Panorama

Vollgas in die Hölle: Arzt gab sich als Islamkritiker und Musk-Fan - wirr, widersprüchlich!

Er galt bei den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Kritiker des Islams. Er kämpfte für Frauenrechte und arbeitete als Arzt. Doch dann gab es eine Wendung.
21.12.2024 20:04
Aktualisiert: 21.12.2024 20:04
Lesezeit: 3 min

In den sozialen Netzwerken präsentierte er sich als vehementer Kritiker des Islam und Saudi-Arabiens: Doch zuletzt äußerte er sich auch kritisch zu deutschen Behörden und warf ihnen «geheime Operationen» vor. Taleb A., der mutmaßliche Todesfahrer, der auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt mindestens fünf Menschen tötete und 200 zum Teil schwer verletzte, machte zuletzt eine Wandlung durch.

Vor einem Jahr sei gegen den Mann ein Verfahren gelaufen, wie das bei vielen anderen Straftätern auch so sei, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt von Magdeburg, Horst Walter Nopens. Details nannte er nicht. Er sei aber nicht in dem Sinne im Fokus gewesen, als dass es sich um einen Gewalttäter oder um einen Islamisten gehandelt habe. "Wir hatten den jetzt nicht im Fokus, dass der solche Straftaten begeht dieser Art und Güte", sagte Nopens. "Das war mitnichten der Fall."

In den sozialen Netzwerken zeigte sich der 50 Jahre alte Arzt als radikaler Islamkritiker und Aktivist für die Belange vor allem von Frauen aus Saudi-Arabien. Auf der Plattform X hatte Taleb A. vor der Tat mehr als 40.000 Follower und gab in den vergangenen Jahren auch einige Interviews zur Situation von Frauen in Saudi-Arabien.

Facharzt für Psychiatrie

Taleb A. kam nach Angaben von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bereits 2006 nach Deutschland. Zuletzt lebte er in Bernburg, einer kleinen Stadt knapp 50 Kilometer von Magdeburg. Wie eine Sprecherin des Gesundheitsunternehmens Salus mitteilte, war er im Maßregelvollzug tätig. Er habe mit suchtkranken Straftätern gearbeitet und sei seit März 2020 in der Einrichtung tätig gewesen. "Seit Ende Oktober 2024 war er urlaubs- und krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst", hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens, das in Bernburg ein Fachklinikum für Psychiatrie und Suchtmedizin betreibt. "Wir unterstützen die Arbeit der Ermittlungsbehörden seit den Nachtstunden in jeder nur möglichen Form." Nach Informationen aus dem Gesundheitsministerium von Sachsen-Anhalt wurde nich in der Nacht die Personalakte des Mannes angefordert und den Ermittlungsbehörden übergeben.

Im Juni 2019 erschien ein Interview mit Taleb A. in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Ich bin der aggressivste Kritiker des Islams in der Geschichte", sagte der Mann damals. Neben seinen Beiträgen in den sozialen Netzwerken beriet Taleb A. nach eigenen Aussagen Frauen unter anderem aus Saudi-Arabien bei Asylfragen und vermittelte deren Kontakt auch an internationale Medien.

Saudi-Arabien hat Deutschland nach eigenen Angaben gewarnt

Saudi-Arabien hatte Deutschland saudischen Sicherheitskreisen zufolge vor dem Mann gewarnt. Das Königreich habe seine Auslieferung beantragt. Darauf habe Deutschland nicht reagiert, hieß es. Den Sicherheitskreisen zufolge stammt er aus der Stadt Al-Hofuf im Osten Saudi-Arabiens und war Schiit. Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung in dem mehrheitlich sunnitischen Land sind schiitisch. Es gibt immer wieder Berichte von Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land.

!Wir können nur gesichert sagen, dass der Täter offensichtlich islamophob war!, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Tag nach der Tat in Magdeburg. Alles Weitere sei Gegenstand der Ermittlungen. Was es an Warnungen im Vorfeld gegeben habe oder nicht, obliege den Ermittlungsbehörden, betonte die SPD-Politikerin.

