Die deutsche Wirtschaft bewegt sich am Rand der Rezession – und vor allem die Industrie steckt in der Krise. In den Firmenzentralen macht sich Pessimismus breit. Zu viel Bürokratie, teure Energie und harte Konkurrenz aus China belasten die heimischen Unternehmen. Immer mehr Firmen kündigen Einsparungen an und bauen daher in großem Stil Stellen ab.
Industrie: Deutschland baut ab!
Die deutsche Konjunkturschwäche hat damit ganz konkrete Folgen: Deutschlands Industrieunternehmen haben nach Berechnungen der Unternehmensberatung EY binnen eines Jahres rund 50.000 Stellen abgebaut.
Der Stellenabbau habe sich seit dem Frühsommer zudem beschleunigt, teilte EY am Sonntag mit. Im zweiten Quartal von April bis Juni lag die Zahl der Beschäftigten demnach um 0,4 Prozent niedriger als im Vorjahresquartal, im dritten Quartal dann schon um 0,9 Prozent.
Seit 2019 fehlen 152.400 Jobs
Seit dem Vor-Pandemie-Jahr 2019 sei die Zahl der Beschäftigten in der Industrie unter dem Strich um 152.400 geschrumpft, berichtete die Unternehmensberatung. Besonders stark um knapp vier Prozent sanken die Jobs in der Textil- und Bekleidungsindustrie und mit 2,4 Prozent bei Produzenten von Gummi- und Kunststoffwaren.
Die Autoindustrie verzeichnete demnach einen Beschäftigungsrückgang um 1,5 Prozent – in absoluten Zahlen entspricht das laut EY aber dem Verlust von etwa 12.000 Jobs allein in dieser Branche.
Der Umsatz der deutschen Industrie ging den Berechnungen zufolge von Jahresbeginn bis September um 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück.
Besonders stark war der Rückgang demnach in der Elektronikbranche, in der Autoindustrie und im Maschinenbau. Basis der Berechnungen sind Rohdaten des Statistischen Bundesamtes.
Unternehmen werden nicht in Deutschland investieren
Jan Brorhilker von EY erklärte: „Die aktuellen Meldungen über Stellenstreichungen und Kostensenkungsprogramme sind die Reaktion der Unternehmen auf die sehr problematische Umsatzentwicklung.“ Es fehle die Aussicht auf einen Aufschwung. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. Die konjunkturellen Risiken, die sich aus dem Regierungswechsel in den USA für deutsche Exporteure ergeben, „dürfen wir nicht unterschätzen“, warnte Brorhilker.
Die Unsicherheit sei durch das Scheitern der Ampel-Koalition nochmals gestiegen. „In diesen Zeiten werden die Unternehmen nicht in Deutschland investieren. Stattdessen wird es sie weiter ins Ausland ziehen.“
Ausland bietet eher Chancen als Deutschland
Zwar entwickelten sich auch wichtige Auslandsmärkte relativ schwach, so Brorhilker. Besonders dramatisch sei allerdings der Einbruch der Inlandsnachfrage: Im Vergleich zum ebenfalls schon schwachen Vorjahresquartal gingen die Umsätze deutscher Industrieunternehmen mit inländischen Kunden im dritten Quartal um 4,1 Prozent zurück – die Exporte schrumpften hingegen nur um 1,6 Prozent.
