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Petrochemie: Rettungsleine der Ölindustrie - und Dorn im Auge von Umweltschützern

Auf den ersten Blick sieht die Zukunft des Erdölmarktes nicht rosig aus, angesichts der Abkehr von fossilen Treibstoffen wie Benzin und Diesel. Jedoch sind es kurioserweise gerade die sauberen Energien, welche das Wachstum der Ölindustrie fördern. Denn grüne Technologien brauchen Vorprodukte aus Kohlenwasserstoffen. Prognosen sehen die Petrochemie als größten Treiber der weltweiten Ölnachfrage.
24.04.2024 19:38
Lesezeit: 3 min
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Petrochemie: Rettungsleine der Ölindustrie - und Dorn im Auge von Umweltschützern
Rauch steigt an einem Industriepark in den Himmel. (Foto: dpa). Foto: Ng Han Guan

Es klingt paradox, aber das Bestreben, die Welt durch den Einsatz alternativer Energien sauberer zu machen, gestaltet sich auch deshalb so schwierig, weil eben jene Technologien auf Polymere und Kunststoffe angewiesen sind. Und für deren Produktion werden mit Erdöl und Erdgas genau jene Grundstoffe benötigt, die mit Hilfe grüner Energietechnik ersetzt werden sollen. Bis pflanzenbasierte Alternativen gefunden sind, dürfte es noch eine Weile dauern, die Erdölindustrie scheint, trotz der schon gehaltenen Grabreden, noch lange nicht am Ende zu sein. Dabei sind die Schwierigkeiten, mit denen sich die Ölindustrie konfrontiert sieht, durchaus beachtlich. Klimapolitische Maßnahmen, die Umstellung auf Elektrofahrzeuge, Druck seitens Investoren und sinkende Raffineriekapazitäten belasten den Sektor zunehmend. Zwar sind die Tage von Treibstoffen, wie Benzin und Diesel, noch nicht gezählt, jedoch rechnen sowohl die Internationale Energieagentur (IEA) als auch Industrievertreter mit einem signifikanten Nachfragerückgang für diese Erzeugnisse bereits ab dem Jahr 2030.

Erhebliches Wachstumspotenzial

Bei Petrochemikalien handelt es sich um aus Erdöl gewonnene Verbindungen, die in Produkten, wie Kunststoffen, Weichmachern oder Lösungsmitteln zum Einsatz kommen. Insbesondere Kunststoffe dürften in einer immer weiter ergrünenden Zukunft mehr und mehr gefragt sein, denn Windturbinen, Solarpaneele und Elektrofahrzeuge verschlingen erhebliche Mengen dieser Polymere. Für die Ölindustrie sorgt damit kurioserweise der Sektor für erhebliches Wachstumspotenzial, der sich deren Untergang auf die Fahne geschrieben hat.

ExxonMobil beispielsweise erwartet zwar ebenso wie die IEA einen spürbaren Nachfrageeinbruch nach Benzin und Diesel, sieht dieser Entwicklung jedoch sehr entspannt entgegen, da sich dieser Rückgang durch die zunehmende Nachfrage nach petrochemischen Erzeugnissen mehr als ausgleichen dürfte. So prognostiziert der Ölproduzent, dass die Nachfrage nach petrochemischen Produkten bis 2030 um 40 Prozent steigen und sich dann bis 2050 verdoppeln wird. Die Internationale Energieagentur sieht dies ähnlich und erwartet, dass im Jahr 2030 mehr als ein Drittel der Ölnachfrage auf Petrochemikalien entfallen wird, ab 2050 soll es bereits über die Hälfte sein – damit läge dieser Sektor komfortabel vor Diesel sowie Flug- und Schiffskraftstoff. Zu Beginn des Jahrzehnts entfielen nur etwa zwölf Prozent des weltweiten Ölbedarfs auf den petrochemischen Sektor! Das Deloitte Research Center for Energy and Industrials, welches in einer neuen Studie die Zukunftsaussichten der weltweiten Ölindustrie untersucht hat, geht davon aus, dass die Petrochemie schon mittelfristig zum größten Treiber der weltweiten Ölnachfrage werden wird.

