Wirtschaft

G20-Gipfel in Brasilien: Die gespaltene Weltgemeinschaft

Beim G20-Gipfel in Rio de Janeiro, Brasilien, traten die unterschiedlichen politischen Lager der Weltgemeinschaft deutlich zutage. Die westlichen Länder mussten Zugeständnisse machen, während Brasilien als Gastgeber erfolgreich seine Agenda durchsetzen konnte.
20.11.2024 13:26
Aktualisiert: 20.11.2024 13:26
Lesezeit: 3 min

G20-Gipfel: Uneinigkeit bei zentralen Themen

Der G20-Gipfel in Brasilien zeigte erneut die tiefen Gräben zwischen den führenden Wirtschaftsmächten der Welt. Besonders in Bezug auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten war eine gemeinsame Erklärung nur durch schmerzhafte Kompromisse aus westlicher Sicht möglich. Das Gastgeberland Brasilien hingegen konnte viele seiner Ziele in der Abschlusserklärung verankern und wurde damit für seine diplomatischen Anstrengungen belohnt.

Die G20 setzt sich zusammen aus westlichen Demokratien wie den USA, Deutschland und Großbritannien sowie autoritär geführten Staaten wie Russland, China und Saudi-Arabien. Zwischen diesen beiden Lagern finden sich Staaten wie Brasilien, Indien und Südafrika, die eine neutralere Position einnehmen. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verzichtete darauf, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten als Themen auf die Agenda zu setzen. Stattdessen setzte er sich für die Belange des „globalen Südens“ ein, der Schwellenländer Lateinamerikas, Afrikas und Asiens.

Schwache Formulierungen zur Ukraine und Gaza-Konflikt

Das Thema Ukraine-Krieg fand sich lediglich in vagen Formulierungen im Abschluss-Kommuniqué wieder. Eine Verurteilung Russlands war nicht enthalten. Auch der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wurde nicht angesprochen. Dies war eine Enttäuschung für Deutschland, da vor dem Gipfel noch betont wurde, dass ein solches Verhandlungsergebnis unakzeptabel sei. Letztlich stimmte Deutschland jedoch der Erklärung zu.

Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich enttäuscht über das Ergebnis. Er betonte, dass es zu wenig sei, wenn die G20 keine klaren Worte zur Verantwortung Russlands im Ukraine-Krieg fände. „Das hätte ich mir gerne anders gewünscht“, erklärte Scholz. Auch zum Gaza-Konflikt merkte er an, dass es hilfreich gewesen wäre, wenn man die brutalen Terrorangriffe auf Israel klar angesprochen hätte. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte, dass der Text vom G20-Gipfel in Brasilien in Bezug auf die Ukraine hinter den bereits bekannten Formulierungen zurückbleibe. „Wir müssen deutlich machen, dass dies ein Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist und unsere Priorität darin besteht, einen dauerhaften Frieden zu erreichen“, sagte Macron.

Geringe Initiativen vom scheidenden US-Präsidenten

Dass die westlichen Positionen beim G20-Gipfel wenig Beachtung fanden, könnte auch an der bevorstehenden Amtsübergabe in den USA liegen. Der G20-Gipfel in Brasilien war für Joe Biden eine Art Abschied von der Weltbühne. Die USA machten während des Gipfels kaum neue Initiativen bekannt, was auf die bevorstehenden Veränderungen unter einem möglichen künftigen Präsidenten Donald Trump zurückgeführt wird.

Scholz hingegen beschäftigte sich intensiv mit dem Ukraine-Konflikt, obwohl dieses Thema nicht offiziell auf der Tagesordnung des G20-Gipfels stand. In Rio setzte er dabei auf die Unterstützung aus der Ukraine und stand im Gegensatz zu Biden, der Russland keine weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine zusagte.

Brasilien als Gewinner des G20-Gipfels

Für Brasiliens Präsident Lula war der Gipfel in Rio ein Erfolg. Er konnte viele seiner politischen Forderungen durchsetzen und brachte Themen wie den Kampf gegen Hunger, den Klimawandel und Reformen internationaler Organisationen in die Abschlusserklärung ein. Selbst die Idee einer Steuer auf Milliardäre fand Eingang in das Dokument, was besonders aus Sicht Brasiliens als Fortschritt gewertet wird.

Ein weiteres Ergebnis des G20-Gipfels war die Einigung auf eine stärkere Besteuerung von Superreichen. Entwicklungsministerin Svenja Schulze nannte dies einen wichtigen Schritt zu mehr Fairness auf globaler Ebene: „Die derzeitige Steuerbelastung von Milliardären ist im Vergleich zu vielen anderen viel zu gering“, sagte sie.

Kritik an Klimaschutz-Formulierungen

Obwohl die G20-Staaten im Abschlussdokument das Ziel bekräftigten, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, gab es auch hier Kritik. Insbesondere wurde bemängelt, dass keine verbindliche Verpflichtung zur Abkehr von fossilen Brennstoffen, wie Öl, Gas und Kohle, ausgesprochen wurde. Stela Herschmann, Klimaexpertin bei Observatório do Clima, bezeichnete das Fehlen einer solchen Verpflichtung als erschütternd. Der G20-Gipfel in Brasilien zeigte also nicht nur die gespaltene Weltgemeinschaft, sondern auch, wie schwer es ist, in globalen Krisen zu einer Einigung zu kommen. Doch für Gastgeber Brasilien war es ein Moment des Erfolgs, mit dem die Weltgemeinschaft zumindest teilweise auf seine Anliegen einging.

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