Politik

Tiefpunkt der Brandenburger Politik: Ministerin entlassen - Minister tritt zurück

Machtprobe im Streit um die Klinikreform: Regierungschef Dietmar Woidke entlässt in der Bundesratssitzung die grüne Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher. Die beispiellose Aktion führt zum Bruch der bisherigen Koalition. Das war überflüssig, zeigt aber, was sich der SPD-Ministerpräsident im Bündnis mit dem BSW eingehandelt hat.
23.11.2024 08:55
Lesezeit: 3 min
Tiefpunkt der Brandenburger Politik: Ministerin entlassen - Minister tritt zurück
Machtprobe im Streit um die Klinikreform: Regierungschef Woidke entlässt in der Bundesratssitzung die grüne Gesundheitsministerin. Die beispiellose Aktion führt zum Bruch der bisherigen Koalition.(Fotos: dpa) Foto: Michael Bahlo

In einer beispiellosen Aktion hat Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) seine Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) kurz vor Ende der gemeinsamen Regierungszeit entlassen. Aus Solidarität trat daraufhin ihr Parteifreund, Agrarminister Axel Vogel, zurück. Woidkes Koalitionspartner sieht keine Basis mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Vor der Abstimmung über die Krankenhausreform im Bundesrat war der Streit zwischen Nonnemacher und dem Ministerpräsidenten eskaliert.

Damit ist die rot-schwarz-grüne Koalition in Brandenburg in der Schlussetappe zerbrochen. Die Regierung aus SPD, CDU und Grünen war nur noch geschäftsführend im Amt bis zur Bildung einer neuen Regierung. SPD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wollen eine neue Koalition schmieden und sind im Endspurt ihrer Verhandlungen.

Ministerin sieht Tiefpunkt politischer Kultur

Noch auf dem Bundesrats-Flur in Berlin bekam Nonnemacher nach eigener Schilderung ihr Entlassungspapier - kurz vor dem Länder-Votum zur Krankenhausreform. Die 67-jährige Ärztin sprach von einem "Tiefpunkt der politischen Kultur". Woidke kam bei der Sache alles andere als soverän rüber, sah eher wie ein Getriebener seiner neuen Koalition aus.

Der anschließende Rücktritt von Agrarminister Vogel sei eine Konsequenz "aus dem respektlosen Umgang des Ministerpräsidenten mit der bisherigen Gesundheitsministerin", heißt es in einer Mitteilung der Grünen. Eine Zusammenarbeit sei nicht mehr möglich.

Woidke sagte zur Entlassung Nonnemachers: "Ich kann mir da nicht auf der Nase rumtanzen lassen." Das Rücktrittsgesuch von Vogel nahm Woidke an. Wer ihm statt der Grünen jetzt am Nasenring durch die Manege führt - dazu kein Kommentar.

Konflikt um Abstimmung im Bundesrat

Was war geschehen? Woidke wollte nach Auskunft von Regierungssprecher Florian Engels die Anrufung des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag erreichen. Die für die Krankenhäuser zuständige Fachministerin Nonnemacher aber war dagegen und warnte: "Das führt zu einer Versenkung dessen, was hier in zwei Jahren mühsam ausgehandelt worden ist." Woidkes Regierungssprecher sagte zur Entscheidung des SPD-Politikers: Mit diesem "divergierenden Abstimmungsverhalten" wären Brandenburgs Stimmen in der Länderkammer ungültig geworden.

Am Ende konnte die düpierte Ministerin - anders als Woidke - zumindest mit dem Ergebnis der Abstimmung zufrieden sein: Die Länderkammer ließ das Gesetz für eine grundlegende Neuordnung der Kliniken in Deutschland passieren. Woidkes Ziel, den Vermittlungsausschuss einzuschalten, ging indessen schief. Womit die ganze Aktion überflüssig war - und nur noch peinlich wirkte.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) würdigte derweil den Einsatz Nonnemachers für die Reformpläne: "Sie hat sich insbesondere dafür eingesetzt, dass in Brandenburg die Notfallversorgung in dem Umfang erhalten bleiben kann, wie sie notwendig ist. Das ist ihr Verdienst." Lauterbach kennt gelegentlich weder Feind noch Parteifreund - er ist hat in erster Linie Arzt und nicht Genosse.

Die Grünen-Bundesspitze kritisierte Dietmar Woidke scharf. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck nannte dessen Vorgehen "unfassbar". Habeck sagte in einem Interview wörtlich: "Egal, wie sehr man politisch auseinander liegt, man sollte immer einen menschlichen Umgang miteinander pflegen. Die Entlassung ist ein Alarmzeichen: Das passiert, wenn sich ein SPD-Ministerpräsident im Vorgriff auf eine Koalition schon mal Sahra Wagenknechts Bündnis andient."

Ministerin wollte Rede halten

Vor der Sitzung im Bundesrat kam es in der Koalitionsrunde zum Konflikt mit dem Ministerpräsidenten über das Abstimmungsverhalten zur Krankenhausreform. Nonnemacher machte klar, dass sie sich nach erreichten Verbesserungen im Klinikgesetz gegen die Anrufung des Vermittlungsausschusses stellen wird, sie sah sich dabei mit ihren Fachleuten auf einer Linie. Daraufhin habe der Ministerpräsident gedroht, sie vor der Sitzung zu entlassen, schilderte die Grünen-Politikerin. "Solange ich keine Entlassungsurkunde in den Händen halte", werde sie ihre Rede halten, habe sie gesagt.

Dann kam es um 10 Uhr zum Showdown. Der Regierungschef akzeptierte das Votum Nonnemachers nicht und verhinderte mit der Entlassung eine Enthaltung Brandenburgs in der Länderkammer. Die rot-schwarz-grüne Koalition hatte vereinbart, dass sie sich im Bundesrat enthält, wenn sie sich nicht einig ist. Der Koalitionsvertrag gilt allerdings nur bis zum Ende der Wahlperiode - der neue Landtag ist bereits zusammengekommen.

Ein Duodezfürst und sein "Vertrauensbruch"

Das Verhältnis zwischen Woidke und Nonnemacher galt schon länger als angespannt. In der Corona-Krise verlagerte er die Zuständigkeit für das Impfen zwischenzeitlich von ihrem Ministerium zum Innenressort. Im März enthielt sich der Ministerpräsident im Bundesrat bei der Entscheidung über eine Teil-Legalisierung von Cannabis nicht wie in Streitfällen der Koalition, sondern setzte sich für ein Nachschärfen der Gesetzespläne ein und rief den Vermittlungsausschuss an. Nonnemacher spricht im Rückblick von "Vertrauensbruch". Woidke glaubt, er sei der Landesvater, der sich in Brandenburg wie ein Duodezfürst aufführen kann. Wie lange das gutgeht, wird sich zeigen.

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