Russland hat die Ukraine nach einigen Tagen Pause über Nacht erneut mit einer großen Zahl von Kampfdrohnen angegriffen. Für die Hauptstadt Kiew wurde am Donnerstagabend erstmals nach vier Tagen Ruhe wieder Luftalarm ausgelöst. Die ukrainische Luftwaffe berichtete auf ihrem Telegram-Kanal von feindlichen Kampfdrohnen in fast allen Regionen der Mitte, des Nordens und des Ostens des Landes.
„Achtung! Stadt Kiew! Bleiben Sie in Schutzräumen. Feindliche Kampfdrohne im Anflug von Norden“, warnten die Behörden die Bürger der Metropole. In einem Stadtteil nahe dem Zentrum fielen laut Bürgermeister Vitali Klitschko Teile einer Drohne nieder, ohne Brände oder Verletzungen zu verursachen.
Explosionen wurden aus Sumy, Charkiw und Wynnyzja im Westen gemeldet. Genaue Angaben zu Schäden lagen zunächst nicht vor. Neben den Drohnen setzte die russische Armee laut ukrainischen Angaben auch lenkbare Gleitbomben ein, die von Flugzeugen abgeworfen werden. Russland intensivierte die Angriffe mit Kampfdrohnen iranischer Bauart in den vergangenen Wochen und setzte manchmal mehr als 100 Fluggeräte in einer Nacht ein. Gleichzeitig schoss Russland nach Moskauer Militärangaben zahlreiche ukrainische Drohnen über den Grenzregionen Belgorod und Rostow ab.
Ukrainischen Soldaten droht Einkesselung bei Kurachowe
An der Front in der Ostukraine verschlechtert sich die Lage der ukrainischen Verteidiger weiter. Nach Angaben ukrainischer Militärbeobachter droht einer ungenannten Zahl von Soldaten die Einkesselung südlich von Kurachowe im Gebiet Donezk. Sie hatten dort lange Stellungen auf beiden Seiten des Flusses Suchi Jaly gehalten, doch das Vorrücken der Russen in den Ort Uspeniwka schneidet ihren Rückzugsweg ab. „Es ist schwer zu verstehen, welchen Sinn es hat, den ‚Sack von Uspeniwka‘ zu halten, wenn der Feind weiterhin schrittweise Kurachowe einnimmt“, hieß es auf dem Militärblog „DeepState“.
Der Generalstab äußerte sich nicht detailliert zur Lage an diesem Frontabschnitt und berichtete nur von heftigen Kämpfen um Kurachowe. Ebenso umkämpft sei Pokrowsk. Aus dieser Stadt wurden weitere Zivilisten evakuiert, die bislang dort ausgeharrt hatten.
Selenskyj in Fast-Frontstadt Saporischschja
Zwei Tage nach einem russischen Raketenangriff mit elf Toten reiste der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in die ebenfalls immer stärker vom Krieg betroffene Großstadt Saporischschja. Er besuchte die beschädigte Klinik, in der am Dienstag eine Rakete eingeschlagen war, und gedachte der Opfer. Ebenso besichtigte er eine neu gebaute unterirdische Schule für 1.000 Kinder.
„Es gibt viel zu tun in Saporischschja: die Sicherheitslage, der Schutz des Himmels“, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. In der Stadt im Süden, die vor dem russischen Angriffskrieg 700.000 Einwohner hatte, beriet der Präsident mit dem Militär über die Lage an der näher rückenden Front. Sollten ukrainische Truppen die letzten Städte im östlichen Gebiet Donezk räumen müssen, sind es bis Saporischschja am Dnipro nur 130 Kilometer offenes Steppenland.
Jermak: Ukraine zu schwach für Verhandlungen mit Moskau
Zur laufenden internationalen Diskussion über Auswege aus dem Krieg sagte der ukrainische Präsidialamtschef Andrij Jermak, das Land sei derzeit nicht stark genug für Verhandlungen mit Moskau. „Heute sind wir noch nicht so weit. Uns fehlen Waffen, uns fehlt ein Status“, sagte er im ukrainischen Fernsehen. „Wir sprechen über eine Einladung in die Nato und klare Garantien, die sicherstellen würden, dass (Kremlchef Wladimir) Putin nicht in zwei oder drei Jahren zurückkehrt.“
In Berlin sicherten die Außenminister mehrerer europäischer Länder der Ukraine standhafte Unterstützung und den Einsatz für tragfähige Sicherheitsgarantien zu, falls es nach der Amtsübernahme von Donald Trump als US-Präsident im Januar zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand kommen sollte. Unklar bleibt, wie die Garantien aussehen könnten. Pläne für eine europäische Friedenstruppe sind derzeit nicht konkret. In Warschau berieten am Mittwoch der polnische Ministerpräsident Donald Tusk und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron über die Lage. Macron mahnte einen Schulterschluss mit den USA an.
Die scheidende US-Regierung unter Präsident Joe Biden stellt der Ukraine weitere Waffen zur Verfügung, um die Abwehr des russischen Angriffskriegs zu unterstützen. Das Hilfspaket hat einen Umfang von 500 Millionen US-Dollar (rund 477 Millionen Euro), wie das US-Außenministerium mitteilte. Es umfasst unter anderem Systeme zur Drohnenabwehr, Munition für das Raketenwerfersystem vom Typ Himars sowie gepanzerte Fahrzeuge. Erst vor wenigen Tagen hatte die US-Regierung ein Paket im Umfang von rund 988 Millionen US-Dollar (rund 935 Millionen Euro) bekanntgegeben.
Unter Präsident Biden sind die USA der größte Waffenlieferant und politisch wichtigste Unterstützer der Ukraine. Doch am 20. Januar steht der Machtwechsel in Washington an – und der Kurs in Bezug auf die Ukraine könnte sich unter Trump deutlich ändern. In Kiew besteht die Sorge, dass der Republikaner die US-Militärhilfe drastisch zurückfahren könnte. Daher hat sich die Biden-Regierung zum Ziel gesetzt, alle bereits vom Kongress genehmigten Mittel in den verbleibenden Wochen schnell und effektiv zu nutzen.
Deutsche Löschroboter in der Ukraine im Einsatz
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze beendete einen Besuch in Kiew, bei dem sie Ausrüstung übergab, die helfen soll, das beschädigte ukrainische Energiesystem winterfest zu machen. Zuletzt ließ sich die SPD-Politikerin in einer Feuerwache den Einsatz ferngesteuerter Löschroboter aus Deutschland vorführen.
Die ukrainische Vizeregierungschefin Julia Swyrydenko erinnerte bei einer Pressekonferenz mit Schulze daran, dass Deutschland die Ukraine bereits mit 37 Milliarden Euro seit Kriegsbeginn unterstützt hat. „Mir scheint, diese Summe ist die größte von allen Hilfen europäischer Staaten“, sagte Swyrydenko. Sie würdigte auch ein Umschulungsprojekt in Deutschland und anderen Ländern für geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer. Die neuen Kenntnisse würden dem Land nach deren Rückkehr zugutekommen.