Der Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad stellt auch Deutschlands bisherige Flüchtlingspolitik in den öffentlichen und politischen Fokus: Sollen syrische Flüchtlinge nach Deutschland kommen dürfen, falls es in Syrien zum Aufstieg eines islamistischen Terror-Regimes kommt? Und müssen bereits in Deutschland lebende asylberechtigte Syrer das Land verlassen, wenn die Lage in Syrien sich entspannen sollte?
Syrische Flüchtlinge in Deutschland
Die Unionsfraktionsvize der CSU, Andrea Lindholz, hatte die Diskussion in der Rheinischen Post angestoßen: „Wir haben in den letzten Jahren unsere humanitären Verpflichtungen übererfüllt“, erklärte sie. Falls es zu einem Frieden in Syrien komme, entfalle „die Schutzbedürftigkeit und damit der Grund für ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland“.
Auch Jens Spahn, ehemaliger CDU-Gesundheitsminister, legte bei ntv nach und forderte 1000 Euro Startgeld und gecharterte Maschinen für alle Syrer, die freiwillig in die Heimat zurückkehren wollen.
Ricarda Lang, ehemalige Parteivorsitzende der Grünen, schrieb auf X: „Die erste Reaktion mancher Politiker auf den Sturz eines grausamen Diktators, aber auch eine vollkommen ungewisse Zukunft und Rolle der Islamisten in Syrien ist also: Abschieben! Menschlich unterirdisch, mit Blick auf Integration schädlich und außenpolitisch kurzsichtig.“
Für Enzo Weber, Präsident des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, wäre eine mögliche Rückkehr in Deutschland tätiger Syrer für den deutschen Arbeitsmarkt verkraftbar. Er riet dazu, denjenigen, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, keine Steine in den Weg zu legen. Sie könnten mit der Erfahrung und Qualifikation aus Deutschland wertvolle Beiträge beim Wiederaufbau ihres Landes leisten.
Hälfte der Syrer bezieht Bürgergeld
Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit unterstützen Webers Aussagen: Denn auch neun Jahre nach dem Einsetzen der Asylwelle 2015 beziehen rund die Hälfte der Syrer in Deutschland Bürgergeld. Da ein Großteil syrischer Migranten über keinerlei berufliche Qualifikationen verfügt.
Gemäß den Zahlen aus dem Bundesamt für Statistik lebten zum 31. Dezember 2023 genau 972.460 syrische Staatsangehörige in Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verzeichnete seitdem 72.420 Erstanträge auf Asyl durch Syrer. Das ergibt eine Zahl von 1.044.880 Personen.
Rund die Hälfte dieser Personengruppe bezieht in Deutschland Bürgergeld. Im August 2024, zum Stand der letzten Erhebung, waren es 518.050 Personen. Zwei Jahre zuvor lag die Zahl bei 497.810 Personen. Den Anspruch auf Bürgergeld erwirbt ein syrischer Staatsbürger nach frühestens 18 Monaten des Aufenthaltes in Deutschland. Zuvor erhält er Zahlungen über das Asylbewerberleistungsgesetz.
Lediglich 222.610 Syrer in Deutschland gingen im Mai 2024 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Knapp ein Fünftel von ihnen hatte einen Minijob. Etwas mehr als die Hälfte von ihnen arbeitete als Fachkräfte, 44 Prozent als un- oder angelernte Helfer.
Umfrage: Wie denken die Deutschen über die aktuelle Migrationspolitik?
Drei von vier Bundesbürger (75 Prozent) finden, die Regierung tut bei der Begrenzung der irregulären Migration zu wenig: Nur 14 Prozent denken, dass der Staat alles tut, um die illegale Migration zu verhindern. Elf Prozent der Befragten trauten sich in dieser Frage kein Urteil zu, laut einer aktuellen YouGov-Umfrage der DPA.
93 Prozent sehen Probleme durch irregulärer Migration
Im Zuge der Befragung, wurde auch deutlich, dass eine große Mehrheit der Deutschen irreguläre Einwanderung problematisch findet. Demnach sehen lediglich zwei Prozent der Bundesbürger überhaupt kein Problem darin, dass Menschen, die nicht aus der EU stammen, ohne gültigen Aufenthaltstitel einreisen beziehungsweise sich in Deutschland aufhalten.
15 Prozent der Wahlberechtigten halten dies für ein kleines Problem. Für die Antwortvariante „großes Problem“ entschieden sich 27 Prozent der Befragten. Etwa die Hälfte der Teilnehmer der Umfrage (51 Prozent) halten irreguläre Einwanderung den Angaben zufolge für ein sehr großes Problem. Lediglich fünf Prozent der Befragten äußerten sich hier unentschlossen.
