt weniger als 40 Gigawatt. Angesichts dessen steuern die chinesischen Kohleimporte in diesem Jahr auf einen Rekord zu, allein die Käufe von Chinas Hauptlieferanten für Kraftwerkskohle Australien stiegen in den ersten neun Monaten um 68 % im Vergleich zum Vorjahr, jene aus der Mongolei um 24 %. Dies geht aus offiziellen Regierungsdaten hervor. Insgesamt sind die chinesischen Importe auf dem besten Weg, in diesem Jahr die 500-Millionen-Tonnen-Marke zu überschreiten. Das Ergebnis ist eine Energiewende, die umweltschädlicher ist, als viele gehofft hatten.
Peak Coal lässt auf sich warten
Angesichts dieser Aussichten ist ein Rekordverbrauch und eine stärker als erwartete Nachfrage bis weit in die Zukunft hinein die Realität für den klimaschädlichsten aller fossilen Brennstoffe. Sicher ist, dass sich das Jahr, in dem der Höhepunkt der Kohlenachfrage eintreten wird, weiter nach hinten verschiebt. Auch darin zeigt sich das ungleichmäßige und stockende Fortschreiten der Energiewende, aber auch, dass Rekorderzeugung durch Solarenergie und Rekordnachfrage nach Kohle durchaus parallel bestehen können. Tatsache ist, dass der Strombedarf viel schneller steigt als alternative Energiequellen ihn decken können, zumal deren Zuverlässigkeit auf Grund ihrer Wetterabhängigkeit nicht gegeben ist. Zukünftig mag dies möglich sein, in Kombination mit groß dimensionierten und langlebigen Batteriespeichern, auf absehbare Zeit können jedoch nur Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke zuverlässig Strom liefern. Dass der Strombedarf allen Prognosen zufolge in den kommenden Jahren rasant wachsen wird, dürfte ein Innovationstreiber sein. Unter dieser optimistischen Betrachtung wird der sauberen Energie die Zukunft gehören, in der Gegenwart dominieren jedoch weiterhin Kohle & Co..