Hilfe für saudische Frauen und Verschwörungstheorien

Seit einiger Zeit veränderte sich das Auftreten des saudischen Arztes in den sozialen Netzwerken, wurde aggressiver. "Ich erwarte ernsthaft, dieses Jahr zu sterben", hieß es auf dem Account von Taleb A. im Mai dieses Jahres. "Ich werde Gerechtigkeit um jeden Preis herbeiführen." Die deutschen Behörden würden alle Wege zur Gerechtigkeit blockieren. Ob der Saudi die Beiträge wirklich alle selbst verfasste, war zunächst nicht klar. Für Irritation sorgte etwa ein Post, der noch um die Zeit des Angriffs auf dem Account veröffentlicht wurde.

Erst vor rund zehn Tagen veröffentlichte die amerikanische Plattform "RAIR", die sich selbst als antimuslimische Graswurzel-Organisation beschreibt, ein mehr als 45 Minuten langes Interview mit dem Arzt. Darin wirft er unter anderem der deutschen Polizei vor, "geheime Operationen" durchzuführen und das Leben von saudischen Asylsuchenden, die sich vom Islam losgesagt hätten, gezielt zu zerstören. Zudem äußerte er sich als Fan von Elon Musk und der AfD, die die gleichen Ziele wie er verfolge. Gleichzeitig bezeichnete er sich aber politisch als links. "Ich bin nicht rechts, ich bin ein Linker."

Bei den Vernehmungen habe sich Taleb A. auch zu einem möglichen Motiv geäußert, sagte Oberstaatsanwalt Nopens. Dieses könne nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen möglicherweise eine Unzufriedenheit mit dem Umgang von Flüchtlingen aus Saudi-Arabien in Deutschland sein. Nach dpa-Informationen stellte der Arzt selbst, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Jahre in Deutschland aufhielt, im Februar 2016 einen Asylantrag, über den im Juli desselben Jahres entschieden wurde. Der saudische Staatsbürger erhielt damals Asyl als politisch Verfolgter.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Bundeshaushalt: Klingbeils Kraftakt mit zwei Haushalten und einem klaren Ziel
17.05.2025

Ein Kaltstart für Finanzminister Klingbeil: Treffen in Brüssel, die Steuerschätzung, Gespräche der G7 – alles binnen zwei Wochen. Der...

DWN
Politik
Politik Elon Musk: Der stille Umbau der USA in ein Tech-Regime
17.05.2025

Nie zuvor in der modernen Geschichte der USA hat ein einzelner Unternehmer derart tief in den Staat eingegriffen. Elon Musk, offiziell ohne...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Start-up WeSort.AI: Wie künstliche Intelligenz die Mülltrennung revolutioniert
16.05.2025

Die Müllberge wachsen von Jahr zu Jahr, bis 2050 sollen es fast siebzig Prozent mehr Abfall sein. Die Brüder Johannes und Nathanael Laier...

DWN
Politik
Politik Zentralplanerisches Scheitern: Lukaschenkos Preiskontrolle lässt Kartoffeln verschwinden
16.05.2025

Die belarussische Regierung hat mit rigider Preiskontrolle einen der elementarsten Versorgungsbereiche des Landes destabilisiert....

DWN
Finanzen
Finanzen Philipp Vorndran: „Kaufen Sie Immobilien, Gold – und streuen Sie Ihr Vermögen global“
16.05.2025

Anleger müssen umdenken: Investitionsstratege Philipp Vorndran warnt im Gespräch mit Peter Frankl vor einem Kollaps des alten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen VW-Kleinaktionäre drängen auf Rückzug von VW-Chef Blume bei Porsche
16.05.2025

VW-Chef Blume steht zunehmend unter Druck: Kritik aus den eigenen Reihen bringt seine Doppelrolle ins Wanken. Wie lange kann er sich noch...

DWN
Finanzen
Finanzen Was sind alternative Investments? Whisky, Windpark, Private Equity – wie Sie abseits der Börse Rendite machen
16.05.2025

Alternative Investments gelten als Baustein für resiliente Portfolios. Doch was genau verbirgt sich hinter dieser Anlageklasse? Warum sie...

DWN
Politik
Politik Dobrindt: Grenzkontrollen markieren den Beginn eines Kurswechsels
16.05.2025

Innenminister Dobrindt setzt auf strengere Maßnahmen und schärfere Grenzkontrollen – ein klarer Kurswechsel in der Migrationspolitik....