Finanzen

US-Aktien sind heiß gelaufen: Warum immer mehr Analysten den europäischen Aktienmarkt in den Blick nehmen

Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht zunehmend Risiken für US-Aktien. Nach der jüngsten Rekordjagd an den US-Börsen verlieren Aktien aus den USA an Attraktivität. „Die Fallhöhe ist höher geworden und die zu erwartende Rendite niedriger“, sagt Fondsmanager Bert Flossbach. Wann stehen Gewinnmitnahmen an? Wann erholen sich die unterbewerteten Papiere in Europa? Sorgen Einfuhrzölle und Handelskriege wirklich für rosige Zeiten?
22.11.2024 06:02
Lesezeit: 3 min

Die Anfangseuphorie nach dem Wahlsieg Donald Trumps scheint allmählich einer großen Skepsis zu weichen. Was hat sich Amerika mit dem Wahlsieg der Trumpisten (und nicht der Republikaner) bloß eingehandelt? Die täglichen Wasserstandsberichte und abstrusen Personalentscheidungen des designierten US-Präsidenten mögen n den Weiten und Wüsten des Landes Begeisterung auslösen. Doch in New York, vor allem in der Börse, wo man sich von Berufswegen informiert, um die Risiken und Chancen besser evaluieren zu können, machen sich immer mehr Banker und Analysten Sorgen.

Deportationen von Landarbeitern schaden der Wirtschaft mehr, als sie der Gesellschaft nutzen

Illegale Landarbeiter aus dem Land deportieren zu wollen, ist alles andere als eine Wachstum-Maßnahme für die US-Landwirtschaft. Im Gegenteil: Auch in den USA halten ungelernte Arbeiter als willige Helfer die Maschine geölt und vor allem den Dienstleistungssektor am Laufen. Im Gegenzug ist nirgends wirklich programmatisch erkennbar, wie Trump die Staatsschulden in den Griff kriegen will. Es sind Spargroschen aus aller Welt und insbesondere aus Europa, das ab 2022 zum Beispiel Joe Bidens Inflation Reduction Act (IRA) finanziert hat. Laut dem Budget Office des US-Kongresses befeuern fast 800 Milliarden Dollar das Wirtschaftswachstum Amerikas und sorgen für Inflationsängste.

Warum sich immer mehr Aktienexperten an der Wall Street Sorgen um die US-Staatsschulden machen

Nicht wenige halten immer noch das Orakel von Omaha, Warren Buffett, für einen guten Indikator bei der Frage, wie robust der Markt eigentlich ist. Der berühmteste Investor hortet interessanterweise Cash-Reserven und hält damit sein Pulver trocken. Womöglich zeichnen gerade die vermeintlichen Gewinner der Trump-Wahl, der E-Auto-Hersteller Tesla etwa oder die Krypto-Währungen Bitcoin oder die Spaßwährung Dogecoin, ein trügerisches Bild der Lage.

US-Aktien: Warren Buffett beschleichen böse Vorahnungen

„Weiß Warren Buffett etwas, was wir nicht wissen“, fragen sich bereits die Leitartikler des „Wall Street Journal“. Berkshire Hathaway stockt seine Reserven auf. Das erklärt manch kritischen Blick auf das Aktien-Portfolio. Aktuell sind tatsächlich US-Aktien im Vergleich mit europäischen Werten historisch teuer, warnt Flossbach und verweist auf das sogenannte KGV. Diese Kenngröße beschreibt das Kurs-Gewinn-Verhältnis und zählt normalerweise zu den besonders beachteten Kenngrößen an der Börse. Dabei gilt eigentlich: je geringer das KGV, desto billiger und damit attraktiver die Aktie. Errechnet wird es mithilfe des Aktienkurses eines Unternehmens, der ins Verhältnis zum erwarteten Unternehmensgewinn je Anteilschein gesetzt wird.

