Die Zahl der Insolvenzen ist im November gesunken. Deutschlandweit haben 1345 Personen- und Kapitalverwaltungsgesellschaften Insolvenz angemeldet, wie das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) mitteilt.
Das waren 12 Prozent weniger als im Vormonat, als so viele Unternehmen insolvent gingen wie zuletzt im Jahr 2010. Verglichen zum Vorjahresmonat waren es allerdings 38 Prozent mehr und zum Novemberdurchschnitt von 2016 bis 2019 sogar 52 Prozent.
Experten sehen keine Insolvenzwelle
Experten warnen vor einem weiteren Anstieg im Jahr 2025, aber sehen keine Insolvenzwelle. „Die aktuelle Zahl an Insolvenzen ist zwar hoch, stellt jedoch keine unkontrollierte Insolvenzwelle dar, die größere Ansteckungseffekte auslösen könnte“, erklärt Steffen Müller gegenüber DWN, VWL-Professor an der Universität Magdeburg und Leiter der Abteilung Strukturwandel und Produktivität am IWH.
Auch eine Erhebung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) zeigt, dass der deutsche Mittelstand weiter vergleichsweise solide dasteht. Demnach liegt die durchschnittliche Eigenkapitalquote im Mittelstand bei 37 Prozent.
Grundlage waren die Bilanzen von rund 300.000 Firmenkunden der Sparkassen. „Die finanzielle Lage des Mittelstands ist nach wie vor stabil“, erklärte daher Sparkassenpräsident Ulrich Reuter auf einer Pressekonferenz.
Absolut betrachtet sind die Insolvenzzahlen zwar höher als in den Vorjahren und der Zeit vor Corona, aber im Vergleich zur Gesamtzahl der Unternehmen melden nicht viele Firmen Insolvenz an. Laut der Wirtschaftsauskunftei Creditreform gingen im ersten Halbjahr 2023 rund 0,3 Prozent aller Industriebetriebe bankrott. Das war ein ähnlich hoher Anteil wie in den Jahren 2018 und 2019 vor der Corona-Krise.
Für das erste Halbjahr 2024 rechnet Creditreform mit einem Anstieg auf 0,4 Prozent, was dem Niveau von 2015 und 2016 entsprechen würde. Im Bau, Handel und im Dienstleistungsbereich rechnet Creditreform ebenfalls mit ähnlich hohen Insolvenzquoten wie im Jahr 2015. In den frühen 2010er-Jahren vor Beginn der Nullzinspolitik der EZB waren die Insolvenzquoten noch deutlich höher.
Experten geben keine Entwarnung
Steffen Müller sieht dennoch keinen Grund für Entwarnung. „Betrachtet man die Höhe der Forderungsausfälle oder die Zahl der betroffenen Arbeitsplätze, so erreichen die derzeitigen Werte durchaus das hohe Niveau von vor 20 Jahren“, erklärt er und fügt an: „Ich warne daher ausdrücklich davor, die Situation zu verharmlosen.“
Laut den IWH-Zahlen waren im November vergleichsweise viele Arbeitnehmer von einer Firmenpleite betroffen. Allein bei den größten 10 Prozent der Unternehmen, die insolvent gingen, verloren 11.000 Beschäftigte ihren Job. Das waren 52 Prozent mehr als im Novemberdurchschnitt von 2016 bis 2019.
Frühindikatoren zeigen zudem laut dem IWH an, dass die Insolvenzzahlen im Dezember und Januar auf dem hohen Niveau vom November bleiben werden. Ab Februar 2025 rechnen die Insolvenzforscher sogar mit einem „deutlichen Anstieg“.
Experten betonen außerdem, dass man die Insolvenzraten immer mit dem Gründungsgeschehen abgleichen sollte. Hier wurden im Jahr 2021 noch mehr Unternehmen gegründet, als geschlossen wurden, etwa wegen einer Insolvenz oder privater Gründe wie eine fehlende Unternehmensnachfolge, Krankheit oder Tod.
Im Jahr 2022 kehrte sich der Trend allerdings um: Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts waren 8 Prozent aller Unternehmen Neugründungen, während 8,8 Prozent geschlossen wurden.
Deutlich mehr Schließungen als Gründungen in der Industrie
Insbesondere in der deutschen Industrie ist die Lage prekär: Hier wurden seit 2018 jedes Jahr deutlich mehr Unternehmen geschlossen, als dass gegründet wurden. Etwa waren 4 Prozent aller Industriebetriebe im Jahr 2022 Neugründungen, während 5,9 Prozent geschlossen wurden – das sind fast 50 Prozent mehr Schließungen als Gründungen.
Laut Creditreform sind besonders forschungsintensive Bereiche der Industrie betroffen, „die geradezu sprichwörtlich für den Level des Industriestandorts Deutschland stehen“. Hier stieg die Zahl der Schließungen im Jahr 2023 um 12 Prozent zum Vorjahr, etwa in der Chemieindustrie, der Elektrotechnik, dem Maschinenbau und dem Fahrzeugbau. Weniger betroffen sind hingegen die Hersteller von Möbeln, Sportgeräten, Spielwaren und Musikinstrumenten.
Laut Steffen Müller sind Insolvenzen zwar für die Betroffenen schmerzhaft, aber volkswirtschaftlich notwendig. „Dass unproduktive Unternehmen aus dem Markt ausscheiden, ist ein zentraler Bestandteil der Marktwirtschaft und entscheidend für die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit.“
In Deutschland stiegen allerdings zuletzt nur die Insolvenzzahlen, während immer weniger Unternehmen gegründet wurden. Laut der IHK liegt das Gründungsinteresse auf einem historischen Tief. Der Grund dafür sei nicht bloß die Alterung der Erwerbsbevölkerung. „Enorm gestiegene Kosten zum Führen von Betrieben und das Dickicht bürokratischer Regelungen ersticken aktuell die Lust am Unternehmertum“, ließ sich der IHK-Präsident Peter Adrian in einer Pressemitteilung vom August zitieren.
In einer Umfrage unter 1000 Gründern erklärten drei Viertel, schnellere und einfachere Regularien seien nötig, damit Gründen attraktiver werde. Zwei Drittel waren für ein einfacheres Steuerrecht. Außerdem brauche es einen besseren Zugang zu Fördermitteln, niedrigere Energiepreise und mehr Verständnis für Unternehmertum in der Gesellschaft.