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Als der Tiger noch im Tank war: Warum sich ExxonMobil von Europa distanziert

Exxon mit Sitz ist Houston ist eine halbe Billion Dollar wert und damit der größte Mineralöl-Konzern der Welt. 20 Prozent der 62.000 Mitarbeiter arbeiten in Europa. Doch das weiß kaum jemand zu würdigen. In Hamburg, seit 135 Jahren der Firmensitz in Deutschland, ist das Kapitel Dapolin/Esso schon fast vergessen. Jetzt zieht sich die US-Zentrale allmählich ganz vom Geschäft zurück. Für Philippe Ducom, Europa-Chef von ExxonMobil, ist der Standort ein „lost cause“ - ein Ölfass ohne Boden. Die Bürokratie sei unerträglich, sagt er, nicht mehr zu bändigen.
27.12.2024 11:04
Lesezeit: 4 min
Als der Tiger noch im Tank war: Warum sich ExxonMobil von Europa distanziert
Mineralöl-Multi ExxonMobil (hier das Büro in Belgien) hat große Pläne - Europa spielt dabei kaum noch eine Rolle. Die Amerikaner halten den Kontinent für hoffnungslos bürokratisiert - deshalb investiert man lieber woanders. (Foto: dpa) Foto: Julien Warnand

ExxonMobil versorgt Deutschland seit 135 Jahren mit Kraftstoffen. In Bremen ging es 1889 los - Rockefeller war damals noch mit von der Partie. Ein Jahr später wurde die Firma Siemers übernommen, das Geschäft in die Hansestadt Hamburg verlagert – mit Esso war die Mineralölwirtschaft mal identitätsstiftend an der Elbe. Und heute, wo der Klimawandel das Geschäft bestimmt und die Transformation zum Umweltkonzern? Gut 20 Milliarden Dollar investiert ExxonMobil derzeit weltweit in Klimaschutz-Maßnahmen der unterschiedlichsten Art.

Und wie viel davon fließen in Projekte nach Europa? „Praktisch nichts“, winkt Ducom ab, „im Augenblick konkurriert der Standort Europa nicht um unsere Investitionen in klimafreundliche Produkte und Technologien. Ich bedaure, das so hart sagen zu müssen: Europa ist für uns als Investor nicht attraktiv. Wir können sehr viel mehr für den Klima- und Umweltschutz erreichen und profitabler arbeiten, wenn wir das Geld anderswo investieren“.

Der Ölgigant möchte auch von der boomenden E-Mobilität profitieren und dabei helfen, gleichzeitig CO₂-Emissionen reduzieren. „Lithium ist für die Energiewende unverzichtbar und ExxonMobil spielt eine führende Rolle, wenn es darum geht, den Weg für die Elektrifizierung zu ebnen“, sagt Dan Ammann, bei Exxon für Low Carbon Solutions verantwortlich: „Dieses bahnbrechende Projekt nutzt unsere jahrzehntelange Erfahrung, um große Mengen an nordamerikanischem Lithium zu erschließen, und zwar mit weitaus geringeren Umweltauswirkungen als beim herkömmlichen Bergbau.“ Auf die Idee, in der Eifel beim Lithium-Abbau zu helfen, ist er nicht gekommen. Der Papierkram würde ihn wohl schlaflose Nächte bereiten.

Ganz generell leidet ExxonMobil unter dem Generalverdacht, für die Vergangenheit m Energiegeschäft zu stehen – für Geschäfte mit fossilen Rohstoffen und Atomkraft. Dabei stimmt das eigentlich nicht. Gerade die Konzerne aus der Mineralölwirtschaft sind wegen ihrer jahrelangen Expertise durchaus die erste Adresse, wenn es um Innovationen und Neuerungen geht. „Wir wollen das Klima ebenfalls schützen. ExxonMobil plant, die Scope-1- und Scope-2-Emissionen in den selbst betriebenen Anlagen bis 2050 netto auf null zu senken. Jeder Produktionsstandort hat einen Fahrplan, um dieses Ziel zu erreichen. Unsere Raffinerien zählen heute bereits zu den zehn Prozent der effizientesten Verarbeitungsbetriebe in Europa.“ Einfach aus der Exploration und den fossilen Energien aussteigen, funktioniere so nicht - dies sei Wunschdenken der Klimaaktivisten.