Die zweifelhafte Schwarmintelligenz in den USA, die den Meldungen von Reddit Beachtung schenkt und ihnen folgt, hat davon nur im seltensten Fall je gehört. Man sollte die Umsätze und Bilanzahlen von Volkswagen in Deutschland öfter mit jenen von Elon Musk bei Tesla vergleichen und zueinander in Relation setzen. Dann könnten viele Anleger besser schlafen, um auch noch einmal die Ratschläge André Kostolanys zu beherzigen.

Bloomberg rät zum KGV als Entscheidungshilfe, nicht zum Hype

Dabei zeigt sich auf der Grundlage von Daten der Nachrichtenagentur Bloomberg: Während früher für US-Aktien ein KGV zwischen 15 und 19 normal war, liegt es nach 20 Jahren inzwischen bei über 24 und damit so hoch wie noch nie. Die Gewinnerwartungen an die US-Konzerne seien damit erheblich gestiegen. Und auch wenn die Unternehmen aktuell noch lieferten, stellt sich die Frage: „Was, wenn sich die Erwartungen an das zukünftige Wachstum nicht erfüllen?“

Hohe Kurs-Gewinn-Verhältnisse finden sich in den USA vorwiegend bei den „Magnificent Seven“ – also bei Apple, Nvidia, Microsoft, Amazon, Alphabet, Meta und Tesla. Abgesehen von der Alphabet-Aktie und der Meta-Aktie liegt das KGV dieser Tech-Giganten bei allen sogar weit über 24. Entsprechend birgt hier das erwartete Wachstum nach den Worten Flossbachs ein gewisses Enttäuschungspotenzial. Zumal die Investitionsausgaben im Vergleich zum Umsatz vor allem in den vergangenen zehn Jahren enorm gestiegen seien. Vor allem Amazon, Alphabet, Meta und Microsoft seien zu kapitalintensiven Konzernen geworden. Während sich die Investitionsausgaben des Online-Handelsgiganten Amazon beispielsweise 2015 noch auf 5,4 Milliarden US-Dollar belaufen hätten und damit auf fünf Prozent des Umsatzes, seien 2024 fast 75 Milliarden Dollar investiert worden. In Relation zum Umsatz seien dies fast zwölf Prozent.

Nvidia-Aktie: Glänzende Zahlen und dennoch macht sich an der Börse Enttäuschung breit

Noch seien die Investitionen zwar hochrentabel. „Aber bleibt das so?“, fragt sich inzwischen nicht mehr nur Flossbach. Dabei verwies er vor allem auf die Begeisterung rund um Künstliche Intelligenz (KI). „Der Nutzen ist da. Wie auch beim Internet. Die Frage ist nur, wie die Unternehmen KI zu Geld machen werden oder können.“ Vom Gewinn jedenfalls komme immer weniger Cashflow an. Der aber ist eine weitere wichtige Kenngröße für Aktionäre, denn das sind dem Unternehmen frei zur Verfügung stehende Barmittel, die es etwa in Form von Dividenden oder Aktienrückkäufen an die Aktionäre ausschütten kann.

Als am Donnerstag (21.11.2024) die neuesten Nvidia-Zahlen vorgelegt wurden, verbreitete sich – trotz all der grünen Pfeile in der Bilanz – bei den Anlegern ernsthaft Enttäuschung. Das kann nicht gesund sein. Vielleicht sollte man sich zur Abwechslung mal die Fundamentaldaten europäischer Unternehmen zu Gemüte führen.

Was den MSCI World-Index betrifft, in dem US-Aktien ebenfalls eine dominante Rolle spielen, stieg das KGV in den vergangenen 20 Jahren von im Schnitt 15 bis 17 inzwischen auf einen Höchstwert von über 20. Nur für Europa hat sich beim KGV nicht viel geändert. Es liegt bei 14 und damit weitgehend in der Mitte der Spanne, die sich im Schnitt etwa zwischen rund 13 bis 16 bewegt. Europäische Aktien sind damit unverändert günstig – und das dürfte vorerst so bleiben.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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