„Das Ausland bietet aktuell einfach deutlich bessere Entwicklungschancen, nicht nur als Absatzmärkte, sondern auch als Produktionsstandorte“, konstatiert Brorhilker. „In vielen Ländern sind die Rahmenbedingungen deutlich besser und unternehmerfreundlicher als in Deutschland. Das reicht von der Steuerbelastung über Energie- und Arbeitskosten bis hin zur Bürokratie. Trotz aller Beteuerungen der Politik sind wir gerade beim Thema Bürokratieabbau in den vergangenen Jahren nicht weitergekommen.“
Ausblick: Stagnation statt Wachstum
Brorhilker rechnet damit, dass sich die Industrieumsätze im kommenden Jahr auf dem niedrigen Niveau des laufenden Jahres einpendeln werden – ein weiterer Rückgang sei eher unwahrscheinlich, ein Wachstum allerdings auch: „Es bräuchte einen kräftigen Wachstumsimpuls, um aus dem Konjunkturtal herauszukommen. In den kommenden Monaten wird es einen solchen Impuls nicht geben, daher werden die Unternehmen weiter auf Kostensenkungen setzen und versuchen, das Beste aus den widrigen Gegebenheiten zu machen. Das heißt auch: Der Stellenabbau in der deutschen Industrie wird weiter gehen.“
Eine besondere Rolle dürfte die Automobilindustrie mit ihren 770.000 Beschäftigten spielen, die stark mit anderen Industriebranchen verflochten ist und deren Umsatz im laufenden Jahr voraussichtlich um 25 Milliarden Euro bzw. etwa vier Prozent unter dem Vorjahr liegen wird: „Für den Industriestandort Deutschland ist es enorm wichtig, dass die Transformation der deutschen Autoindustrie gelingt und sie ihre aktuelle Schwächephase möglichst rasch überwindet. Die Bedeutung dieser Leitbranche für andere Industriezweige darf man nicht unterschätzen. Umso wichtiger wäre es, dass auch die Rahmenbedingungen für die Autobauer und -zulieferer in Deutschland deutlich verbessert werden.“
Hier finden Sie mehr Informationen zum aktuellen Industriebarometer.
EY ist eine der großen deutschen Prüfungs- und Beratungsorganisationen. EY beschäftigt mehr als 11.100 Mitarbeitende an 18 Standorten. Gemeinsam mit den rund 395.000 Mitarbeitenden der internationalen EY-Organisation betreut EY Mandanten überall auf der Welt.
Welche Konzerne gerade Tausende Stellen streichen
Wichtige deutsche Großkonzerne haben in den vergangenen Wochen und Monaten bereits angekündigt, in großem Umfang Stellen zu streichen. Welche Unternehmen im Einzelnen betroffen sind:
Schaeffler
Stellenstreichungen und Werksschließungen stehen beim Auto- und Industriezulieferer Schaeffler an. Angesichts der anhaltenden Probleme in der Industriesparte und dem schwächelnden Automarkt will Schaeffler insgesamt 4.700 Stellen streichen, davon 2.800 in Deutschland. Zudem werde je ein Werk in Österreich und in Großbritannien geschlossen, die Lagerproduktion im österreichischen Berndorf eingestellt, kündigte Schaeffler an. Die Produktion von Kupplungen im englischen Sheffield werde aufgegeben.
Continental
Auch der Autozulieferer Continental baut vor dem Hintergrund schwacher Verkaufszahlen von BMW, Mercedes und Co. und den Problemen im Geschäft mit E-Autos weltweit Tausende Jobs ab. Nach Angaben des Konzerns hat Continental seit Mitte 2023 schon 5.000 Stellen in Entwicklung Produktion und Verwaltung gestrichen. Bis 2028 sollen es in dem Unternehmen insgesamt 7.150 Stellen weniger sein. Mehr als ein Drittel der wegfallenden Arbeitsplätze befinden sich in Deutschland.
Volkswagen
Beim größten deutschen Autohersteller Volkswagen herrscht Krisenstimmung: Drei VW-Werke stehen laut Betriebsrat derzeit auf der Kippe, Zehntausende Jobs könnten gestrichen werden. VW fehle die Kundschaft für mehr als 500.000 Fahrzeuge, sagte der Beschaffungsvorstand der Kernmarke VW, Dirk Große-Loheide, kürzlich beim Handelsblatt Auto-Gipfel: "Wenn die Nachfrage nicht da ist, müssen wir unsere Kapazitäten restrukturieren und an die Nachfrage anpassen." Zuvor hatte auch Markenchef Thomas Schäfer betont, dass Stellenabbau "über die demografische Kurve und mit den bisherigen Instrumenten wie Altersteilzeit und Aufhebungsangeboten" nicht reichen werde.