Umweltbelastungen bleiben hoch

Hinsichtlich der Reduzierung des CO2-Ausstoßes sieht sich die chemische Industrie bestens positioniert. Laut Deloitte werden 75 Prozent aller CO2-Reduzierungen durch diesen Sektor erfolgen, und zwar mit Produkten, die in Dingen wie Elektrofahrzeugen, Windturbinen, Sonnenkollektoren und Leichtbau zum Einsatz kommen. So werden beispielsweise Rotorblätter von Windkraftanlagen häufig aus Ethylen als Basischemikalie hergestellt, und auch in Solarzellen kommt die Chemikalie zum Einsatz. Kunststoffteile können Flugzeuge und Autos leichter machen und so zu einem sparsameren Betrieb beitragen.

Der Umwelt, oder gar dem Klima, nützt der Austausch von Benzin gegen Petrochemikalien dennoch wenig. Nicht nur, dass damit der Bedarf an der Aufsuchung und Förderung von Erdöl ungebremst erhalten bleibt. Darüber hinaus führt die Produktion von petrochemischen Stoffen wie Ethylen, Olefinen, Propylen, Acetylen, Methanol und Ethan regelmäßig zur Freisetzung giftiger Emissionen, zusätzlich zu den Millionen Tonnen dabei unvermeidlichen Kohlendioxids, Methans und Stickoxids. Dies ist ein Problem, von dem selbst modernste Anlagen betroffen sind. Hinzu kommt, dass der Produktionsprozess seinerseits einen erheblichen Energieeinsatz erfordert. Treffen die Nachfrageerwartungen zu, werden dafür bereits im Jahr 2030 jährlich 56 Milliarden Kubikmeter Erdgas zusätzlich verbrannt werden müssen. Das entspricht etwa 70% des heutigen Jahresverbrauchs Deutschlands.

Alternativen sind rar

Die Suche nach umweltfreundlichen Alternativen zur Petrochemie läuft bereits auf Hochtouren, dies lässt erwarten, dass mit der Zeit mehr und mehr Ersatzstoffe aus Pflanzenprodukten und anderen Rohstoffen hergestellt werden können. Für Ethylen beispielsweise gibt es bereits ein Substitut, welches statt aus Öl aus Zuckerrohr gewonnen werden kann. Dessen Anwendungsfälle sind die gleichen wie beim fossilen Original. Allerdings sind derartige Alternativen bislang nicht weit verbreitet. Nach Angaben der Handelsgruppe European Bioplastics aus dem Jahr 2022 machen Biopolymere derzeit nur ein Prozent der weltweiten Kunststoffproduktion aus. Vor allem die im Vergleich zur Petrochemie hohen Produktionskosten stellen hier eine Hürde dar. Zumindest in den USA geht man das Thema auch politisch sehr beherzt an, gemäß einer neuen Durchführungsverordnung sollen dort 90 Prozent der Kunststoffe innerhalb der nächsten 20 Jahre durch Biomaterialien ersetzt werden.

Das ist ein guter Ansatz, jedoch dürfte sich auch an dieser Stelle wieder einmal zeigen, dass politische Ziele und Marktrealitäten nicht immer zusammen passen und die Petrochemie auch „die grüne Branche“, welche auf sie angewiesen ist, noch viele Jahre lang dominieren wird. In der Ölindustrie wird derzeit zwar viel gejammert, aber die Taten hinter den oft pessimistischen Worten lassen durchaus einen optimistischen Tatendrang erkennen. So haben bereits einige Unternehmen damit begonnen, einen Teil ihrer Raffinerieanlagen zu veräußern - zugunsten von Anlagen zur Herstellung von Petrochemikalien. Exxon erweiterte und modernisierte im vergangenen Jahr eine seiner größten Raffinerien im texanischen Beaumont um eine Kapazität von 250.000 Barrel pro Tag. Dort kann der Mineralölkonzern nun praktisch auf Knopfdruck zwischen der Produktion von Kraftstoffen und Petrochemikalien wechseln, je nach gerade erzielbarer Marge.

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Markus Grüne

                                                                            ***

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 

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