Grünen-Anhänger zufrieden mit Migrationspolitik
Fast alle Befragten, die angaben, bei der für den 23. Februar geplanten Bundestagswahl die Alternative für Deutschland (AfD) oder das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wählen zu wollen, sehen in der irregulären Migration ein großes oder sehr großes Problem.
Etwas niedriger ist der Wert bei denjenigen, die ihre Stimme der CDU beziehungsweise der CSU zu geben. Auch die Mehrheit der potenziellen SPD-, Linke- und FDP-Wähler sehen das so.
Lediglich die Menschen, die die Grünen wählen wollen, sehen darin nur ein kleines oder gar kein Problem.
Deutsche wollen mehr Erwerbsmigration
Auf die Frage, ob die Bundesregierung genug tue für die Einwanderung potenzieller Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten oder nicht, antworteten 50 Prozent, die Regierung „macht nicht genug, um die Einwanderung von Fachkräften zu ermöglichen“. 30 Prozent der Befragten finden die Aktivitäten der Bundesregierung auf diesem Gebiet ausreichend. Jeder Fünfte hat hierzu keine klare Meinung.
Um einem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, den die Bundesregierung immer noch als großes Problem sieht, will Habeck Fachkräfte aus Kenia anwerben, wie er auf dem Deutsch-Afrikanischen -Wirtschaftsgipfel verkündete. Außerdem hatte die Regierung vor einem Jahr das sogenannte Fachkräfteeinwanderungsgesetz erlassen. Allerdings arbeiten 60 Prozent derer, die über das Fachkräftegesetz nach Deutschland eingewandert sind, nicht als Fachkräfte, wie Welt berichtete. Als Fachkraft gilt nach dem Gesetz, wer einen in Deutschland anerkannten oder einen dem deutschen vergleichbaren Hochschulabschluss oder Berufsabschluss hat. Dieses Jahr reisten bisher 200.000 Menschen über das Fachkräftegesetz ein, letztes Jahr waren es 170.000. Annalena Baerbock möchte, dass jährlich 400.000 Menschen als Fachkräfte einreisen.
Allerdings wird noch in diesem Jahr nach einer Prognose der EU-Kommission die deutsche Wirtschaft weiter schrumpfen. Im Zuge dessen werden steigende Arbeitslosenzahlen erwartet, ebenso ein erneuter Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,1 Prozent.
Einwanderungspolitik schlecht für Deutschland
Dass die Einwanderung in den vergangenen zehn Jahren insgesamt schlecht für Deutschland war, glaubt demnach jeder Zweite. 15 Prozent der Deutschen sind überzeugt, Einwanderung sei im zurückliegenden Jahrzehnt im Großen und Ganzen gut gewesen. Sowohl Licht als auch Schatten sehen hier 30 Prozent der Befragten.
In den ersten zehn Monaten dieses Jahres hat die Bundespolizei rund 71.000 unerlaubte Einreisen festgestellt. Im gesamten Jahr 2023 gab es laut Polizeistatistik rund 127.500 unerlaubte Einreisen. Die stationären Kontrollen an den Landesgrenzen haben dazu geführt, dass die unerlaubten Einreisen jetzt an der Grenze auffallen. Dadurch sind Zurückweisungen möglich, allerdings gibt es die derzeit nur in bestimmten Fällen: Wenn jemand mit einer Einreisesperre belegt ist oder kein Asyl beantragt.
Migration als Wahlkampfthema
Die unterschiedlichen Positionen in der Flüchtlingsfrage könnten sich in den kommenden Wochen bis zur Neuwahl am 23. Februar zuspitzen. Vor allem, wenn die Lage in Syrien unüberschaubar sein sollte oder die Frage, wie islamistisch das Regime tatsächlich ist, nicht eindeutig zu beantworten ist. Die Frage, ob Syrien ein sicherer Herkunftsstaat wird, könnte bei den Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag eine entscheidende Rolle spielen – und womöglich die CDU eher in die Arme der SPD als der Grünen treiben. Letztere machen beim Thema Asyl traditionell wenig Abstriche.
Assads Umsturz macht die Migrationspolitik zu dem neuen, alten Wahlkampfthema in Deutschland, vor dem sich alle etablierten Parteien fürchten – was aber auf dem Wahlzettel der Bundesbürger ganz oben steht.