Bosch
Bis zu 5.550 Stellen stehen beim Autozulieferer Bosch auf der Kippe, mehr als zwei Drittel davon - insgesamt 3.800 Jobs - sollen in Deutschland wegfallen. Genaue Zahlen sollen laut dem Unternehmen nun in Gesprächen mit den Arbeitnehmervertretern ausgehandelt werden. Zur Senkung der Kosten plant der Konzern auch eine kürzere Wochenarbeitszeit für einen Teil der Beschäftigten in Deutschland. Insgesamt sind rund 10.000 Mitarbeitende betroffen, unter anderem an neun deutschen Standorten. Mit der Verkürzung der Arbeitszeit verringert sich auch das Gehalt entsprechend.
ZF Friedrichshafen
Der Autozulieferer ZF will in den kommenden Jahren bis zu 14.000 der 54.000 Stellen in Deutschland streichen. Allein in Saarbrücken will ZF bis Ende kommenden Jahres 1.800 Jobs streichen. Wenn die Auftragslage weiterhin so schwierig bleibt, könnten bis Ende des Jahres 2028 sogar noch mehr Jobs wegfallen - insgesamt bis zu 4500 Arbeitsplätze. Auch Werkschließungen sind nicht ausgeschlossen.
Ford
Der US-Automobilkonzern Ford will bis Ende 2027 in Deutschland 2.900 Stellen streichen , die meisten davon im Kölner Werk. Über die Details gibt es Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern. Insgesamt sollen in Europa bis Ende 2027 etwa 4.000 Jobs wegfallen. Ford hatte 2023 und 2024 knapp zwei Milliarden Euro in seinen Kölner Standort investiert, um Elektroautos produzieren zu können.
Thyssenkrupp
Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel setzt ebenfalls den Rotstift an: Die Zahl der Arbeitsplätze soll innerhalb von sechs Jahren um 11.000 schrumpfen, wie das Unternehmen jüngst mitteilte. Von derzeit 27.000 Stellen soll dann noch 16.000 übrig sein. 5.000 Stellen sollen bis Ende 2030 in Produktion und Verwaltung wegfallen, 6.000 weitere Stellen sollen durch Ausgliederungen auf externe Dienstleister oder Geschäftsverkäufe ausgelagert werden. Der Standort in Kreuztal in Nordrhein-Westfalen soll geschlossen werden.
BASF
Bereits 2022 hatte die BASF-Führung wegen verschlechterter Geschäfte und schwierigerer Rahmenbedingungen in Europa ein Sparprogramm angekündigt. Hintergrund waren vor allem die stark gestiegenen Gaspreise. Ein weiteres Sparprogramm wurde Anfang dieses Jahres angekündigt. Dazu gehören auch Stellenstreichungen am Standort Ludwigshafen. Insgesamt will das Unternehmen bis 2026 allein dort zusätzlich jährlich Kosten von einer Milliarde Euro einsparen. Nach Informationen des Handelsblatts sollen bei dem Chemiekonzern bis Ende 2024 weltweit knapp 3.300 Stellen gestrichen werden, gut 2.500 davon in Ludwigshafen. Zuletzt hatte BASF angekündigt, drei Anlagen in Ludwigshafen zu schließen.
DB Cargo
Gerade gab auch DB Cargo bekannt, dass doppelt so viele Stellen wie ursprünglich geplant gestrichen werden: Die kriselnde Güterverkehrssparte der Deutschen Bahn muss deutlich mehr Stellen abbauen als bisher angenommen. „Die aktuellen Konjunkturprognosen führen dazu, dass wir bis 2029 von einem Verlust von 5.000 Arbeitsplätzen ausgehen“, sagte DB-Cargo-Chefin Sigrid Nikutta. Mit den Betriebsräten war bisher lediglich der Abbau von 2.300 Stellen vereinbart. Ein Großteil der zusätzlichen Arbeitsplätze soll in der Verwaltung wegfallen, aber auch der operative Bereich ist betroffen. Damit erhöhe sich der bisher erwartete Stellenabbau infolge der Transformation von DB Cargo.