Wirtschaft

Plagiate bei Temu: "Das ist schon ziemlich dreist!" - Produktpiraten bedrohen Wirtschaft

Zu schön um wahr zu sein? Viele Hersteller beklagen, dass immer wieder Fälschungen ihrer Produkte auf dem Markplatz Temu verkauft werden. Betroffene Unternehmen beklagen einen Kampf gegen Windmühlen.
10.12.2024 16:02
Lesezeit: 3 min
Plagiate bei Temu: "Das ist schon ziemlich dreist!" - Produktpiraten bedrohen Wirtschaft
Apps der Internethändler Temu und Shein sind auf dem Display eines Smartphones zu sehen. (Foto: dpa) Foto: Oliver Berg

Klobürsten, Handtuchhalter, Universalhaken - immer wieder entdeckt Wenko-Geschäftsführer Niklas Köllner auf dem Online-Marktplatz Temu Artikel, die den Produkten aus dem eigenen Sortiment täuschend ähnlich sind. Wirksam gegen die Produktpiraten vorgehen kann er kaum. So wie Köllner beklagen auch andere Unternehmer, dass auf der chinesischen Plattform ziemlich folgenlos Fälschungen ihrer Markenprodukte angeboten werden.

Eineinhalb Jahre nach dem Deutschland-Start von Temu wird der Online-Marktplatz für hiesige Unternehmen zum Problem. "Plattformen wie Temu bieten Produkte an, die oft zu schön erscheinen, um wahr zu sein", sagt der Hauptgeschäftsführer des Markenverbands, Patrick Kammerer. "Diese Plattformen sind auch ein Einfallstor für Produktfälschungen, die immensen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Das hören wir immer wieder von unseren Mitgliedern." Besonders für den Mittelstand seien die Aktivitäten solcher Plattformen eine große Herausforderung.

92 Millionen Nutzer hatte Temu im September

Die EU-Kommission verdächtigt Temu, nicht nach europäischen Regeln zu spielen. Ende Oktober leitete die Brüsseler Behörde ein Verfahren gegen die Chinesen ein, weil sie unter anderem vermutet, dass der Marktplatz nicht genug gegen illegale Plagiate vorgeht. Der EU-Kommission zufolge meldete Temu im September 92 Millionen monatliche Nutzerinnen und Nutzer in der EU.

Einer der betroffenen Mittelständler ist Wenko. All die angemeldeten Schutzrechte im Bereich Produktdesign schützen den Haushaltswarenhersteller aus Hilden auf Temu kaum. Rund 400 Fälle habe sein Unternehmen bisher gemeldet, sagt Wenko-Chef Köllner - einen Universalheizkörperhaken allein mehr als 100 Mal.

Der Zangenhersteller Knipex berichtet ebenfalls von massiven Problemen. Seit Juli 2023 stellten die Wuppertaler bei sechs Produkten wie Rohrschneidern und Greifzangen mehr als 220 Rechtsverletzungen auf Temu fest. "Bei Temu werden permanent Schutzrechte verletzt. Das ist schon ziemlich dreist", sagt Geschäftsführer Ralf Putsch. Häufig wurden ihm zufolge sogar die Werbebilder von Knipex benutzt, nur ohne Firmenlogo.

"Rechtsdurchsetzung faktisch unmöglich"

Kammerer vom Markenverband erklärt die Rechtslage: "Wenn ein Markeninhaber bei einem Online-Händler ein gefälschtes Produkt der eigenen Marke entdeckt, kann er das dem Plattformbetreiber melden." Temu und andere seien nach dem EU-Gesetz für Digitale Dienste (DSA) dann verpflichtet, das Produkt von der Seite zu entfernen.

Aus Sicht Kammerers ist das Problem jedoch, dass bereits als illegal bekannte Inhalte erneut hochgeladen werden können. "Das wird vom DSA bislang nicht sanktioniert. Ein Fehler." So landeten gefälschte Produkte immer wieder auf Temu. Eine Marktplatzhaftung gibt es in aller Regel nicht. "Verbraucherinnen und Verbraucher werden getäuscht, Markeninhaber werden betrogen", sagt Kammerer.

Wenko, Knipex und viele andere können ein Lied davon singen. Knipex forderte Temu wiederholt dazu auf, die Artikel von seinem Marktplatz zu nehmen. Das Portal kam dem zwar nach, kurz darauf waren die Artikel jedoch wieder aufzufinden. Entweder von demselben oder von einem anderen Händler. Putsch findet, wer etwas betreibt, von dem ständige Rechtsverletzungen ausgehen, müsse mithaften. Mit Amazon hatte Knipex vor Jahren ähnliche Probleme, es sei aber besser geworden.

Und die Händler der Fakes? Da wird es noch komplizierter. Grundsätzlich könnten Markeninhaber dagegen vorgehen, wenn Anbieter gefälschte Produkte anböten, sagt Kammerer vom Markenverband. "Bei ausländischen Anbietern ist dafür internationale Rechtshilfe notwendig. Die ist insbesondere in Asien hochkomplex und langwierig. Eine Rechtsdurchsetzung ist deshalb faktisch unmöglich."

Temu sieht sich zu Unrecht in der Kritik

Temu weist die Vorwürfe zurück. "Hinweisen auf mögliche Verstöße gehen wir umgehend nach und ergreifen die notwendigen Maßnahmen, zum Beispiel, indem wir Angebote und Bilder löschen", sagt ein Unternehmenssprecher. Rechteinhaber können ihre Beschwerden demnach über ein Portal einreichen, 99 Prozent der Anträge würden schnell gelöst. Verkäufer, die wiederholt oder schwerwiegend gegen diese Regeln verstießen, würden dauerhaft von der Plattform ausgeschlossen.

Temu erklärt, die Bemühungen zum Schutz geistigen Eigentums kontinuierlich verbessert zu haben. Dies diene auch "dem langfristigen Erfolg und Wachstum unserer Plattform".

E-Commerce-Experte Alexander Graf schätzt die Lage anders ein. Ihm zufolge haben die Betreiber von Online-Marktplätzen kein ehrliches Interesse daran, etwas zu ändern. "Sie verdienen ja am Verkauf der Produkte. Wenn sie ein Produkt von der Plattform nehmen, kaufen die Menschen es woanders." Für die europäische Herstellerindustrie fürchtet Graf negative Konsequenzen, sollten Unternehmen und Kunden rechtlich nicht besser geschützt werden. Dann werde sich der Niedergang fortsetzen.

Zoll maßlos mit Waren-Flut aus China überfordert

Was tun also gegen die Fälschungen? Der Handelsverband Deutschland beklagt, dass Händler, die Plagiate anbieten, für hiesige Behörden oft nicht greifbar seien. Deshalb müsse ein in der EU niedergelassener, verantwortlicher Wirtschaftsakteur benannt werden, der für Verfehlungen von Unternehmen von außerhalb der EU haftbar ist.

Der Markenverband fordert zudem ein politisches Bekenntnis zum Schutz geistigen Eigentums. "Wer gegen diese Schutzrechte verstößt, muss entsprechend bestraft werden. Andere Länder wie China setzen derartige Rechte gezielt als Instrument ein, um ihre eigenen Unternehmen und Produkte zu fördern", sagt Kammerer.

Und er verweist auf ein weiteres Problem: "Die Flut an Kleinsendungen überfordert die Zollbehörden." Nur etwa 0,01 Prozent der Sendungen werde kontrolliert. "Es findet nahezu keine Kontrolle statt. Heißt: Wir müssen den Zoll personell stärken und technisch besser ausstatten."

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