Wie ExxonMobil sich auf den Weg der Transformation begeben hat

Egal, ob bei Wasserstoff, synthetischen Kraftstoffen oder bei der Co2-Abscheidung und -Speicherung sowie im Bereich der Rohstoffe für Batterien, Akkus und Elektromobilität – ExxonMobil hat sich längst auf den Weg der Transformation begeben. Die Schwierigkeit besteht offenkundig darin, dies auch der breiten Öffentlichkeit und selbst den Aktionären an der Börse zu vermitteln.

Hauptadressat der Kritik Ducoms ist die EU-Kommission in Brüssel. Ducom erwartet von Ursula von der Leyen und ihren Kommissaren „rasche Reformen“. „Es ist die Bürokratie. In der EU haben wir ein komplexes und sich ständig änderndes Regulierungsumfeld. Hinzu kommen hohe Compliance-Kosten und strenge Offenlegungspflichten“, kritisiert Ducom. „Das schreckt viele langfristige Investoren ab, auch uns. Diese Missstände entziehen der Forschung und Entwicklung dringend notwendige Mittel und gefährden das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union.“

Ambitionierte Klimaziele, aber keine Anreize für Investoren – das ist der EU-Widerspruch

Während in den USA das Entrepreneurship unterstützt wird, herrscht in der EU Kontrollwahn und Kontrollwährungswut. Ein latenter Widerspruch besteht für Ducom auch darin, dass Deutschland schon 2045 klimaneutral sein möchte, Europa in seiner Gänze 205o, während Indien 2060 anpeilt und China sogar erst das Jahr 2070 ins Ziel nimmt. Dennoch sind gerade in Europa die Bedingungen für grüne Investments alles andere als verheißungsvoll. „Investoren bleiben ausgerechnet dem hoch ambitionierten Europa fern. Das ist ein Indiz mehr für die desaströse Wirkung der Bürokratisierung in der EU, vielleicht auch für die grundsätzlich skeptische Haltung Eingriffs-freudiger Politiker gegenüber dem Markt.“

So zieht sich ExxonMobil Stück für Stück zurück und verabschiedet sich von seiner traditionsreichen Historie. Als Nächstes soll die 25-prozentige Beteiligung an der Mineralöl-Raffinerie Oberrhein (MIRO) in Karlsruhe aufgegeben werden. Insgesamt 86 Raffinerien gibt es noch in der EU – es wird sich zeigen, wie viele davon noch übrig bleiben oder wohin für die Ölmultis die Reise geht. In Deutschland sind es gerade mal zwölf noch aktive Raffinerien, mit einer jährlichen Verarbeitung von derzeit 106 Millionen Tonnen Rohöl.

Die Tankstellen werden längst von ganz anderen Investoren betrieben

Tatsächlich ist das einstige Brot- und Buttergeschäft mit den Tankstellen längst in andere Hände überführt worden. Was der geneigte Kunde an der seiner Tankstelle zumeist gar nicht realisiert. Wer heute bei Esso tankt im Lande, hat es mit der britischen EG Group zu tun, deren Deutschland-Zentrale sich zwar weiterhin in Hamburg befindet. Doch de facto macht die indisch-stämmige Issa-Familie aus England das Geschäft an den nahezu 1.200 Standorten in ganz Deutschland – Tankstellen, Gastronomiebetriebe, Hotels und Autohöfe. „Dort arbeiten wir eng mit namhaften lokalen und internationalen Marken wie Esso, KFC, Burger King, ReweExpress, Tchibo, Ditsch und Backwerk zusammen und beschäftigen über 3.500 Mitarbeiter“, so die Mitteilung. Convenience lautet das Zauberwort. Wer will schon schnödes Benzin und Öl verkaufen?

Die Nostalgie vom Boxenstopp an der Tankstelle ist deshalb wohl verflogen. Genauso gut lässt sich heute beim Supermarkt-Besuch am Stadtrand der Tank vollmachen – und den Kofferraum mit Lebensmitteln. Ob der Sprit von Esso, BP oder Jet kommt, spielt da immer weniger die große Rolle.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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